Wegen seiner strategisch günstigen Lage ist Libyen für viele Länder von Interesse. Russland baut dort das Zentrum für sein neues Afrikakorps auf.
Seit Anfang des Jahres arbeitet Russland in mehreren afrikanischen Ländern an der Aufstellung seines Afrikakorps, um die Söldner der berüchtigten Gruppe Wagner zu ersetzen. Wie es scheint, dürfte Moskau Libyen dazu auserkoren haben, als Hauptquartier seiner neuen Einheit zu dienen.
Das Afrikakorps ist eine russische Militärformation, die Anfang 2024 als Alternative zur privaten Gruppe Wagner vorgestellt wurde. Aufgabe der Einheit ist es, den militärischen Einfluss Russlands auf dem afrikanischen Kontinent gegenüber der europäischen und amerikanischen Präsenz auszuweiten.
Das russische Afrikakorps
Wie die russische Zeitung Wedomosti im Januar diesen Jahres berichtete, soll der Aufbau der Struktur des Korps bis zum heurigen Sommer fertiggestellt sein und anschließend in Libyen, Burkina Faso, Mali, der Zentralafrikanischen Republik und Niger aktiv sein.
Die Zeitung fügte hinzu, dass das neue Korps direkt der Militärverwaltung unterstellt und von General Junus-bek Jewkurow, dem stellvertretenden russischen Verteidigungsminister, beaufsichtigt werden soll.
Den Kern des Afrikakorps bilden Angehörigen der Gruppe Wagner, die in den zweiten und dritten Rang innerhalb des Korps integriert werden. Insgesamt wird die Einheit aus mindestens vierzig- bis fünfundvierzigtausend Soldaten bestehen, die auf zwei bis fünf Divisionen unterschiedlicher Fähigkeiten, Kampfkraft und Größe aufgeteilt werden.
Nach Angaben des katarischen TV-Senders Al Jazeera hat Moskau afrikanischen Soldaten und Kämpfern mit hohen Fähigkeiten und vielfältigen Kompetenzen, darunter das Führen von Kampffahrzeugen und Panzern, das Lenken von Drohnen oder das Bedienen von Radar- und Luftabwehrsystemen, die Tür zum Beitritt zu seinem Korps geöffnet. Die Einheit wird also nicht nur Russen beinhalten, sondern verschiedene Nationalitäten umfassen.
Die Forscherin Hana Rami schrieb in einem Bericht auf der Website des Ägyptischen Zentrums für strategisches Denken und Studien: »Russland nutzt das Afrikakorps, um dem westlichen Einfluss entgegenzutreten und Moskaus Rolle in Afrika zu stärken, drei Jahrzehnte nachdem es sich nach dem Zerfall der Sowjetunion vom afrikanischen Kontinent zurückgezogen hatte.«
Der Experte für afrikanische Angelegenheiten Hamdi Abdel Rahman fügte hinzu: »Der weit verbreitete russische militärische Einfluss in Afrika stellt eine bedeutende Veränderung in der geopolitischen Landschaft des Kontinents dar. Mit dem strategischen Ziel, das vom Westen hinterlassene Sicherheitsvakuum zu füllen, arbeitet Russland schrittweise daran, einen Gürtel militärischer Präsenz zu schaffen, der sich vom Atlantik bis zum Roten Meer erstreckt.«
Warum Libyen?
Im vergangenen Mai stellte eine Untersuchung der Website All Eyes on Wagner fest: »Einen Tag bevor Jewgeni Prigoschin am 23. August 2023 bei einem Flugzeugabsturz in Russland ums Leben kam, besuchte der stellvertretende russische Verteidigungsminister Jewkurow Libyen, um sich mit Feldmarschall Khalifa Haftar zu treffen, dem Befehlshaber der libyschen Armee, die den Osten Libyens kontrolliert.«
In dem Bericht heißt es weiter: »Es macht den Anschein, dass Libyen, das von Russland vernachlässigt wurde, indem es Jewgeni Prigoschin und einigen Agenten des russischen Militärgeheimdienstes (GRU) überlassen worden war, für Moskau nun zu einem Land mit strategischer Bedeutung wird. Es soll das Bindeglied zwischen der russischen Expansion an der afrikanischen Küste und der Einrichtung eines russischen militärischen Marinestützpunktes im Mittelmeer dienen.«
Von Februar bis April dieses Jahres soll Russland in größerem Stil Militärpersonal und Kämpfer nach Libyen verlegt haben.
Die günstige Lage Libyens wird auch von Habiba Zidan betont. Sie schrieb in einem Artikel in der Zeitschrift International Politics, die vom Al-Ahram-Zentrum für politische Studien in Ägypten herausgegeben wird: »Das russische Korps hat in Zusammenarbeit mit den Kräften von Khalifa Haftar die ostlibysche Region als Hauptquartier gewählt, weil Libyen strategisch günstig am Mittelmeer liegt.«
Russlands Präsident Wladimir Putin habe die internen Spaltungen Libyens genutzt, um engere Beziehungen zu Haftar aufzubauen, dem Machthaber im östlichen Teil des Landes. Haftar habe um russische Unterstützung angesucht, Russland habe daraufhin in einer Reihe von Treffen seit Ende 2023 tatsächlich Hilfe angeboten, und als Gegenleistung dafür eine deutliche Verstärkung der russischen Präsenz erwirkt.
Laut dem Experten und ehemaligen Militärberater des Oberbefehlshabers der libyschen Armee, Adel Abdel Kafi, stelle Libyen für Russland einen »wichtigen Korridor« dar, über den Militärgüter und Kämpfer aus Russland in afrikanische Länder verlegt werden können. Zu diesem Zweck wolle Russland »einen Marinestützpunkt in der Stadt Tobruk (im Osten) errichten, um die Ankunft von Kriegs- und Marineschiffen mit Waffen, Ausrüstung und Luftabwehrsystemen zu erleichtern.«
Abdel Kafi zufolge werde nach der Einrichtung des Marinestützpunkts »der gesamte Nachschub in das Zentrum Libyens verlagert, das Russland durch seine Stationierung im Stützpunkt Al-Jufra (im Zentrum des Landes) und einigen anderen Stützpunkten und Flugplätzen in Zentral- und Südlibyen jetzt weitgehend beherrscht«. Er warnt, dass die zunehmende Verankerung des russischen Afrikakorps in Libyen eine »Gefahr für die Nachbarländer« darstelle, da es als Ausgangunkt für den Weitertransfer von Soldaten und Ausrüstung in andere afrikanische Staaten dienen werde.
Der libysche Autor Mustafa Al-Fitouri warnt davor, dass »die russische Präsenz in Libyen die Souveränität des Landes beeinträchtigt«. Die Mehrheit der Libyer befürchte, dass ihr Land zum Sprungbrett für die russische Expansion in das Afrika südlich der Sahara werde.
Er ist besorgt, dass Libyen in einem neuen »frenetischen Wettlauf nach Afrika« von etlichen Ländern begehrt werde. »Die Lage Libyens am Mittelmeer, seine Küstenlänge und die Tatsache, dass es das Tor nach Nordafrika ist, bedeuten, dass es in den Fokus von Großmächten genauso geraten ist wie in jenen von aufstrebenden Regionalmächten wie der Türkei.«