Marokko: „Das erste Land, in dem Islamisten die Macht durch Wahlen verloren haben“

Wahlhelfer beim Asuzählen der Stimmen in Marokko
Wahlhelfer beim Asuzählen der Stimmen in Marokko (© Imago Images / Xinhua)

Bei den Wahlen in Marokko gingen die Liberalen als Sieger hervor. Demnächst werden die drei größten Städte des Landes von Frauen regiert werden.

Nach den Parlaments-, Regional- und Kommunalwahlen in Marokko vom 8. September – die der bislang regierenden islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) einen jähen Absturz bescherten – wird es auch auf kommunaler Ebene Veränderungen geben. Wenn die nun gewählten Stadträte bis Ende des Monats die Bürgermeister wählen, dann werden am Ende aller Voraussicht nach erstmals drei große Städte des Landes von Frauen regiert werden.

In Marrakesch, einer Stadt, die seit den Wahlen 2015 von Bürgermeister Mohamed Larbi Belcaid von der PJD regiert wurde, gewann die liberale Partei der Authentizität und Modernität (PAM) mit der Spitzenkandidatin Fatima Zahra El Mansouri, einer 45-jährigen Juristin. Mansouris Partei trat bei den Wahlen in einem Bündnis mit der liberalen Nationalen Sammlung der Unabhängigen (RNI) und der Mitte-Rechts-Partei Istiqlal (Unabhängigkeit) an. Die RNI ist auf nationaler Ebene der größte Gewinner der Wahlen, ihr Vorsitzender, der Unternehmer und Milliardär Aziz Akhennouch, wird neuer Ministerpräsident des Landes werden.

Fatima Zahra El Mansour war von 2009 bis 2015 schon einmal Bürgermeisterin von Marrakesch und damals die erste Frau auf diesem Posten. Die allererste Bürgermeisterin einer marokkanischen Großstadt überhaupt war Asma Chaabi, die 2003 zur Bürgermeisterin von Essaouira gewählt wurde.

In der Hauptstadt Rabat gewann die RNI mit ihrer Spitzenkandidatin Asmaa Ghlalu, einer Journalistin, die bislang Abgeordnete im Repräsentantenhaus war, dem Unterhaus von Marokkos Parlament.

In Casablanca wird Nabila Mounib neue Bürgermeisterin werden. Die 61-jährige Ärztin, die an der Universität Rabat und in Montpellier, Frankreich, studiert hat, ist Generalsekretärin der Vereinigten Sozialistischen Partei (PSU). Sie ist die erste Frau an der Spitze einer marokkanischen Partei.

Marokko ist eine konstitutionelle Monarchie mit einem Zwei-Kammer-Parlament und einer föderalen Gliederung in zwölf Regionen. König ist seit 1999 Mohammed VI.

„Marokko ist das einzige Land, wo die Islamisten durch die Wahlurnen an die Macht gekommen sind und von dort wieder verschwunden sind, auf demokratische Weise, ohne Gewalt“, sagt der an der Universität Aix-Marseille lehrende marokkanische Politikwissenschaftler Mohamed Tozy (65) in einem Interview mit der französischen Monatszeitschrift Jeune Afrique. Die Monarchie habe „der Zeit vertraut“, um „das politische Feld zu verändern“.

Stimmen haben Wert

Als Gründe für das starke Abschneiden der liberalen Opposition sieht Tozy die Überzeugungsarbeit bei den Wählern. „Seit fünf Jahren“ habe sich die RNI auf diese Wahlen vorbereitet, und die Istiqlal „seit drei Jahren”, nämlich seit der Absetzung des umstrittenen damaligen Generalsekretärs Hamid Chabat. „Und die Ergebnisse hat man jetzt gesehen. Beide haben sehr stark abgeschnitten. Doch die RNI hat gewonnen, weil sie zwei Jahre Vorsprung hatte”, so Tozy.

Seit Aziz Akhannouch 2016 Vorsitzender der RNI wurde, habe die Partei Basisarbeit gemacht, mit Wählerbefragungen und einem ambitionierten „100 Städte, 100 Tage”-Programm zur Modernierierung. „Sie sind rausgegangen und haben mit Tausenden von Leuten gesprochen.“

Zudem orientiere sich die Partei auf Wohltätigkeit und lokale Entwicklung. „Es ist nicht nur das Geld, wie wir gehört haben, sondern auch die Strategie, die in jeder Hinsicht der der PJD gleich, minus die Moschee.”

Der Politikwissenschaftler glaubt, dass die marokkanischen Wähler bei den Wahlen vom 8. September erstmals angefangen hätten zu glauben, dass ihre Stimmen Wert haben. „Das ist neu. Wir sehen das, wenn wir mit Leuten über die Wahlniederlage der PJD sprechen und sie sagen: ‚Wir haben sie vom Sockel gestoßen.’”

Tozy glaubt, dass „nicht ideologische Gründe“ dafür verantwortlich seien, sondern „Misswirtschaft“ der PJD. Eine „kleinere Rolle“ habe gespielt, dass die PJD sich „auf Moral beruft, ohne im täglichen Verhalten ein Beispiel zu sein“. „Es gibt einen gewissen Verdruss ob der Vorstellung, dass Religion instrumentalisiert wird.“

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