Als Berham Saleh noch nicht Präsident des Irak war

Von Thomas von der Osten-Sacken

Unser Autor erinnert sich anlässlich der Wahl des neuen irakischen Präsidenten an eine Rede Salehs vor der Sozialistischen Internationale und einige darauf folgende Ereignisse aus dem Jahr 2003.

Als Berham Saleh noch nicht Präsident des Irak warEs gehört zweifelsohne zu einer der wenigen guten Nachrichten aus dem Irak, dass nach langem Hin- und Her Berham Saleh vom Parlament in Bagdad zum neuen Präsidenten des Landes gewählt wurde. Auch wenn dieser Posten eher repräsentativer Natur ist, man wollte nach dem Sturz Saddam Husseins eben gerade keine Präsidialsystem mehr haben, sondern ein starkes Parlament, spielt es doch eine Rolle wer ihn inne hat. Es gilt eine Postenteilung im Irak, ähnlich der im Libanon: Die Schiiten stellen den Premier, die Kurden den Präsidenten und die Sunniten den Parlamamentssprecher. Unerfreulich war deshalb auch, dass die kurdischen Parteien, selbst wenn sie in einer Koalition im autonomen kurdischen Gebiet regieren, sich auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten und es zur Kampfabstimmung kam. Berham Saleh trat für die Patriotische Union Kurdistans an (PUK), als unterlegener Gegenkandidat war Fouad Hussein von der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) aufgestellt.

Erfreulich immerhin, dass Saleh, der für seine amerikafreundliche, prowestliche und religiös ausgesprochen moderate Haltung bekannt ist, 219 der abgegeben 273 Stimmen erhielt, also auch mehrheitlich von Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus schiitisch dominierten Parteien gewählt wurde. Und da mich mit ihm eine ganz besondere Geschichte aus dem Jahr 2003 verbindet, die mir heute Morgen, als ich über das Wahlergebnis las, einfiel, möchte ich sie, anstatt nur eine Gratulation abzugeben, hier kurz erzählen.

Damals war Saleh Premierminister im von PUK-kontrollierten Teil Irakisch-Kurdistans und gemeinsam mit Kanan Makiya, dem später auf Abwege geratenem Ahmed Chalabi und anderen Oppositionellen eine wichtige Stimme in der irakischen Opposition, die für den Sturz Saddams durch eine von den USA angeführte Militärkoalition warb und sich für die Transformation des Irak in einen föderalen und demokratischen Rechtsstaat eintrat. Saleh war persönlich auch eng verbunden mit jener kleinen Gruppe angloamerikanischer Linker, zu der etwa Paul Berman und Christopher Hitchens gehörten, die „Liberation of  Iraq“ in antifaschistischer Tradition befürworteten.

Kurz vor dem Einmarsch der Koalitionstruppen im Irak hielt Saleh auf einem Treffen der Sozialistischen Internationale in Rom eine bewegende Rede, in der er die Stimmung im Irak mit der in Italien vor der Befreiung durch die Alliierten 1943 verglich:

„Dass wir uns hier in Rom treffen, ist hochgradig symbolträchtig. Während die Welt beobachtet, wie sich der Krieg um den Irak herum zusammenbraut, gibt es keinen geeigneteren Ort als diese Stadt mit ihrer reichhaltigen Geschichte, um sich zu treffen und über die Bedeutung der Freiheit und Befreiung von Faschismus und Diktatur zu sprechen. Denn am 4. Juni 1944 wurde diese Stadt durch die Alliierten befreit. Zwei Tage später, am 6. Juni 1944 begann die Befreiung Frankreichs. Damals wie heute war der Feind eine aggressive und rassistische Ideologie, die der Welt nichts als Leid und Schmerzen brachte. Damals wandten Sozialisten, Demokraten und andere Menschen guten Willens sich Seite an Seite gegen den Faschismus. Manche dieser Antifaschisten wurden später angesehene sozialistische Führungspersönlichkeiten in ihren Ländern und setzten sich für Gerechtigkeit in ihren Gesellschaften ein. Man denke an Francesco De Martino, Willy Brandt, Pierre Mendès-France, Clement Attlee, Francois Mitterand und Andreas Papandreou.

Nun naht auch für die Iraker ihr D-Day. Wir beobachten die militärischen Vorbereitungen und das Katz- und Mausspiel, das die unlautere Diktatur in Bagdad mit den UNO-Inspektoren treibt, und ahnen und hoffen, dass die Erlösung nicht mehr fern ist. Die Erwartungshaltung und die Nervosität, die man vor fast 60 Jahren in Rom gespürt haben muss, erleben wir heute im Irak, sowohl in Irakisch-Kurdistan, dem Freien Irak, das 1991 befreit wurde, als auch in den Gebieten, die vom baathistischen Regime kontrolliert werden. In meinem Büro in Sulaimaniyya treffe ich fast jeden Tag jemanden, der aus Bagdad oder anderen Teilen des Irak angereist ist. Ausnahmslos erzählen sie mir von ihrem andauernden Leiden unter dem irakischen Regime, von der Hoffnung auf ein freies Leben und ein Land, in dem sie ohne Furcht vor Vergeltung denken und sich äußern können: eine Hoffnung, die so viele versklavte Iraker bei aller Furcht umtreibt.

Heute stehe ich nicht nur als Vertreter des kurdischen Volks im Irak vor ihnen, sondern auch als Botschafter sämtlicher unterdrückten Völker des Irak. Meine irakischen Landsleute gleich welchen Hintergrunds, ob schiitisch arabisch, sunnitisch arabisch, turkmenisch oder assyrisch, Muslime, Christen oder Jesiden, sind durch das, was sie unter den Baathisten erlitten haben, vereint. Der Sturz eines rassistischen Regimes, das Chemiewaffen gegen die Kurden eingesetzt und die natürlichen Ressourcen der Nation lieber zugunsten eines Kriegs verschwendet hat, als sich um Schulen, um die Überwindung der schlimmsten Restbestände des Kolonialismus oder um den irakischen Staat, zu kümmern – das ist ein Ziel, das die Unterstützung eines jeden Sozialdemokraten verdient.“

Als Berham Saleh noch nicht Präsident des Irak war
Deutsche Friedensdemonstration 2003: „Haltet durch Gerd [Schröder] + Joschka [Fischer]!“

Nun, leider gab es nur allzu viele Sozialdemokraten, die es 2003 ganz anders sahen und einer von ihnen war deutscher Bundeskanzler. Gerhard Schröder führte sozusagen die Friedensbewegung gegen diesen Krieg an, und deshalb war es auch kein Wunder, dass, als ein breites Bündnis, das von Autonomen über Gewerkschaften bis tief ins sogenannte bürgerliche Lager reichte, im Februar zur Antikriesdemonstration nach Berlin mobilisierte, über eine halbe Million Teilnehmer erwartet wurden. Das Spektakel sollte, wie die FAZ später befriedigt feststellte, sogar die größte Kundgebung überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik werden.

Viele waren wir dagegen nicht, die mehr oder minder spontan entschieden, sich dem Ganzen irgendwie  in den Weg stellen zu wollen. Ganze dreißig Leute schafften wir zu mobilisieren, die dann am 15. Februar mit dem Schild „No Peace with Saddam“ auf dem Potsdamer Platz standen. Ich war gebeten worden, dort einen Redebeitrag zu halten, verzichtete aber und verlas stattdessen Salehs Rede, die mit entsprechendem Beifall bedacht wurde. Der andere Redner war ein furchtbar verkaterter Uli Krug, seines Zeichens Redakteur der Zeitschrift Bahamas.

Nun, wie es weiterging ist bekannt: Auch deutsche Massendemonstrationen hielten George W. Bush nicht davon ab, den Einsatzbefehl zu geben, Saddam stürzte und der Irak war von ihm befreit. Im Frühjahr reiste ich dann zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt wieder über Bagdad nach Irakisch-Kurdistan ein, und es waren damals erhebende Tage überall die zerstörten Bilder des gestürzten Diktators zu sehen. In den kurdischen Gebieten hatte man die Straßen mit Konterfeis von George W. Bush und Tony Blair förmlich gepflastert und herrschte eine Hochstimmung, die man sich heute kaum noch vorzustellen vermag.

In Suleymaniah erreichte mich dann eine Einladung  Berham Salehs. In den Monaten zuvor war ich nämlich als Sprecher eines Bündnisses der irakischen Opposition in Deutschland recht aktiv gewesen und pflegte engen und guten Kontakt zu vielen irakischen Politikern und Aktivisten. Saleh also wollte sich, wie sich herausstellte, im Namen der irakischen Kurden und der Opposition bei mir bedanken. Also stattete ich ihm zusammen mit meinem irakisch-kurdischen Kollegen Falah Muradkhin von Wadi einen Besuch in seinem Amtssitz ab. Und wie damals üblich war auch ein Fernsehsender dabei, der das ganze Treffen filmte.

Als Berham Saleh noch nicht Präsident des Irak warWir tauschten Höflichkeiten aus und kamen bald auf die Haltung der europäischen Linken zu sprechen, die ja in ihrer Mehrheit den Krieg so rigoros abgelehnt hatte. Ich beglückwünschte Saleh dann zu seiner Rede vor der Sozialistischen Internationale und betonte, wie sehr ich ihr zustimme. Das wiederum veranlasste Falah Muradkhin, dem ich von unserer Berlin-Demo „Dreißig gegen eine halbe Million“ erzählt hatte, in Kurdisch über dieses Ereignis zu berichten.  Am Abend wurde das Treffen dann im Fernsehen übertragen, und in den nächsten Wochen und Monaten passierte es mir immer wieder, dass auf der Straße oder dem Bazar wildfremde Menschen mir die Hand schüttelten und sich herzlich dafür bedankten, dass wir in Berlin gegen Saddam auf die Straße gegangen waren. Damals nämlich, und daran hat sich bis heute nichts geändert, stand die europäische Friedensbewegung, die ja, wie Jürgen Habermas und Jaques Derrida in einem Artikel schreiben, angeblich die Geburtstunde eines neuen Europa gewesen sei, in Irakisch-Kurdistan nicht sehr hoch im Kurs.

Es waren Zeiten voller Hoffnung auf Veränderung, die dann leider in Blutbädern erstickt wurde. Das aber entwertet nicht, wozu Berham Saleh in Rom seine Genossen aufrief, den Kampf für Freiheit und Befreiung von Tyrannei. Dass er nun zum Präsidenten des Irak gewählt worden ist, zeigt zumindest, dass noch ein wenig von damals erhalten geblieben ist, auch wenn er inzwischen zweifelsohne von den Abgründen und Machenschaften irakischer Parteipolitik ganz anders korrumpiert ist, als er es damals war. Leider ist die Patriotische Union Kurdistans heute auch nur noch ein Schatten ihrer selbst und auch Saleh, so westlich und moderat er als Person noch immer sein mag, ist Teil einer Partei, die als enge Verbündete des Regimes im Iran gilt. Aber so eben sind leider der Irak und die ganze Region im Jahr 2018, auch weil die Hoffnungen aus dem Frühjahr 2003 sich bislang nicht erfüllt haben.

Trotzdem: Congratulations Mr. President oder auf Kurdisch Piroza bzw. in Arabisch Mabrouk

Übrigens wurde Saelh 2011 – der arabische Frühling hatte sich noch nicht in ein Blutbad verwandelt, die Amerikaner waren gerade und viel zu früh aus dem Irak abgezogen – in einem längeren, sehr lesenswerten Interview gefragt, ob er trotz all der Toten noch immer seine Haltung von 2003 für richtig halte. Er antwortete:

„Ich für meinen Teil spüre diesbezüglich keinen Zweifel. Ich kann nicht für die Amerikaner sprechen, und ich weiß. sie tun sich mit diesem Krieg arg schwer. Die Entscheidung, Krieg zu führen, ist nie einfach. Krieg ist im Übrigen nie eine gute Option. Doch im Fall des Irak bestand die einzige Option darin, Saddam Hussein zu stürzen. Saddam Hussein beging einen Völkermord. In Kurdistan zerstörte er 4500 Dörfer und tötete im Rahmen der Anfal-Kampagne fast 82.000 Menschen. Er setzte Chemiewaffen ein, nahm ethnische Säuberungen vor und tötete tausende und abertausende Iraker. Der Irak griff seine Nachbarn an. Er stellte ein Problem für die Region und die internationale Gemeinschaft als Ganzes dar.

Ja, ich glaube, dass es um die Welt und den Irak seit dem Sturz Saddam Husseins besser bestellt ist. Das soll nicht heißen, dass die Situation acht Jahre später ideal oder gar paradiesisch wäre. Keineswegs. Der Irak hat weiterhin viele Probleme. Die Situation hat sich insofern verändert, als uns der Terror unter Saddam Hussein gewiss war. Nach Saddam haben wir es mit politischer Unsicherheit und Machkämpfen und derartigen Dinge zu tun, über die wir beide uns jetzt unterhalten.“

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