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Medico International: Kein Antisemitismus, nirgends

Katja Maurer von Medico International
Katja Maurer von Medico International (Quelle: medico international / Logo, © Imago Images / Christian Ditsch)

Die langjährige Zuständige für die Öffentlichkeitsarbeit von Medico International, Katja Maurer, lobt in einem Beitrag die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“. Das überrascht nicht: Nach dieser Deklaration ist es nicht einmal unbedingt antisemitisch, das Existenzrecht des jüdischen Staates und das Recht des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung zu bestreiten – wie Maurer es tut.

Es ist an dieser Stelle schon mehrfach betont worden: Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ ist entgegen der Behauptung ihrer Urheber kein wissenschaftliches Dokument, sondern eine politisch motivierte Deklaration. Ihre Unterstützer wollen den Hass auf Israel kleinreden und vom Stigma des Antisemitismus befreien.

Jede Stellungnahme aus dem Milieu der „Israelkritiker“, zu dem die Unterzeichner der Erklärung selbst gehören, unterstreicht das noch einmal, so auch ein jüngst auf dem Blog von Medico International erschienener Text von Katja Maurer. Für die Hilfsorganisation leitete die Autorin 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit, „heute verantwortet sie die medico-Sprache“, wie es auf der Website heißt. Wenn Maurer sich mitteilt, kann man sie also guten Gewissens beim Wort nehmen.

Zu Recht weist die Medico-Mitarbeiterin darauf hin, dass es in der gegenwärtigen Debatte über den Antisemitismus weniger um dessen Definition geht, wie sie von der International Holocaust Remembrance Association (IHRA) zum einen und in der „Jerusalemer Erklärung“ zum anderen vorgenommen worden ist, sondern vielmehr um die Auslegung anhand konkreter Beispiele.

Bei der IHRA hat der israelbezogene Antisemitismus das größte Gewicht, weil er „nachweislich heute die vorherrschende Variante“ ist, wie die Antisemitismusforscherinnen und -forscher Julia Bernstein, Lars Rensmann und Monika Schwarz-Friesel in einem Beitrag für die Jüdische Allgemeine noch einmal deutlich gemacht haben. Er kommt als Camouflage daher, ist eine Chiffre, ersetzt allzu offensichtlich antisemitisches Vokabular durch Begrifflichkeiten wie „Israel-Lobby“, „Mossad“ oder „Zionisten“.

Das geschieht, um sich „vor dem Vorwurf des Antisemitismus zu schützen und weiterhin ungestört judenfeindliche Botschaften verbreiten zu können“, wie Bernstein, Rensmann und Schwarz-Friesel festhalten. Israel fungiert so gewissermaßen als „kollektiver Jude“, und das Ressentiment tarnt sich als vermeintlich legitime Kritik an einem konkreten politischen Handeln, während es in Wahrheit stets auf die Delegitimierung und Dämonisierung des jüdischen Staates zielt.

Die „Jerusalemer Erklärung“ dagegen sei auf „die klassischen Ausdrucksformen des Antisemitismus“ fokussiert, schreibt Maurer in zustimmender Absicht: „Verschwörungstheorien, Staat-im-Staat-Ressentiments, Stürmer-ähnliche verbale oder visuelle Verunglimpfung, die Relativierung des Holocausts.“

Maurer bestreitet das Existenzrecht des jüdischen Staates

Die Existenz eines israelbezogenen Antisemitismus werde in der Deklaration gleichwohl nicht bestritten, so Maurer; er liege vor, „wenn er Stereotype des klassischen Antisemitismus auf Israel anwendet“. An solchen Stellen wird besonders deutlich, was die Unterzeichner der „Jerusalemer Erklärung“ und ihre Unterstützer – zu denen Katja Maurer gehört – im Schilde führen.

Der „klassische“ Antisemitismus ist jener der Rechten und Rechtsextremen, und mit dem will man selbstverständlich nichts zu tun haben, auch nicht, wenn er gegen Israel gerichtet ist. Diese Abgrenzung fällt leicht. Der israelbezogene Antisemitismus von Linken, der bürgerlichen Mitte und Muslimen dagegen soll keiner sein, zumindest nicht „per se“, um einmal in den Duktus der „Jerusalemer Erklärung“ zu verfallen.

Und so findet Maurer auch nichts dabei, das Existenzrecht Israels in Abrede zu stellen, wenn Israel sich als jüdischer Staat versteht und die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des jüdischen Volkes ist. Schließlich bedeute die Festlegung des jüdischen Charakters des Landes „ein Ende aller Rückkehrforderungen von Nachkommen vertriebener palästinensischer Familien“ und die Möglichkeit „weiterer ethnischer Säuberungen“.

Einen eigenen Staat, in dem sie die Mehrheit sind, sollen die Juden also nicht haben dürfen, weil sie den in den Augen von Medico ja bloß dazu missbrauchen, die Palästinenser zu knechten. Aber Maurer gesteht ihnen im Einklang mit den Unterzeichnern der „Jerusalemer Erklärung“ immerhin großzügig zu, „im Staat Israel zu existieren und sich kollektiv und individuell zu verwirklichen“.

Täter-Opfer-Verdrehung

Dass solche Ungeheuerlichkeiten nach der IHRA-Arbeitsdefinition antisemitisch sind, weiß Maurer ganz genau – und das ist auch der Grund, warum sie wie viele andere Linke ein solch großes Interesse daran hat, die Dämonisierung und Delegitimierung Israels von links aus der Begriffsbestimmung des Antisemitismus herauszudefinieren.

Natürlich nur, „um den Kampf gegen den Antisemitismus zu stärken“, wie in diesem Milieu niemand zu betonen müde wird. Denn Antisemiten, das sind bekanntlich immer nur die anderen, die Ewiggestrigen; in den eigenen Reihen findet man so etwas nicht. Wer etwas anderes behauptet, inflationiert bloß den „Antisemitismusvorwurf“ und schadet dem Kampf gegen den „wahren“ und „eigentlichen“ Judenhass.

Um es in Katja Maurers Worten zu sagen: „Letztlich geht es also darum, die Debatte um viele Fragen des israelisch-palästinensischen Konflikts und der Geschichte von Kolonialismus und Postkolonialismus in der Region auf einem politischen Feld zu führen, bei dem aber nur dann von Antisemitismus die Rede sein kann, wenn auch Antisemitismus vorliegt. Also eine Stereotypisierung und vorurteilsgeladene Sprache, die dunkle Mächte an der Macht sieht.“

Gerne wüsste man, ob eine Parole wie „Kindermörder Israel“ bei Medico eigentlich als Stereotypisierung, vorurteilsgeladene Sprache und Dämonisierung betrachtet wird – mithin als antisemitisch – oder doch wieder nur als „faktenbasierte Kritik an Israel als Staat“. Letzteres, so steht zu befürchten.

Und weiter geht es: Man könne „über die Entstehung von Israel nicht ohne 20 Jahrhunderte Verfolgung und letztlich Vernichtung des europäischen Judentums sprechen“, aber „auch nicht ohne den Kolonialismus, in den das jüdische Befreiungsprojekt eingeschrieben ist und den es zu seiner Existenzgründung auch nutzte“.

Die der Vernichtung mit knapper Not entronnenen, überlebenden Juden waren halt auch Kolonisatoren und damit Unterdrücker, heißt das, also nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Das wird man ja wohl noch aussprechen dürfen, genauso wie die Behauptung, „dass die aus der deutschen und europäischen Vernichtungsgeschichte begründete Existenz Israels und die daraus begründete jüdische Mehrheit auf die kontinuierliche Unterdrückung und Entrechtung der palästinensischen Bevölkerungsgruppen hinausläuft“.

Antisemitische Argumentationsmuster

Gut, mit solchen Kleinigkeiten wie der Ablehnung des UN-Teilungsplans durch die arabischen Staaten 1947 und deren militärischem Angriff auf den jüdischen Staat am Tag nach dessen Gründung 1948 muss man sich natürlich nicht aufhalten, auch nicht mit den weiteren Kriegen und terroristischen Angriffen seitdem, nicht mit den fortgesetzten Vernichtungsdrohungen und nicht mit dem endemischen Antisemitismus in der Region.

Für Katja Maurer ist nur eines wichtig: dass bereits die Existenz eines Staates mit jüdischer Bevölkerungsmehrheit eine Knechtschaft für die Palästinenser bedeutet. Sollte es irgendwann bei Medico keinen Platz mehr für die Autorin geben, dann kann sie immer noch die europäische Pressesprecherin der Hamas werden, so viel ist sicher.

Nein, Katja Maurer ist bestimmt keine Antisemitin, aber ihre Argumentationsmuster sind antisemitisch, wenn man eine seriöse und wissenschaftlich abgesicherte Definition wie jene der IHRA zugrundelegt und nicht die verharmlosende, hinter den Forschungsergebnissen vieler Jahre zurückgebliebene Manifestation namens „Jerusalemer Erklärung“.

Und wie zum Beweis lässt die Medico-Mitarbeiterin auch ein weiteres antisemitisches Klischee nicht aus, wenn sie schreibt, im Streit „um berechtigte oder nicht-berechtigte Kritik an der israelischen Regierung und der Verfasstheit des israelischen Staates“ sei „der Antisemitismus-Vorwurf die wichtigste Währung geworden“, vor allem für eben diese Regierung.

Die Juden und der Profit, hier ein immaterieller – vielleicht war Maurer nicht klar, welches Stereotyp sie hier bedient, aber es wird nicht besser, wenn so etwas unbewusst geschieht, weil der Antisemitismus sich eben aus unbewussten Triebregungen speist und die Motive, in denen er sich ausdrückt jederzeit als Codes aus dem kulturellen Gedächtnis abgerufen werden können.

Die Exkulpation von BDS

Am Ende ist es ihr noch wichtig, etwas zu BDS zu äußern. In der „Jerusalemer Erklärung“ seien Boykotte, Desinvestitionen und Sanktionen „explizit aus der Antisemitismus-Debatte heraus[genommen]“ worden, meint sie, um sich später in einem „Nachtrag“ zu korrigieren: „Präziser wäre gewesen, zu schreiben, dass die Erklärung explizit ‚Boycott, Desinvestment, Sanctions‘ als Forderungen bezeichnet, die im politischen Raum erhoben werden können. Sie haben insofern keinen Antisemitismus-Vorbehalt – meine Interpretation. Anders formuliert: BDS anhand seiner Forderungen nach ‚Boycott, Desinvestment, Sanctions‘ für antisemitisch zu erklären, entspricht nach meiner Auslegung nicht der Jerusalemer Erklärung.“

Und da hat sie natürlich Recht – die Urheber und Unterzeichner wären niemals auf die Idee gekommen, die gegen die Existenz Israels gerichtete BDS-Bewegung als antisemitisch zu bezeichnen. Vielmehr heißt es in der Deklaration: „Boykott, Desinvestition und Sanktionen sind gängige, gewaltfreie Formen des politischen Protests gegen Staaten. Im Falle Israels sind sie nicht per se antisemitisch.“

Und das stimmt ja auch: Wenn man davon absieht, dass die BDS-Bewegung den jüdischen Staat dämonisiert und delegitimiert; dass sie an Israel völlig andere Maßstäbe anlegt als an alle anderen Länder der Welt; dass sie das Ende des jüdischen Staates bezweckt; dass sie ein Angriff auf das Judentum ist (und nicht „nur“ auf Israel); dass sie mit denjenigen kooperiert, die Israel vernichten wollen – wenn man also von alledem absieht, was das Wesen der BDS-Bewegung ausmacht, dann ist sie nicht antisemitisch, sondern praktiziert nur gängige Formen des politischen Protests gegen Staaten.

Und wenn man davon absieht, dass es antisemitisch ist, das Recht der Juden auf Souveränität in einem eigenen Staat zu bestreiten, die Existenz des Staates Israel für ein rassistisches und kolonialistisches Unterfangen zu halten und Israel etwa durch den Vorwurf der ethnischen Säuberung zu dämonisieren – dann hat sich Katja Maurer in ihrem Text nicht antisemitisch geäußert, sondern nur ein bisschen Israel kritisiert. Mit dem unheilbar guten Gewissen, es für eine Hilfsorganisation getan zu haben, die natürlich nur der Humanität und den Menschenrechten verpflichtet ist.

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