Lüders doziert an Uni Trier über die wahren „Strippenzieher“

Es passiert nicht alle Tage, dass eine Universität einen äußerst umstrittenen Nahostexperten einlädt, den man eigentlich eher als Gast aus Talkshows kennt. Oder aus dem Grund, dass seine bestenfalls populärwissenschaftlichen Bücher über den Nahen Osten neben denen von Jürgen Todenhöfer – eines weiteren bestsellerverfassenden „Nahost-Experten“ –  in den großen Buchhandlungen ausliegen.

Andreas Stahl

Am vergangenen Montag, dem 24. April, jedoch fand die erste von drei Gastvorlesungen des Islam- und Politikwissenschaftlers Michael Lüders an der Universität Trier statt. Die erste Lesung, die Lüders – ganz ohne Hilfsmittel – vortrug, hatte den Titel „Wie nahe ist der Nahe Osten? – Über die Folgen einer verfehlten westlichen Interventionspolitik“. Im Vorfeld wurde ein offener Brief veröffentlicht, der Lüders vor allem Unwissenschaftlichkeit, Verharmlosung des Islamismus (insbesondere des iranischen), Delegitimierung israelischer Sicherheitsinteressen sowie die Bedienung verschwörungsideologischen Denkens vorwarf. Dass diese Vorwürfe nicht nur berechtigt sind, sondern ergänzt werden müssen, wurde spätestens bei dem Vortrag deutlich.

Lüders begann mit der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass „alles mit allem zusammenhängt“ und erzählte vor ca. 200 Leuten im prall gefüllten Hörsaal der Uni Trier seine Geschichte – und die hat es in sich. Lüders nämlich hegt den Anspruch, die „eigentlichen Gründe“ für die Geschehnisse im Nahen und Mittleren Osten offenzulegen. Diese Gründe seien ausschließlich geopolitischer Art. Geopolitik jedoch sei ein „Geschäft im Dunkeln“, betrieben von „Strippenziehern“ – die man sich vorzustellen habe als „ältere Herren in dunklen Anzügen“.

Die Vorstellung, westliche Interventionspolitik beruhe auf Werten, sei „eingepflanzt“ in die Köpfe und werde vor allem von der „herrschenden Politik und den Medien“ reproduziert. Es gebe also einen, von ihm so bezeichneten, „Überbau“, der beispielsweise suggeriere, islamistische Anschläge im Nahen Osten und Europa hätten etwas mit Religion zu tun. Den „Überbau“ habe man sich in Bezug auf die „eigentlichen Gründe“ (Basis) so vorzustellen wie das Verhältnis von „Internet“ und „Darknet“ (klar, oder?).

Statt ideologisch motiviert seien jene Anschläge, ebenso wie bspw. die Existenz des Islamischen Staates oder anderer djihadistischer Gruppierungen, jedoch die direkte Folge westlicher Interventionspolitik im Nahen und Mittleren Osten, die vor allem die USA in Form einer Politik der „regime changes“ vorantrieben. Und das täten sie noch heute im selben Maße wie beim syrischen Putsch von 1949. Man habe stets die Frage des „Cui bono?“ zu stellen – Geopolitik handle niemals humanitär. Es folgten lange Ausführungen über angebliche Hinterzimmergespräche, viele CIA-Putsche und persönliche Anekdoten, um letztlich bei der immergleichen Aussage herauszukommen: „Es geht immer um Geopolitik, um Machtpolitik, um nichts anderes.“ Und das natürlich vor allem vonseiten der USA und Israels, während Europa sich den Interessen der USA zu fügen habe.

Lüders doziert an Uni Trier über die wahren „Strippenzieher“
Literaturliste in „Iran: Der falsche Krieg“ von Dr. Michael Lüders. (Zur Vergrößerung auf Bild klicken)

Lüders spielte an auf eine, in seinen Büchern auch explizit genannte, ominöse „Israel-Lobby“ (zu dem Buch, auf das Lüders sich bei Verwendung des Begriffes u.a. bezieht, eine Kritik von Alan Posener). Bei Teilen des Publikums kam dies gut an und so spielte dann auch kaum noch eine Rolle, dass sich seine anthropologischen und gesellschaftstheoretischen Annahmen eher durch Dürftigkeit auszeichneten. Da ist einerseits die Vorstellung der einheitlichen Interessen einer amerikanisch-israelischen Machtelite, die stets „rational“ handle und zwar seit den 1940er-Jahren nach immer demselben Muster.

Diese monokausale, deterministische Erklärung funktioniert natürlich nur unter vollkommener Missachtung widerstreitender politischer Akteure sowie selbstständiger und kontingenter sozialer Prozesse, die gerade nicht vorausgesehen werden können, sondern häufig nicht-intendierte Nebenfolgen produzieren, die ihrerseits der Einordnung und Erklärung bedürfen – eine ebenso basale wie banale Grundannahme soziologischer Theorie. Hinzu kommt Lüders’ Einstufung verschiedener Formen von Ideologie als „Überbau“.

Demnach könnten Ideologeme bzw. bestimmte gefestigte Ideologien keine eigene individual- und sozialpsychologische Bewegung entwickeln, sondern seien immer bloß Mittel zur Verschleierung der „eigentlichen“ Interessen der machtorientierten „Eliten“ (ein offensichtlicher Lieblingsbegriff Lüders’, der allgemein klassische Anti-Establishment-Topoi bedient). Dieser mindestens unterkomplexen Sozialtheorie folgt schließlich auch die abenteuerliche Annahme, Ideologie bzw. Religion habe mit terroristischen Anschlägen nichts zu tun. Stattdessen führt Lüders sie auf geopolitische Gründe zurück – und zwar ohne irgendeine Vermittlung.

Welche Schuld Geopolitik daran trägt, dass ein belgischer, deutscher oder französischer Konvertit in den Djihad zieht, ist nur eine der vielen Fragen, die Lüders unbeantwortet lässt. Warum westliche Demokratien nach Lüders nicht „besser“ oder „schlechter“ seien als Diktaturen oder autoritäre Regime, ist eine andere. Seine Vulgäranthropologie ergänzt Lüders dann folgerichtig mit moralischem Relativismus, der sich prägnant in seinem vorgeschlagenen Umgang mit diktatorischen Regimes ausdrückt:

„Ihr seid OK, wir sind OK. Wir mögen uns vielleicht nicht in ideologischer Hinsicht, aber wir müssen lernen miteinander auszukommen – wir mit Euch, Ihr mit uns. Jetzt lasst uns einfach Deals machen, lasst uns reden: Wo sind Eure Interessen, wo sind unsere? Dann sehen wir mal weiter.“

Dazu gesellte sich bei der Vortragsdiskussion die bereits eingangs erwähnte Unwissenschaftlichkeit: Auf die wiederholte Nachfrage aus dem Publikum hin, welchen Historiker er denn zur Belegung seiner These, die iranische Revolution von 1979 sei eine direkte Folge des von Lüders so genannten „CIA-Putsches“ 1953 im Iran, nennen könne, musste Lüders leider passen. Auf andere, dezidiert inhaltliche Nachfragen ging er entweder nicht ein oder ignorierte sie in Gänze. Von einem „offenen und kritischen Diskurs“, wie ihn die Universität Trier in Antwort auf den offenen Brief eingefordert hatte, konnte hier also keine Rede sein.

Dass Lüders – der sich eingangs beschwert hatte, seine Thesen würden in den „Mainstream-Medien“ nicht inhaltlich, sondern mit Blick auf seine Person diskutiert – im Anschluss an den Vortrag explizit inhaltlichen Nachfragen mit Aussagen wie „Danke für das Co-Referat“ begegnete, dass er die Fragenden als „Ideologen“ bezeichnete oder Rückfragen ganz ignorierte, hinterließ dabei nicht nur erhebliche Zweifel an Lüders’ inhaltlicher Eignung, sondern ebenso an seiner Fähigkeit zu wissenschaftlicher Diskussion generell.

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