Linkspartei und Antisemitismus: Wo die „klare Kante“ endet

Von Alex Feuerherdt

Der linke Berliner Kultursenator Klaus Lederer hat erreicht, dass die Verleihung eines obskuren Preises an einen Verschwörungstheoretiker und Israelhasser nicht in einem Kino stattfinden kann, das mit öffentlichen Geldern subventioniert wird. Politiker aus seiner eigenen Partei wollen deshalb gegen ihn auf die Straße gehen. Konsequenzen wird das wohl nicht haben – obwohl sich der Parteivorstand mit Lederer solidarisiert.

Linkspartei und Antisemitismus: Wo die „klare Kante“ endet
Klaus Lederer (By Sandro Halank, CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0)

Wenn sich nicht noch etwas Wesentliches ändert, dann kommt es am 14. Dezember in Berlin zu dem Kuriosum, dass die Linkspartei gegen sich selbst demonstriert. Genauer gesagt: Die Linken-Politiker Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Christiane Reymann und Andreas Maurer wollen an diesem Tag vor die eigene Parteizentrale ziehen, um dort an einer Kundgebung gegen ihren Genossen Klaus Lederer, der in Berlin das Amt des Kultursenators innehat, mitzuwirken. Der Anlass dafür ist, dass Lederer bei den Betreibern des Berliner Kinos Babylon die Absage einer Preisverleihung an den früheren Radiomoderator Ken Jebsen, besser bekannt als „KenFM“, erwirkt hat. Der Verschwörungstheoretiker sollte dort den „Kölner Karlspreis für engagierte Literatur und Publizistik“ erhalten, den das obskure, antiamerikanische und israelfeindliche Internetportal Neue Rheinische Zeitung vergibt. Jebsen glaubt unter anderem, dass die USA von Menschen mit jüdischen Wurzeln gesteuert werden, deren Ziel die „Schaffung eines israelischen Großreichs“ ist, und ist davon überzeugt, dass Zionisten die UNO, den Internationalen Währungsfonds und die Atomenergiebehörde kontrollieren. Zudem ist Jebsen der Ansicht, dass der jüdische Staat das Ziel einer „Endlösung“ in Form der Ermordung aller Palästinenser in den palästinensischen Gebieten verfolgt.

Die Laudatio auf ihn sollte Mathias Bröckers halten, der vor allem durch seine Verschwörungstheorien zu den Anschlägen des 11. September 2001 bekannt geworden ist. Zudem waren Redebeiträge unter anderem von Evelyn Hecht-Galinski und Anneliese Fikentscher vorgesehen, zwei Aktivistinnen, die einen besonders vulgären Antizionismus pflegen, einen Boykott Israels vehement befürworten und die Dämonisierung des jüdischen Staates zu ihrer Hauptbeschäftigung gemacht haben. Fikentscher, die auch die Moderation der Veranstaltung übernehmen sollte, gehörte überdies zu einer vom Querfrontjournalisten Jürgen Elsässer angeführten Reisegruppe, die im Frühjahr 2012 nach Teheran flog, um den damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad zu treffen. Für die musikalische Untermalung der Veranstaltung sollte unter anderem die Gruppe Die Bandbreite sorgen, die ebenfalls immer wieder mit verschwörungstheoretischen Texten von sich reden macht.

Das Babylon wird seit vielen Jahren vom Berliner Senat subventioniert, für 2018 und 2019 sind Zuwendungen von jeweils mehr als 400.000 Euro pro Jahr vorgesehen. Als Kultursenator Lederer von der Veranstaltung erfuhr, veröffentlichte er auf seiner Facebook-Seite eine deutliche Kritik an der geplanten Preisverleihung. Diese sei ein „Jahrmarkt der Verschwörungsgläubigen und Aluhüte“, denn „der Preisträger und mehrere an dieser Veranstaltung Beteiligte sind in der Vergangenheit durch offenen, abgründigen Israelhass, die Verbreitung typisch antisemitischer Denkmuster und kruder Verschwörungstheorien in Erscheinung getreten“. Den Geschäftsführer des Kinos forderte Lederer indirekt auf, seine Zusage zu widerrufen. Anschließend setzte er seinen Staatssekretär Torsten Wöhlert in Bewegung, der tatsächlich eine Absage erreichte.

 

Antisemitischer Unflat als „kritischer Geist“

Linkspartei und Antisemitismus: Wo die „klare Kante“ endet
(Quelle: Screenshot матрёшка)

Das wiederum rief Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann auf den Plan. Sie formulierten unter der Überschrift „Bitte helft, Zensur zurückzuweisen! Empört euch!“ einen Protestaufruf, in dem es hieß, der „Kulturort Babylon“ sei „genau der richtige Raum, um Ken Jebsen und die Arbeit von KenFM zu würdigen“. Der „Druck aus der Berliner Kulturbehörde“ sei „das Gegenteil von der Freiheit der Andersdenken“ und das Vorgehen des Kultursenators „weder links noch emanzipatorisch“. Die Linkspartei orientiere sich in ihrem Programm „am freiheitlichen und kritischen Geist Rosa Luxemburgs“, der heute nicht zuletzt von denjenigen angegriffen werde, „die allzu leichtfertig, dafür umso verbissener und leider auch raumgreifender kritische Geister als Verschwörungstheoretiker, Antiamerikaner, Antisemiten, Querfrontler diffamieren“. Ken Jebsen sei „zu einem ihrer Lieblingsobjekte geworden“, dabei sei er „weder rechts noch antisemitisch“, sondern „Teil einer breiten Friedensbewegung“.

Gegen diese absurde Vereinnahmung kann sich Rosa Luxemburg nicht mehr wehren – so wenig wie Karl Marx dagegen, dass ein Querfrontportal den Namen einer von ihm herausgegebenen Tageszeitung übernommen hat und antisemitischen Unflat für „engagierte Literatur und Publizistik“ hält, die mit einem „Karlspreis“ zu ehren sei. Es spricht jedenfalls Bände, wenn Verschwörungstheorien, Antiamerikanismus, Antisemitismus und Querfrontlerei nicht als das Gegenteil von Freiheit und Kritik gesehen werden, sondern vielmehr als deren Ausdruck, und dafür auch noch das Andenken Verstorbener verunglimpft wird. Dehm, Gehrcke und Reymann beließen es aber nicht bei ihrer Stellungnahme, sondern beteiligen sich nun auch, gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Andreas Maurer, an der Kundgebung gegen die Absage der Veranstaltung im Babylon – und damit vor allem gegen den Linken-Politiker Klaus Lederer.

 

„Klare Kante“ gegen Antisemitismus? Nicht in den eigenen Reihen!

Linkspartei und Antisemitismus: Wo die „klare Kante“ endetDer Vorstand der Linkspartei hat sich hingegen in einem Beschluss „solidarisch mit allen Linken“ erklärt, „die Querfrontbestrebungen kritisieren und dafür angegriffen werden“, darunter mit dem „Kultursenator Klaus Lederer und seinem Recht, sich kritisch zur sogenannten Preisverleihung an Ken Jebsen im Berliner Kino Babylon zu äußern“. Man distanziere sich „unmissverständlich von Aktivitäten von Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten“ und werde „mit diesen Kräften ganz grundsätzlich nicht zusammenarbeiten“, heißt es in der Entscheidung weiter. Der Parteivorstand erwarte zudem, dass Mitglieder der Linkspartei die Kundgebung gegen Lederer „nicht unterstützen und sich daran nicht beteiligen“. Mit „Klare Kante gegen Querfront“ war der Beschluss überschrieben, doch das Abstimmungsverhalten der Vorstandsmitglieder wirkte wie ein Dementi dieser Aussage.

Denn der Mehrheit von 18 Befürwortern der Entscheidung stand eine nicht gerade kleine Minderheit gegenüber, zu denen sieben Vorständler gehörten, die sie ablehnten, und fünf weiteren, die sich enthielten. Einer der Gegner, der nordrhein-westfälische Linke Ralf Krämer, sagte der taz: „Ich finde nicht, dass der Vorstand Mitgliedern vorschreiben sollte, an welchen Veranstaltungen sie teilnehmen.“ Jebsens Äußerungen findet er lediglich „teilweise schräg“, und sie bewegten sich „im Rahmen dessen, was man sagen können muss“. Eine bezeichnende Aussage angesichts der ungezählten Ausfälle von „KenFM“ – die Klaus Lederer aus gutem Grund „offenen, abgründigen Israelhass“, „typisch antisemitische Denkmuster“ und „krude Verschwörungstheorien“ nennt – und von Sätzen wie jenen, die Jebsen an Henryk M. Broder schrieb: „ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat. der neffe freuds. bernays. in seinem buch propaganda schrieb er wie man solche kampagnen durchführt. goebbels hat das gelesen und umgesetzt.“ (Orthografie und Interpunktion im Original.)

Was bleibt, ist die Frage, was eigentlich geschieht, wenn tatsächlich Politiker der Linkspartei am 14. Dezember an der Kundgebung gegen Lederer teilnehmen. Als „Schlag ins Gesicht aller in dieser Partei und Fraktion, die sich entschieden gegen Antisemitismus, egal in welcher Spielart und unter welchem Deckmantel engagieren“ empfände das die thüringische Bundestagsabgeordnete Martina Renner dem Tagesspiegel zufolge. „Wer an der Kundgebung teilnimmt, muss wissen, dass er sich in Widerspruch zur Partei stellt“, sagte die Parteivorsitzende Katja Kipping zur taz. Nach einer Androhung von Konsequenzen hört sich das nicht an. Doch das verwundert kaum, schließlich blieb beispielsweise auch die vor drei Jahren von Israelhassern unternommene und von den linken Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Annette Groth mitverantwortete Verfolgung des damaligen Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi bis zur Toilette folgenlos. Die „klare Kante“ gegen Antisemitismus und Verschwörungstheorien endete in der Linkspartei bislang stets dort, wo sie das eigene Personal betraf.

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