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(Mal wieder) Ein Ablenkungsmanöver von Mbembe-Fans

Özyürek und Dekel: Antisemitismusvorwurf soll unliebsame Stimmen zum Schweigen bringen
Özyürek und Dekel: Antisemitismusvorwurf soll unliebsame Stimmen zum Schweigen bringen (Quelle: Youtube, CfIS, Heike Huslage-Koch)

Zwei Professorinnen behaupten, in Deutschland würden mithilfe des „Antisemitismusvorwurfs“ linke, migrantische, marginalisierte Positionen zum Thema Israel zum Schweigen gebracht. Der Anti-BDS-Beschluss des Bundestages hat diesbezüglich aus ihrer Sicht katalysierend gewirkt. Belege für diese Thesen liefern die Autorinnen nicht, dafür raunen sie umso mehr.

Die monatelange Debatte über den postkolonialen Philosophen und Historiker Achille Mbembe ist weitgehend beendet, nun gehen die Ersten daran, die Folgen und Konsequenzen auszuführen, die sie aus ihrer Sicht haben könnte.

Nicht gegen Antisemitismus, sondern gegen den Antisemitismusvorwurf

Auf Zeit Online haben dies in der Rubrik „10 nach 8“ Esra Özyürek und Irit Dekel getan. Özyürek ist Professorin für Europäische Anthropologie und lehrt an der London School of Economics, Dekel ist Professorin für Germanistik und Jüdische Studien an der Universität in Bloomington, USA. Ihre Kernthese dreht sich um den Begriff „Antisemitismusvorwurf“, wodurch bereits deutlich wird, dass es nach ihrem Dafürhalten in der Diskussion nicht um Kritik ging und geht, sondern um Beschuldigung und Bezichtigung.

„Wir gehen davon aus“, so schreiben Özyürek und Dekel, „dass in Deutschland der Vorwurf des Antisemitismus zu einem Instrument geworden ist, um linke und marginalisierte Positionen, gerade wenn sie von People of Color, Juden, Afrikanern, Muslimen, Nichtdeutschen und gerade auch Frauen vertreten werden, zum Schweigen zu bringen“.

Auf diese Weise solle „von der tatsächlich wichtigen und notwendigen Diskussion über Antisemitismus und Rassismus abgelenkt werden“. Die „Vorwürfe und Ausschlüsse“ hätten sich seit dem Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung vom Mai 2019 „noch einmal wesentlich verschärft“.

Wer da nach Ansicht der Autorinnen vorwirft, ablenkt und ausschließt, ist oft unklar. Denn Özyürek und Dekel verwenden häufig Passivkonstruktionen oder lassen anderweitig offen, wen sie meinen, wenn sie kritisieren.

So schreiben sie beispielsweise, die „Verunglimpfung von Mbembe im Zusammenhang mit Antisemitismus“ – und damit meinen sie auch die vielen Texte, die sich gründlich und kenntnisreich mit den kritikwürdigen Äußerungen des Philosophen zu Israel auseinandergesetzt haben – sei „kein Einzelfall“ gewesen. Vielmehr stehe sie „in einer langen Reihe anderer Fälle, in denen Nichtdeutsche und Deutsche mit arabischem, türkischem, afrikanischem oder jüdischem Hintergrund […] des Antisemitismus beschuldigt oder in die Nähe von Antisemitismus gerückt wurden“. Von wem, sagen sie nicht.

Es gebe „viele, bisher ungezählte“ Fälle, „die sich oft ohne öffentliche ‚Debatte‘ und Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert, in ihrer Reputation beschädigt und zum Schweigen gebracht sahen“, führen die Verfasserinnen weiter aus.

Auch hier bleibt offen, wer konfrontiert, wer beschädigt und wer zum Schweigen gebracht hat. „Wir haben den Eindruck, dass mit der Verlagerung des Vorwurfs auf linke und linksliberale und Minderheiten-Positionen von der tatsächlich wichtigen und notwendigen Diskussion über Antisemitismus und Rassismus abgelenkt werden soll“, heißt es weiter. Wer genau lenkt da ab? Man erfährt es nicht.

Raunen, andeuten und behaupten, ohne zu belegen

Erst als Özyürek und Dekel den Rücktritt von Peter Schäfer, Direktor des Jüdischen Museums Berlin, als Beispiel für die Folgen von „Antisemitismusvorwürfen“ nennen, kommt ihre Rede einmal auf konkrete Protagonisten, nämlich den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, die amerikanische Botschaft und den Zentralrat der Juden in Deutschland.

Sie alle hätten zuvor eine Ausstellung des Museums zu Jerusalem „mit scharfer Kritik überzogen“. Schäfers Rücktritt erfolgte schließlich, nachdem sein Museum in einem Tweet einen Artikel, in dem es um eine Kritik am Anti-BDS-Beschluss des Bundestages ging, als „#mustread“ empfohlen hatte.

Kurz darauf schreiben die Autorinnen: „Die Mehrheitsgesellschaft, die in Deutschland immer noch weiß, männlich und christlich geprägt ist, beansprucht mit ihren eigenen Deutungsbedürfnissen die Interpretationshoheit darüber, was Antisemitismus sein soll, und geht dafür mit überwiegend konservativen jüdischen Interessenvertreter*innen Allianzen ein.“

Damit wird zumindest an einer Stelle des Textes bezeichnet, wem Özyürek und Dekel vorhalten, andere mithilfe des „Antisemitismusvorwurfs“ mundtot machen zu wollen. Auch wenn Begriffe wie „Mehrheitsgesellschaft“ und „jüdische Interessenvertreter“ hier merkwürdig unpräzise und grobschlächtig sind. Aber das ist vielleicht kein Zufall. Die beiden Verfasserinnen bleiben jedenfalls insgesamt stark im Ungefähren, sie raunen, deuten an und behaupten, ohne zu belegen. Es ist ganz offenkundig ein Beitrag für ein Publikum, das schon wissen wird, was und wer gemeint ist, und das die Grundannahmen teilt.

Özyürek und Dekel zeichnen das Bild einer gesellschaftlichen und diskursiven Hegemonie der Israelfreunde in Deutschland, die angeblich mit einer rassistisch motivierten Instrumentalisierung des „Antisemitismusvorwurfs“ einhergeht. Sie plädieren deshalb dafür, den „Ausweitungen des Antisemitismusvorwurfs entschiedener entgegenzutreten“.

Kein Ablenkungsmanöver, sondern notwendige Kritik

Es sei noch einmal daran erinnert, dass Achille Mbembe behauptet hat, Israel verfahre mit den Palästinensern weitaus schlimmer als Südafrika während der Apartheid mit seinen schwarzen Bürgerinnen und Bürgern, wende „Techniken der materiellen und symbolischen Auslöschung“ an und betreibe eine „fanatische Zerstörungspolitik“. Er hat sich zu dem Urteil verstiegen, die Israelis betrachteten die Palästinenser als „Müll“, der entsorgt werden müsse, und das den „größten moralischen Skandal unserer Zeit“ genannt. Die israelische Politik hält Mbembe für eine Folge davon, dass die Juden den Nihilismus der Nationalsozialisten, von denen sie verfolgt und vernichtet wurden, verinnerlicht hätten.

Will, wer diese Ungeheuerlichkeiten kritisiert und nicht möchte, dass der Urheber solcher Sätze ein großes Kulturfestival mit einer Rede eröffnet, bloß eine marginalisierte Person of Color zum Schweigen bringen, um von der „tatsächlich wichtigen und notwendigen Diskussion über Antisemitismus und Rassismus abzulenken“?

Mit Verlaub: Das wäre absurd, und das nicht nur deshalb, weil Mbembe als prominenter und angesehener Philosoph keineswegs marginalisiert ist. Wer sich antisemitisch äußert, muss nun mal damit rechnen, dafür kritisiert zu werden. Die Hautfarbe darf dabei so wenig eine Rolle spielen wie die Herkunft, die Staatsangehörigkeit, der Glauben, das Geschlecht oder die politische Zugehörigkeit.

Genau diese Kritik ist wichtig und notwendig und weder ein bloßer Vorwurf noch ein Manöver, um vom „eigentlichen“ Antisemitismus – womit ausschließlich der rechte und rechtsextremistische gemeint ist – abzulenken. Es ist deshalb nicht wahr, dass „der Vorwurf des Antisemitismus“ auf „rassifizierte und marginalisierte Gruppen ausgedehnt“ wird, um sie „aus der Öffentlichkeit zu verdrängen“, wie Özyürek und Dekel glauben.

Und es stimmt auch nicht, dass „die Reduzierung auf die Frage, ob Kritik an Israel legitim oder illegitim ist, […] die Diskussion über das Verhalten der Akteur*innen [verhindert], die tatsächlich Rassismus und Hass verbreiten“. Eine solche Reduktion findet nicht statt, wie es überhaupt falsch ist, eine Dominanz proisraelischer Kräfte und Positionen in Deutschland zu behaupten.

In den Medien, den öffentlich-rechtlichen wie den privaten, sind die „Israelkritiker“ tonangebend, und in der Politik steht der Beteuerung der Kanzlerin, die Sicherheit Israels gehöre zur deutschen Staatsräson, und dem Anti-BDS-Beschluss vieles gegenüber, was ganz gewiss nicht im Sinne des jüdischen Staates ist: das ständig gegen Israel gerichtete Abstimmungsverhalten Deutschlands in den Gremien der UNO beispielsweise, die Maßregelungen auf diplomatischer Ebene oder die freundliche Zurückhaltung gegenüber dem Iran.

Der islamische Antisemitismus ist kein Randphänomen

Dass ein „Israelkritiker“ ausgeladen wird oder anderweitige Nachteile in Kauf nehmen muss, ist demgegenüber eher selten. Özyürek und Dekel schätzen die diesbezüglichen Kräfteverhältnisse schlicht falsch ein.

Bezeichnend ist auch, dass sie den Antisemitismus unter Muslimen partout nicht sehen wollen. Muslime würden – von wem, wird erneut nicht ausgeführt – „als Gefahr für die jüdische Bevölkerung und für Israels Existenzrecht gebrandmarkt wegen vermeintlicher antisemitischer Einstellungen, die sie aus ihren Heimatländern ‚importiert‘ hätten, auch wenn sie schon seit Generationen in Deutschland leben“, schreiben sie.

Allerdings ist es nicht von der Hand zu weisen, dass etwa die großen israelfeindlichen Demonstrationen der Jahre 2008/09 und 2014 in Deutschland von Islamisten dominiert wurden. Dort zu hörende Parolen wie „Kindermörder Israel“ oder „Jude, Jude, feiges Schwein“ würde zwar gewiss jeder deutsche Neonazi teilen. Gerufen wurden sie aber nun mal von antisemitischen Muslimen, darunter auch solchen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.

Wenn die AfD versucht, ihren rassistischen Hass auf Muslime zu rationalisieren, indem sie auf antisemitische Äußerungen und Handlungen von ihnen verweist, aber gleichzeitig selbst zutiefst antisemitisch ist, lässt sich das problemlos benennen und kritisieren. Das Problem des islamischen Antisemitismus existiert trotzdem. Und der Hinweis von Özyürek und Dekel darauf, dass die weitaus meisten antisemitischen Übergriffe laut offiziellen Statistiken von Rechtsextremisten verübt werden, lässt unerwähnt, dass es an dieser Statistik schon seit einer Weile Zweifel gibt.

Zum einen widerspricht sie den Erfahrungen von Jüdinnen und Juden in Deutschland deutlich. Zum anderen werden antisemitische Äußerungen und Taten, bei denen die Urheberschaft unklar ist, automatisch der Kategorie „rechtsextremistisch“ zugeordnet. Und selbst „Sieg Heil“-Rufe auf einer antisemitischen Al-Quds-Demonstration in Berlin wurden in der Polizeistatistik als politisch motivierte Kriminalität mit rechtsextremem Hintergrund gewertet. Das sollte man zumindest problematisieren, wenn man über das Thema Antisemitismus spricht und schreibt.

Es gibt kein Recht auf staatliche Förderung eines Israel-Boykotts

„Wir enthalten uns in diesem Rahmen einer Stellungnahme zum BDS, dessen Einfluss in Deutschland schon vor der Resolution äußerst gering war“, schreiben Esra Özyürek und Irit Dekel zum Ende ihres Textes. Die Anti-BDS-Resolution des Bundestages werde jedenfalls dazu benutzt, „die Ausschlussprozesse weiterzutreiben, linke und postkoloniale Intellektuelle öffentlich zu maßregeln und vom offiziellen Narrativ abweichende Darstellungen der Geschichte Israels zu unterdrücken“.

Die armen Boykotteure! Müssen am eigenen Leib erleben, wie sich so ein Ausschluss anfühlt, den sie selbst betreiben.

Abgesehen davon möchte man die Autorinnen gerne fragen, ob sie eigentlich mitbekommen haben, dass Mbembes Verteidiger, postkoloniale Intellektuelle und andere „Israelkritiker“ in nicht gerade randständigen Medien höchst gefragt sind, handle es sich nun um den Deutschlandfunk, die taz, die Süddeutsche Zeitung oder eben Zeit Online. Eine Unterdrückung findet da gewiss nicht statt.

Ansonsten gilt: Es gibt kein Recht auf staatliche Förderung eines Israel-Boykotts. Und den Boykotteuren und Boykottbefürwortern jeglicher Couleur geht es ja auch nicht bloß um eine „vom offiziellen Narrativ abweichende Darstellung der Geschichte Israels“, sondern um das Ende des jüdischen Staates. Sie als Opfer einer proisraelischen Meinungsdiktatur darzustellen, wie Özyürek und Dekel es tun, geht völlig an der Sache vorbei.

Und es zeugt von einem bedenklichen Wirklichkeitsverlust. Das „perfide Ablenkungsmanöver“, das die Verfasserinnen behaupten, ist ihr eigenes.

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