Antisemitismus hier, Israel dort

Sehr geehrte Presse-Redaktion,

Antisemitismus hier, Israel dortJohn Bunzl stellt in seinem Gastkommentar „Antisemitismus und Islamophobie: Analog?“ mehr als fragwürdige Behauptungen auf, die wesentliche Erscheinungsformen des aktuellen Antisemitismus ignorieren und zentrale Einsichten der zeitgenössischen Antisemitismusforschung entweder nicht zur Kenntnis nehmen oder ihnen direkt widersprechen. Gestatten Sie mir, einige dieser Behauptungen zu hinterfragen.

Bunzl schreibt, das „Judenbild von Flüchtenden aus dem Orient“ sei „durch andere Erfahrungen geprägt als die abendländische Tradition“ – und begibt sich damit auf die falsche Bahn, der er im Folgenden konsequent folgt. Bei Syrern seien etwa solche „Umstände maßgebend“ wie „drei Kriege (1948, 1967, 1973), Stellvertreterkonflikte im Libanon, Präsenz von Hunderttausenden palästinensischen Flüchtlingen und die 50-jährige Besetzung von Teilen des Staatsgebiets (Golanhöhen).“ Im Falle der Palästinenser seien diese „anderen Erfahrungen“ sogar „noch offensichtlicher“. Daraus, behauptet Bunzl, „ergibt sich der Kern des antijüdischen Ressentiments.“

Nein, denn der Antisemitismus ist nicht das Ergebnis realer Erfahrungen mit Juden, sondern nutzt diese bestenfalls als Anknüpfungspunkte für seine Wahnvorstellungen. Die Popularität der „Protokolle der Weisen von Zion“ verdankte sich im Europa des frühen 20. Jahrhunderts nicht dem Verhalten von Juden. Bunzl aber suggeriert, dass im Falle des arabischen bzw. islamischen Antisemitismus die Opfer tatsächlich für den auf sie zielenden Hass zumindest mitverantwortlich sind – und offenbart damit ein eklatantes Missverständnis dessen, was Antisemitismus ausmacht.

Antisemitismus hier, Israel dort„Palästinenser kämpfen gegen Israel nicht, weil die Israelis Juden sind“, behauptet Bunzl – und sieht interessiert gleichermaßen darüber hinweg, was die Hamas in ihrer Charta über Juden zu sagen hat und wie Mahmud Abbas gegen die Juden hetzt, deren „dreckige Füße“ die al-Aksa-Moschee nicht „beschmutzen“ dürften. Abstrakt anerkennt Bunzl, dass es im arabischen Raum Antisemitismus irgendwie gibt, über dessen konkrete Manifestationen sieht er aber genauso großzügig hinweg, wie er allem Anschein nach die Antisemitismusforschung nicht zur Kenntnis nimmt, die zum Ergebnis kommt, dass der Israel-bezogene Antisemitismus die heute am weitesten verbreitete Form des Judenhasses ist.

Bezeichnend ist, was Bunzl dagegen als „maßgebende Umstände“ für den arabischen Antisemitismus identifiziert. Wenn er von den Kriegen 1948, 1967 und 1973 spricht, so lässt er geflissentlich beiseite, dass alle drei militärische Aggressionen gegen Israel gewesen sind, die von den arabischen Staaten ausgingen, aber – aus deren Sicht – dummerweise verloren gingen. Die „anderen Erfahrungen“, die ein anderes „Judenbild“ zur Folge hätten, sollen demnach darin bestehen, dass die arabischen Staaten Kriege gegen Israel begannen und diese verloren – und deshalb soll der arabische Antisemitismus eine irgendwie realere Grundlage haben?

Dabei bedient Bunzl, wenn er auf Israel und den Zionismus zu sprechen kommt, sich einer ideologisch aufgeladenen, politischen Kampfrhetorik, die zum Verständnis der Sache nichts beiträgt, dafür aber umso mehr unversöhnliche Haltungen bestärkt. Wenn er den Zionismus als „koloniales Siedlerprojekt gegen eine einheimische Bevölkerung“ diffamiert, so benutzt er den Jargon der akademisch daherkommenden Israelfeindschaft.

Dem jüdischen Staat unterstellt er, „den Widerstand von Arabern und Muslimen als Antisemitismus zu diskreditieren“, etwa wenn Premier Netanjahu erklärte, „der palästinensische Mufti Hadj Amin el-Husseini hätte Hitler dazu überredet, die Juden im Holocaust zu vernichten.“ Das war, wie ich damals betonte, unhaltbar und falsch, kann aber eine schlichte Wahrheit nicht beiseite wischen: El-Husseini war tatsächlich ein fanatischer antisemitistischer Hetzer, der mit den Nazis kollaborierte und die Vernichtung der Juden propagierte – und er wird bis heute von der palästinensischen Führung verehrt und gepriesen. Bunzls Verweis auf eine falsche Behauptung Netanjahus ist der plumpe Versuch, von einer historischen Wahrheit abzulenken, die ihm nicht in den Kram passt.

Bunzl beklagt, dass „man“ – gemeint sind offenbar Israel oder dessen Unterstützer in Europa – „mit wirklichen Antisemiten“ zusammenarbeite. Er weiß vermutlich genau, dass, um beim Beispiel Österreich zu bleiben, weder namhafte Befürworter Israels, noch die Israelitische Kultusgemeinde, noch die israelische Regierung mit der Freiheitlichen Partei zusammenarbeiten. Aber das ist das Praktische an solchem Geraune: Es ist unkonkret genug, um sich der Frage nach faktischen Belegen für die enthaltene falsche Behauptung nicht stellen zu müssen.

Und Bunzl kommt nicht ohne den Klassiker der zeitgenössischen Verharmlosung bzw. Verleugnung des Antisemitismus aus: Bei „jeder Form der Israel-Kritik“ werde „der Antisemitismusvorwurf erhoben“, so die ständige wiedergekäute, deshalb aber um nichts zutreffendere Behauptung. Würde Bunzl seine ideologischen Scheuklappen ablegen, würde er mühelos erkennen können, dass Israel tagein tagaus kritisiert wird. Das angebliche Tabu einer Kritik an Israel ist ein reines Phantasma, sein Beklagen dient einzig und allein dem Zweck, sich selbst gegen Kritik zu immunisieren. Wie die Antisemitismusforscher Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz auf Basis der systematischen Analyse von über 14.000 Zuschriften an den Zentralrat der Juden sowie die an israelische Botschaft in Deutschland herausarbeiten, kommen rationale Kritiker israelischer Politik gar nicht auf die Idee, sich sozusagen präventiv gegen den imaginierten Antisemitismusvorwurf zur verteidigen. Das tun in aller Regel nur jene, die „im Bewusstsein der Brisanz ihrer eigenen Äußerungen durch die Vorwegnahme des antizipierten Vorwurfs diesen zu entkräften versuchen.“ Es ist wie mit einem Mann, der in eine Polizeiwachstube stürmt und lauthals herumbrüllt: ‚Glauben Sie mir, ich bin nicht verrückt!‘.

Mit freundlichen Grüßen,
Mag. Florian Markl
Mena Watch – der unabhängige Nahost-Thinktank

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