Entgegen der traditionellen Westbindung des Landes ruft Hisbollah-Chef Nasrallah den Libanon dazu auf, in der gegenwärtigen Krise auf China zu setzen.
Anchal Vohra, Foreign Policy
Hisbollah-Chef Hass Nasrallah erklärte kürzlich in einer Fernsehansprache, dass der Libanon in der gegenwärtigen Krisenzeit zu seiner Rettung „nach Osten“ auf China blicken müsse. Die Implikation war klar: Der Libanon sollte sich nicht an den Internationalen Währungsfonds wenden. Nasrallahs libanesisches Publikum war verwirrt. Zwar ist das Ausmaß der Krise deutlich: die Wirtschaft des Landes ist in den letzten Wochen in katastrophaler Weise eingebrochen; aber der Libanon – einige seiner reaktionärsten Konservativen eingeschlossen – hat sich immer als Vorposten westlicher Werte und westlichen Einflusses im Nahen Osten verstanden.
Doch Nasrallah ist nicht der einzige unter den libanesischen Politikern, der glaubt, dass das Land bald keine andere Wahl haben wird, als in die politische und wirtschaftliche Umlaufbahn Chinas einzutreten. Sollte dies geschehen, so sagen politische Analysten, könnte damit ein neues und unsicheres Kapitel in der Geschichte des Landes aufgeschlagen werden.
Die libanesische Wirtschaft liegt in Trümmern und droht, mit Simbabwe oder Venezuela als eine der größten Wirtschaftskatastrophen der Welt gleichzuziehen. Seit Oktober 2019 hat das libanesische Pfund 80 Prozent seines Wertes verloren und ist letzte Woche auf dem Schwarzmarkt in seinem festen Wechselkurs von 1.500 zum US-Dollar auf 8.000 gefallen. (…)
In der Zwischenzeit wartet China, das in der Region historisch gesehen kaum politisch präsent ist, in den Startlöchern und ist bereit, die Vereinigten Staaten als den dominierenden ausländischen Akteur abzulösen.
Chinesische Unternehmen versuchen seit fast einem Jahrzehnt, große Projekte im Libanon auf den Weg zu bringen und waren besonders eifrig dabei, in die libanesische Infrastruktur zu investieren. Vierzig Prozent der libanesischen Importe stammen bereits aus China, und in den letzten Jahren hat Peking die kulturellen Beziehungen durch den Bau eines neuen Musikzentrums in Beirut verstärkt. Während des libanesischen Krieges gegen Israel 2006 leistete es militärische Hilfe und entsandte danach Friedenstruppen. (…)
Kurz nachdem die Hisbollah vorgeschlagen hatte, als Allheilmittel für die libanesische Wirtschaftskrise auf Investitionen aus China zurückzugreifen und nicht auf eine Rettungsaktion des IWF, traf sich der libanesische Premierminister mit dem chinesischen Botschafter, um China um Hilfe zu bitten und die wirtschaftliche Zusammenarbeit auszuweiten.
Chinas Interesse am Nahen Osten ist im „Belt and Road“-Projekt bergündet, das darauf abzielt, den chinesischen Einfluss in der ganzen Welt durch wirtschaftliche Beziehungen auszuweiten. China möchte die seit langem verfallenen Straßen- und Eisenbahnverbindungen zwischen Beirut und Tripolis an der libanesischen Mittelmeerküste und den syrischen Städten Damaskus und Homs und darüber hinaus wiederbeleben, als Teil eines umfassenden Infrastrukturnetzes für ganz Eurasien. Eine Verringerung des amerikanischen Einflusses im Libanon wäre ein zusätzlicher Bonus.