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Ägypten: Behörden gehen vor – gegen Opfer sexueller Übergriffe

Von Stefan Frank

In Ägypten wurden in letzter Zeit mehrere Frauen verhaftet, weil sie in den sozialen Medien sexuelle Gewalt oder Belästigung angeprangert hatten. Das berichtet das Wall Street Journal. „Kritik an Ägypten, der Gesellschaft oder daran, was Frauen hier geschieht, wird zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit gemacht, von der die Regierung meint, dass sie nicht Gegenstand einer öffentlichen Debatte sein soll“, sagte die Frauenrechtlerin Mozn Hassan der Zeitung.

Mozn Hassan ist über Ägypten hinaus bekannt als Leiterin der von ihr im Jahr 2007 mitgegründeten Organisation Nazra for Feminist Studies. Für ihre Verdienste bei der Dokumentation von sexueller Gewalt gegen Frauen während des ägyptischen Umsturzes im Jahr 2011 und ihren Einsatz für die Aufnahme von Frauenrechten in die ägyptische Verfassung von 2014 wurde sie mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet. Mozn Hassan ist selbst Schikanen der ägyptischen Behörden ausgesetzt; 2016 wurde sie mit einem Reiseverbot belegt, dieses Jahr wurde sie wegen ihrer Arbeit verhaftet. Zwar wurde sie auf Kaution freigelassen, doch noch immer droht ihr lebenslange Haft wegen angeblicher Verstöße gegen Artikel 78 des ägyptischen Strafgesetzbuchs. Er stellt das Annehmen von Geld „oder anderer Vergünstigungen“ aus dem Ausland unter Strafe, wenn es den Zweck verfolgt, das – nicht näher bestimmte – „nationale Interesse des Landes“ zu schädigen. Gegen dieses Interesse verstoßen angeblich auch Frauen, die im Internet über sexuelle Belästigung reden oder Videos posten, die diese thematisieren.


Wer über sexuelle Übergriffe nicht schweigt, wird verfolgt

So wurden laut dem Bericht des Wall Street Journal kürzlich zwei Frauen verhaftet und angeklagt, weil sie auf Facebook Videos gepostet hatten, in denen es um ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung in der Öffentlichkeit ging. Nach Recherchen der Zeitung waren die Videos in beiden Fällen nur für die Facebook-Freunde gedacht, hatten sich dann aber rasant weiterverbreitet. Dies habe im Internet zu einer Welle von Drohungen und Beschimpfungen gegen die Frauen geführt, die dann verhaftet wurden.

Bei der einen Frau handelt es sich um eine libanesische Touristin namens Mona Mazbouh. Sie wurde im Mai auf dem Kairoer Flughafen verhaftet, nachdem sie ein Video gepostet hatte, in dem sie sich darüber beklagte, dass sie während ihres Aufenthalts in Ägypten mehrfach Opfer sexueller Belästigung geworden sei. Sie wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie, so die Staatsanwaltschaft, „Gerüchte, die darauf zielen, die Gesellschaft zu untergraben und die Religionen anzugreifen“ verbreitet habe.  Gegen das Urteil hat sie Berufung eingelegt.

Die andere Frau ist die ägyptische Schauspielerin Amal Fathy; sie wurde im Mai in ihrer Wohnung verhaftet, nachdem sie ein Video gepostet hatte, in dem sie auf Ägypten schimpfte und sich darüber beklagte, dass ein Polizist sie in einer Bank in Kairo sexuell belästigt habe. Fathy ist angeklagt, „unanständiges Material“ besessen und „Falschnachrichten“ verbreitet zu haben.

„Behauptungen über sexuelle Belästigung rechtfertigen keine Verallgemeinerungen und Beleidigungen des Landes und seiner Bewohner“, sagte Mohamed Samir, ein Staatsanwalt, der laut dem Wall Street Journal mit der Strafverfolgung von Fällen sexueller Belästigung in Regierungseinrichtungen befasst ist, der Zeitung. Seiner Meinung nach wäre es allerdings besser gewesen, Amal Fathy lediglich mit einer Geldstrafe zu belegen und Mona Mazbouh das Visum zu entziehen.


Für Frauen die gefährlichste Stadt Welt

Laut einer im Oktober 2017 veröffentlichten Umfrage der Thomson Reuters Foundation ist Kairo für Frauen die gefährlichste Stadt der Welt. „Die ägyptische Hauptstadt … schnitt am schlechtesten ab, wenn es um Frauen verletzende kulturelle Praktiken wie die weibliche Genitalverstümmelung und Zwangsehen geht, und ist die drittschlimmste Stadt, wenn gefragt wird, wo Frauen von sexueller Belästigung und Gewalt bedroht sind“, so die Stiftung.

Weltweit Schlagzeilen machte 2011 der Fall der amerikanischen Fernsehkorrespondentin Lara Logan, die, während sie für CBS vom Tahrir-Platz in Kairo berichtete, von einem Mob von Männern umringt wurde, der ihr die Kleider vom Leib riss und sie über 25 Minuten sexuell misshandelte.

Nach einer Studie der Vereinten Nationen von 2013 wurden 99,3 Prozent der Ägypterinnen schon einmal gegen ihren Willen von Männern angefasst oder haben verbale sexuelle Belästigung erlebt. Erst 2014 wurde das in Ägypten zu einem Straftatbestand erklärt. Laut der Studie ereignen sich die meisten Fälle von sexueller Nötigung in Ägypten im öffentlichen Raum, auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Einkaufszentren. Nur ein Prozent der Opfer gab an, die Tat bei der Polizei angezeigt zu haben. Als Grund für die Nichtanzeige gaben 34 Prozent der Frauen an, dass sie um ihr Ansehen fürchteten; 23 Prozent sagten, sie hätten nicht gewusst, dass es ein Gesetz gegen sexuelle Belästigung gibt; zehn Prozent fürchteten, dass ihre Eltern ihnen nicht glauben würden; zehn Prozent nannten als Grund, dass es keine Zeugen gegeben habe; neun Prozent fürchteten, auf der Polizeiwache erneut Opfer sexueller Nötigung zu werden. Lediglich in rund jedem achten Fall schritten Passanten ein. Als Grund für das Nichteinschreiten der anderen Zeugen gaben 13 Prozent der Opfer an, dass diese wohl Angst vor dem Täter gehabt hätten; sechs Prozent sagten: „Sie dachten ich spiele Theater.“ Drei Prozent sagten: „Sie dachten, ich sei mit ihm verwandt.“ Die übergroße Mehrheit von 75 Prozent der Frauen nannte als Grund: „Es war ihnen egal.“

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