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Auf der Flucht. Teil 1: Einwanderung und Integration

Von Thomas Eppinger

Das Thema Migration hat die deutsche Bundestagswahl entschieden und wird die österreichische Nationalratswahl entscheiden. Mehr als das. Die Migrationspolitik Europas der nächsten Jahrzehnte entscheidet über die Zukunft des Kontinents, Afrikas und des Nahen Ostens. Die politische Debatte wird der Bedeutung des Themas nicht gerecht. Sie folgt auf der einen Seite ausländerfeindlichen Ressentiments und bedient auf der anderen das Bedürfnis nach moralischer Distinktion. Je nach Standpunkt werden Einwanderungs- und Asylpolitik vermischt und für die eigene politische Agenda instrumentalisiert.

Auf der Flucht. Teil 1: Einwanderung und IntegrationAls Ausgangsbasis für die künftige Asyl- und Migrationsdebatte skizziert Teil 1 dieser Abhandlung die Merkmale einer erfolgreichen Einwanderungs- und Integrationspolitik. Teil 2 schildert dann die Ausgangslage im Mena-Raum und Afrika. Teil 3 schließlich behandelt die Frage, wie Europa auf den immer stärker werdenden Migrationsdruck reagieren kann, ohne seine humanistischen Werte zu verraten.

 

Einwanderungsländer wider Willen

Mit Einwanderungsgesetzen regeln Einwanderungsländer, wer sich unter welchen Bedingungen niederlassen darf. Das klingt banal, doch die Basis dafür war bislang vor allem für die konservativen Parteien in Österreich und Deutschland eine unüberwindbare Hürde: sich als Einwanderungsland zu erkennen und danach zu handeln.

Einwanderungsländer sind Chancengesellschaften. Sie bieten Zuwanderern die Chance auf eine neue Existenz. Und sie bieten der Mehrheitsgesellschaft die Chance, demographische Defizite zu kompensieren und Lücken am Arbeitsmarkt zu schließen. Als Gegenleistung für Jobs und gesellschaftliche Anerkennung fordern sie Qualifikation, Leistung und Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Klassische Einwanderungsländer wie Kanada, Australien und die USA funktionieren wie ein exklusiver Club: der Zutritt ist nicht einfach, aber ist man erst einmal aufgenommen, gehört man vorbehaltslos dazu. Das dieser Haltung zugrundeliegende Arbeitsethos hält rassistische Vorurteile hintan und schlägt in seiner Integrationskraft den europäischen Sozialstaat um Längen.

Der Unterschied zur deutschen oder österreichischen Politik ist evident. Ein Einwanderungsland orientiert seine Politik an den Motiven der Aufnahmegesellschaft, wir orientieren unsere Politik an den Motiven der Einwanderer. Einwanderung aus Drittländern findet bei uns fast ausschließlich über das Asylrecht statt. Das ist falsch. Schutzsuchende müssen sich ökonomisch nicht rechnen, Migranten schon. Flüchtlingen bietet man Schutz aus Humanität und aus keinem anderen Grund. Sie müssen nicht das Pensionssystem retten, das Wirtschaftswachstum anfeuern oder die Kultur bereichern.

Anstatt abzuwägen, wie wir Zuwanderung für die aufnehmende Gesellschaft positiv gestalten können, führen wir eine Scheindebatte über die Motive der Migranten. In dieser Scheinwelt sind politische Flüchtlinge willkommen und sollen „Wirtschaftsflüchtlinge“ am besten bleiben wo sie sind, weil sie sonst den „guten“ Flüchtlingen den Platz wegnehmen. Dieses verkehrte Denkmuster reduziert Einwanderungspolitik zum Abwehrkampf, den man umso erfolgreicher führt, je besser man die einen von den anderen selektiert.

Die Themen Asylpolitik und Einwanderungspolitik sind getrennt zu betrachten. Denn ob ein Zuwanderer ein Gewinn oder eine Bürde für die Mehrheitsgesellschaft ist, hat nichts damit zu tun, ob er in seiner Heimat verfolgt wird oder nicht. Eine Gesellschaft, die Zuwanderung ausschließlich von den Motiven der Immigranten abhängig macht, verliert die Kontrolle über ihre zukünftige Entwicklung.

 

Migration

Auf der Flucht. Teil 1: Einwanderung und Integration
Paul Collier

Paul Collier, Professor für Ökonomie und Direktor des Centre for the Study of African Economies an der Universität Oxford, erforscht seit Jahren den Zusammenhang zwischen Armut, Krieg und Migration. In seinem Bestseller „Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“, erschienen 2015 im Siedler Verlag, plädiert er für eine Einwanderungspolitik, welche die Interessen der Migranten, der aufnehmenden Länder und der Herkunftsländer gleichermaßen berücksichtigt.

Das Zusammenspiel aus Institutionen, Regeln, Normen und Organisationen bezeichnet Collier als „Sozialmodell“ einer Gesellschaft. Ein erfolgreiches Sozialmodell ist ein Asset eines Landes, genauso wie Bodenschätze oder Infrastruktur. Einwanderung findet meist von Ländern mit dysfunktionalen Sozialmodellen in Länder mit funktionierenden Sozialmodellen statt. Dabei werden Teile der schlecht funktionierenden Sozialmodelle ins neue Land mitgenommen, wie z.B. gesellschaftliche Normen und Narrative, auf die sich die politischen Institutionen eines Landes gründen.

Collier nennt drei multiplikativ wirkende Antriebskräfte von Migration. Die Einkommenskluft zwischen reichen und armen Ländern, die Möglichkeit der Überwindung von Migrationshürden und die Größe der Diasporagemeinde im Aufnahmeland.

Ist die Kluft zwischen reichen und armen Ländern zu tief, kann sie nicht überwunden werden. Ist sie relativ klein, besteht kein Anreiz für Migration. Das scheinbare Paradoxon: Jeder Wirtschaftsaufschwung in den ärmsten Ländern löst zuerst einmal Migrationsbewegungen in die reichen aus, weil bei steigendem Wohlstand mehr Menschen die ökonomischen Kosten der Migration aufbringen können. Denn es sind nie die Ärmsten, die migrieren, sondern die relativ Wohlhabenderen der ärmsten Länder. Bei gleichbleibender Kluft ist die Größe der Diasporagemeinde im Aufnahmeland der bestimmende Faktor, da die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der Migration mit der Größe der Auslandsgemeinde sinken.

Die Größe einer Auslandsgemeinde wird von der Migrationsrate (Zuwanderung) und der Absorptionsrate bestimmt, wobei letztere jenen Anteil bezeichnet, der jedes Jahr aus der Auslandsgemeinde ausscheidet, indem er Teil der Mehrheitsgesellschaft wird. Je weiter der kulturelle Abstand ist, desto kleiner wird die Absorptionsrate sein. Sie sinkt auch mit der Größe der Diasporagemeinde, weil die Migranten umso weniger mit der Mehrheitsgesellschaft verkehren, je mehr sie ihre sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse innerhalb der eigenen Community decken können.

Collier stellt an Migrationspolitik eine Minimalforderung: sie müsse verhindern, dass die Migrationsrate so weit ansteigt, dass sie der einheimischen Bevölkerung oder den Zurückgebliebenen in den Herkunftsländern schadet. Daraus leitet er das Recht – um nicht zu sagen, die Pflicht – einer Gesellschaft ab, Einwanderung zu beschränken. Anzustreben sei eine vorteilhafte Mitte, in der die Interessen der Mehrheitsbevölkerung, der Migranten, und der in den Herkunftsländern Zurückgelassenen im Einklang stehen.

 

Integration

Als Modell beschreibt er ein Paket aus Obergrenze, Auswahl, Integration und Legalisierung. Der wichtigste Maßstab ist für Collier die „sichere Größe“ einer Auslandsgemeinde, also die Anzahl nicht absorbierter Migranten. Sicher in dem Sinne, dass das funktionierende Sozialmodell der aufnehmenden Gesellschaft durch die mitgebrachten dysfunktionalen Sozialmodelle der Migranten nicht gefährdet wird.

Obergrenze: Eine sinnvolle Beschränkung der Bruttozuwanderung bemisst sich an der Größe der Auslandsgemeinde und deren Absorptionsrate. Eine hohe Migrationsrate ist nur bei stabiler Größe der Auslandsgemeinde verträglich, was eine hohe Absorptionsrate voraussetzt. Je niedriger die Absorptionsrate ist, desto niedriger muss man die Migrationsrate festsetzen, um die Auslandsgemeinde stabil zu halten.

Auswahl: Nach der Bestimmung der Obergrenze für die Migrationsrate ist die gewünschte Zusammensetzung der Auslandsgemeinde zu definieren. Merkmale sind Haushaltsstatus, Qualifikation, Arbeitsmarktfähigkeit, kulturelle Herkunft und Schutzbedürftigkeit. Verwandtschaft sollte kein Kriterium für Zuwanderung sein. Das wichtigste Kriterium ist Qualifikation. Integration erfolgt am besten über Arbeit und die damit verbundene soziale Anerkennung. Macht man Qualifikation zum entscheidenden Kriterium für die Aufnahme von Migranten, profitieren davon auch deren Herkunftsländer. Führt der Pfad nach Europa nicht übers Asylrecht, sondern über den Beruf, investiert der Clan in Ausbildung statt in Schlepper. Wer es trotzdem nicht nach Europa schafft, stärkt mit seiner Qualifikation sein Heimatland. Reiche Länder können also durch die richtigen Einwanderungskriterien eine Qualifikationsspirale in den ärmeren auslösen.

Integration: Das Ziel von Integration ist Assimilierung, nicht Multikulturalismus, denn Assimilierung erhöht die Absorptionsrate. Hingegen ist die Trinität aus massiver Migration, freiem Zugang zu Sozialleistungen und Multikulturalismus ausgesprochen kontraproduktiv.  Das Erlernen der Sprache ist für die Zuwanderer Pflicht, umgekehrt sind Rassismus und Diskriminierung in der Mehrheitsgesellschaft zu bekämpfen.

Legalisierung: Collier schlägt einen Rechtsstatus für registrierte illegale Einwanderer vor, der den Zugang zum Arbeitsmarkt öffnet. Demnach hätten illegale Zuwanderer den Status von Gastarbeitern, zahlten Steuern ohne Anspruch auf soziale Vorteile, und hätten bezüglich der Nutzung öffentlicher Einrichtungen gleiche Rechte wie Touristen. Die Anzahl der Lose, die legale Einwanderer aus ihnen macht, würde von der Obergrenze der Migrationsrate abgezogen. Was ein Anreiz für die Migrationslobby wäre, Grenzkontrollen zu unterstützen. Wer sich nicht registrieren lässt, würde bei Entdeckung ohne Einspruchsmöglichkeit ausgewiesen.

Paul Collier spricht sich klar für Grenzkontrollen und Steuerung der Zuwanderung aus. Hingegen sollte Asyl als zeitlich begrenztes Aufenthaltsrecht großzügig gewährt werden, das erlischt, sobald der Frieden im Herkunftsland wiederhergestellt ist. Denn die Migranten werden dort benötigt: „Wenn in Konfliktsituationen Asyl gewährt wird, dann nicht, um der ‚glücklichen‘ Minderheit, die ihnen entfliehen konnte, auf Dauer ein neues Leben zu ermöglichen.“

Eine Einwanderungspolitik, die diesen Namen auch verdient, berücksichtigt die Interessen der aufnehmenden Gesellschaft, der Migranten und der Zurückgelassenen. Dazu ist es unabdingbar, die Migrationsrate zu kontrollieren und Kriterien für Zuwanderung zu definieren. Mit dem Feilschen um Obergrenzen von Asylwerbern hat das nichts zu tun.

Teil 2 beschreibt, warum die Flüchtlingsströme seit 2015 voraussichtlich nur erste Vorboten einer kommenden Völkerwanderung waren.

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