Mahmud Abbas lässt oppositionelle Medien zensieren

Palästinensische Journalisten und Aktivisten protestieren gegen das Urteil des Magistratsgericht in Ramallah
Palästinensische Journalisten und Aktivisten protestieren gegen das Urteil des Magistratsgericht in Ramallah (Quelle: Twitter)

Auf Antrag des Generalstaatsanwalts hat ein Gericht in Ramallah Ende Oktober knapp sechzig palästinensische Websites verboten. Damit setzt die Palästinensische Autonomiebehörde unter ihrem lebenslangen Präsidenten Mahmud Abbas den Aufbau eines diktatorischen Polizei- und Überwachungsstaat fort.

Das Magistratsgericht in Ramallah – eine niedere Instanz, die für Strafrecht zuständig ist, vergleichbar den deutschen Amtsgerichten – bestätigte am 24. Oktober seine Entscheidung vom 17. Oktober, 59 Websites und Social-Media-Seiten in den Palästinensischen Autonomiegebieten zu sperren. Grundlage ist Artikel 40 des Dekrets über Cyberkriminalität, der besagt:

„Enthält eine Website, die innerhalb oder außerhalb des Landes gehostet wird, Aussagen, Zahlen, Bilder, Filme, Propaganda oder anderes Material, das die nationale Sicherheit, den inneren Frieden, die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Moral gefährden kann, sollen die befugten Ermittlungs- und Kontrollbehörden ein Ersuchen an den Generalstaatsanwalt oder einen seiner Vertreter richten, in dem sie verlangen, dass die Website oder Links zu ihr geblockt werden, sodass sie nicht mehr angezeigt werden kann.“

Das Dekret wurde im Juni 2017 von Mahmud Abbas unterzeichnet, ohne den Palästinensischen Legislativrat zu konsultieren. Der 2006 gewählte Legislativrat ist – auf dem Papier der Verfassung – das Parlament der Palästinensischen Autonomiegebiete und somit der Gesetzgeber. Er tagte zum letzten Mal im Jahr 2007 und wurde im Dezember 2018 von Abbas auch formell aufgelöst. In Abwesenheit einer Legislative fühlt Abbas sich ermächtigt, nach eigener Laune Gesetze zu erlassen.

Mundtotmachen oppositioneller Stimmen

Betroffen von dem Verbot sind auch Facebookseiten (obwohl es wohl technisch unmöglich sein wird, sie zu sperren – es sei denn, Facebook kooperiert mit der PA). Auch soziale Medien nämlich sind dem Diktator ein Dorn im Auge.

Das Fehlen freier und unabhängiger Medien in den von der PA kontrollierten Gebieten habe viele palästinensische Journalisten, Blogger und politische Aktivisten dazu veranlasst, auf Facebook und Twitter zurückzugreifen, schrieb der arabisch-israelische Journalist Khaled Abu Toameh 2017. Dort äußerten sie ihre Meinung, Beschwerden und diskutierten Tabuthemen wie etwa die Korruption in der Spitze der Palästinensischen Autonomiebehörde.

„Das neue Gesetz legalisiert, was in den von der PA kontrollierten Gebieten seit langem geschieht. Die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde haben seit langem Palästinenser ins Visier genommen, die kritische und kontroverse Kommentare in den sozialen Medien veröffentlichen“, so Toameh.

„Kaum eine Woche vergeht, ohne dass zwei oder drei Palästinenser wegen einer Facebook- oder Twitter-Veröffentlichung oder eines Kommentars von den PA-Sicherheitskräften verhaftet oder zum Verhör geladen werden. Viele Palästinenser wurden in Gewahrsam genommen, weil sie einen Beitrag, einen Artikel oder ein Foto ‚geliked’ oder geteilt haben, der oder das als Beleidigung von Abbas oder einem hochrangigen PA-Beamten eingestuft wurde.“

Wendepunkt in der Unterdrückung

Das Cyber-Crime-Gesetz sei „ein Wendepunkt in der Unterdrückung“, befand Toameh: „Zuvor gab es kein Gesetz, das Palästinenser daran hinderte, ihre Meinung auf Social-Media-Plattformen zu äußern.“ Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes kann jeder Journalist und jeder Nutzer sozialer Medien für Dinge, die er im Internet schreibt, teilt oder die er mit einem Facebookdaumen markiert, wegen „Untergrabung der inneren oder äußeren Sicherheit des Staates“ bestraft werden. Mindeststrafe: sechs Monate Haft.

Die vom Generalstaatsanwalt vorgelegte dreiseitige Liste enthält laut der Jerusalem Post Websites, die mit der Hamas und Abbas’ Gegnern verbunden sind – etwa dem hochrangigen Fatah-Funktionär und Abbas-Gegner Mohammad Dahlan. „Das in Ramallah ansässige Gericht akzeptierte das Argument [des Generalstaatsanwalts] und stimmte zu, dass die Websites ‚Symbole der Palästinensischen Autonomiebehörde’ angriffen und beleidigt hätten“, so die Jerusalem Post. Auch arabischsprachige Websites mit Sitz im Ausland seien betroffen.

Internationale Journalistenvereinigungen haben die Palästinensische Autonomiebehörde dazu aufgerufen, das Verbot aufzuheben. Auf Twitter protestieren Nutzer unter dem Hashtag #BlockingIsACrime. Faten Elwan, ein Journalistin des Nachrichtensenders Alhurra-TV, sagte, das Verbot verfolge den Zweck, Journalisten zur Selbstzensur zu zwingen:

„Wir verwandeln uns in einen Polizeistaat, der nur einigen Beamten dient und jeder, der etwas gegen sie sagt, ist laut dem Cyberkriminalitätsgesetz ein Krimineller. Was einige Leute in der Palästinensischen Autonomiebehörde versuchen zu tun, ist, jeden – Journalisten, Reporter, die Öffentlichkeit – zu Mitgliedern eines Polizeistaates zu machen, wo jedes Wort, das du sagst, gegen dich verwendet werden kann. Du musst zweimal nachdenken, ehe du ein Wort sagst.“

Abbas löst Gewaltenteilung auf

Zusätzlich zu seiner Kontrolle über die Exekutive und Legislative hat Abbas in den letzten Jahren auch mehr und mehr die Kontrolle über die Judikative übernommen.

2016 setzte er ein mit eigenen Leuten besetztes neunköpfiges Verfassungsgericht ein. Im September 2018 traten 15 von 27 Richtern des Obersten Gerichtshofs zurück, aus Protest gegen eine Justizreform, von der sie sagen, dass sie die Justiz der Exekutive unterstellt. Abbas hatte zahlreiche Richter erlassen und die Posten mit Getreuen besetzt.

Zudem hatte er den Hohen Justizrat – eine Beschwerde-, Kontroll- und Appellationsinstanz – aufgelöst und durch ein von ihm neu geschaffenes Gremium ersetzt. In ihrer Erklärung rügten die Richter zudem, dass immer wieder Richter auf offener Straße von Unbekannten oder von Mitgliedern der PA-Polizei überfallen, verprügelt und verletzt würden.

Als Reaktion auf die Proteste gegen das Verbot von Websites hat die PA laut der Jerusalem Post eine Erklärung veröffentlicht, in der sie sich zum „Schutz der Meinungsfreiheit“ bekennt. Websites und soziale Medien müssten allerdings „professionellen und ethischen Standards“ genügen.

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