Erweiterte Suche

„Man darf Kopftuch nicht ohne Dimension des religiösen Drucks sehen“

„Man darf Kopftuch nicht ohne Dimension des religiösen Drucks sehen“
Elham Manea

E.M.: Islamisten instrumentalisieren die Bürde des weißen Mannes, d.h. die mit dem Kolonialismus und Imperialismus verbundenen Schuldgefühle, die dazu geführt haben, dass viele Linke und Liberale glauben, sie müssen bestimmte Gruppen, wie etwa die Muslime, beschützen. Aber während sie das tun, verleugnen sie ihre eigenen Werte, die darauf basieren, dass Menschen als gleichwertig betrachtet werden, als Bürgerinnen und Bürger, als Individuen, die vor dem Gesetz gleich sind. Stattdessen reduziert man Muslime auf ihre religiöse Identität. Das bedeutet, man sieht mich nicht als Elham Manea mit der Vielfältigkeit meiner Identität, sondern nur als muslimisch religiösen Menschen, obwohl ich womöglich gar nicht sehr gläubig bin. Muslime gehören gemäß diesem Paradigma alle in die Gruppe der Muslime, die als Gruppe über Rechte verfügt. Interessanterweise hat dies dazu geführt, dass Politiker und Politikerinnen oft die Zusammenarbeit mit Islamisten suchen, weil diese ihre Wahrnehmung davon, was ein Muslim ist, bestätigen. (…)

H.H.: Mir fällt auf, dass sich in der Gesellschaft ein bestimmtes Bild vor allem von der Muslimin durchsetzt: Die muslimische Frau ist die Frau mit Kopftuch. Wenn ein Politiker sich mit ‚Muslimen‘ zeigen will, müssen Frauen mit Kopftuch dabei sein, und wenn Medien über ‚Muslime‘ der den Islam berichten, ist auf dem Bild meist eine Frau mit Kopftuch zu sehen.

E.M.: Ja, und damit sagen sie alle, dass Frauen muslimischen Glaubens, die kein Kopftuch tragen – und das ist die überwiegende Mehrheit der muslimischen Frauen – keine richtigen Musliminnen sind. Das ist ein Diskurs, der von Islamisten in der islamischen Welt geführt und gefördert wird und ich finde es befremdlich, dass wir denselben Diskurs jetzt auch hier haben. Er besagt im Kern, dass eine gute Muslimin Kopftuch trägt und das Kopftuch ein islamisches Symbol ist. Aber nein! Es ist kein islamisches Symbol, es ist ein islamistisches Symbol. (…) Man muss nur genau hinschauen, was in der islamischen Welt passiert ist, was Islamisten machen, wenn sie die Kontrolle über eine Gesellschaft übernehmen. Was machen sie als erstes? Sie schreiben eine Ordnung vor, in der die Frauen Kopftuch oder Burka tragen müssen. Da geht es nicht mehr um Freiheit. Das war so im Iran, in Afghanistan mit den Taliban, in Saudi Arabien, im Sudan mit der Muslimbruderschaft, in Gaza mit der Hamas und das war so mit dem IS in Syrien und dem Irak. (…)

Ich war eine der ersten Unterzeichnerinnen der Kampagne für ein Verbot des Kopftuchs in Schulen von terre des femmes in Deutschland. Ich verstehe auf der einen Seite die Ängste jener, die sagen, dass die jungen Mädchen dadurch in der Schule ausgegrenzt werden. Aber ich muss auf der anderen Seite auch darauf beharren, dass man das Kopftuch nicht ohne die Dimension des religiösen und sozialen Drucks sehen darf. In meinem Buch zeige ich das am Beispiel der belgischen Gemeinde Antwerpen: Wo die Anzahl muslimischer Schüler eine kritische Masse in einer Schule oder einem Viertel erreicht, bekommen Gruppendruck und -dynamik eine solche Durchschlagskraft, dass die Mädchen gezwungen werden, Kopftuch zu tragen. Hier gibt es keine Wahlfreiheit mehr. Aus meiner Sicht müssen wir aus den Schulen einen safe space machen, einen sicheren Ort schaffen. Es geht nicht, dass ihnen an diesem Ort gesagt wird, entweder du trägst das Kopftuch oder du bist eine Schlampe. Was eine österreichische Lehrerin in ihrem Buch ‚Kulturkampf im Klassenzimmer‘ schildert, entspricht genau dem, was in der Schule in Antwerpen passiert ist, die ich in meinem Buch beschreibe. Oder auch in Molenbeek in Brüssel. Das sind keine Einzelfälle, das passiert in Deutschland, in Österreich, in Belgien, in Großbritannien. (…)

In unseren freien Gesellschaften haben [die Muslimbrüder] ein Recht darauf, Organisationen aufzubauen. Und sie haben die Ressourcen und verfügen über das Geld, das in großem Stil zu tun. Dabei präsentieren sie sich als Sprecher der muslimischen Gemeinschaft. Aber die Anliegen, die sie dabei vertreten, sind islamistische Anliegen, nicht die Anliegen der Mehrheit der Muslime. Ihr Ziel ist das gleiche wie in islamischen Ländern: Sie wollen die Kontrolle über die Kindererziehung, über den Lehrstoff der Schulen und die Ausbildung der Imame. Wenn ihnen das gelingt, dann wissen sie, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie eine Generation geprägt haben, die gemäß ihrer Lesart des Islam lebt, denkt und handelt.“

(Elham Manea, Autorin des Buches „Der alltägliche Islamismus. Terror beginnt, wo wir ihn zulassen“, im Gespräch mit Heiko Heinisch: „Auch eine Muslimin kann sexuell frei sein“).

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!