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Bemerkungen zur Erhebung von Antisemitismus in der Leipziger Autoritarismus Studie

Die Leipziger Autoritarismus Studie widmet dem Antisemitismus ein ganzes Kapitel
Die Leipziger Autoritarismus Studie widmet dem Antisemitismus ein ganzes Kapitel (Quelle: Screenshot Cover)

Vor Kurzem wurden die Ergebnisse der neuesten Leipziger Autoritarismus Studie publiziert. Mit einem eigenen Kapitel wird ein besonderer Fokus auf den Antisemitismus gelegt.

Gesellschaft für kritische Bildung

Vor Kurzem wurden die Ergebnisse der neuesten Leipziger Autoritarismus Studie publiziert. Mit einem eigenen Kapitel wird in der diesjährigen Studie unter anderem ein besonderer Fokus auf den Antisemitismus gelegt. Die theoretischen und historischen Ausführungen zum Thema sind gelungen. Positiv hervorzuheben ist auch der starke Bezug auf die Kritische Theorie und auf psychoanalytische Ansätze zur Erklärung von Antisemitismus.

Begrüßenswert ist zudem, dass im Unterschied zur bereits an anderer Stelle kritisierten Mannheimer Studie ein stärkerer Fokus auf linken Antisemitismus und solchen aus sich selbst progressiv wähnenden Milieus, die aber nicht durchgängig als links zu beschreiben sind, gelegt und dieser nicht relativiert wird. Die Autoren der Leipziger Studie üben Kritik am Poststrukturalismus, an den Postcolonial Studies, an Teilen der Klimabewegung und manchen Teilen der queeren und feministischen Bewegung für ihre antisemitischen Tendenzen (S. 141).

In früheren Jahren wurden in der Leipziger Autoritarismus Studie drei Dimensionen des Antisemitismus erhoben: tradierter, israelbezogener sowie Schuldabwehrantisemitismus.

Ausgehend von den Reaktionen bedeutender Teile der globalen Linken auf das antisemitische Massaker vom 7. Oktober 2023 sahen die Autoren die Notwendigkeit gegeben, ihren Fragebogen zu Antisemitismus zu erweitern, da sie Erscheinungsformen des Judenhasses beobachteten, die sich mit den bisherigen »Dimensionen noch nicht adäquat beschreiben ließen« (S. 59). Deshalb erfassten sie nun zwei neue Dimensionen: antisemitischen Antizionismus und postkolonialen Antisemitismus. Mit diesen sollen explizit »Äußerungsformen des Antisemitismus, die insbesondere in linken Bewegungen verbreitet sind« (S. 133), erhoben werden.

Die in der Leipziger Studie abgefragten Items zum Antisemitismus scheinen grundsätzlich gut geeignet, um diesen in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen abzufragen. Viele der Items sind bereits durch diverse frühere Erhebungen erprobt. Bei einigen dürfte der Grad des sozial erwünschten Antwortverhaltens etwas höher ausfallen als bei anderen, das ist aber nicht ungewöhnlich für Befragungen.

Unklare Abgrenzungen

Ungewöhnlicher ist hingegen die Abgrenzung der unterschiedlichen Antisemitismusdimensionen voneinander – und dies betrifft in erster Linie die zwei erstmals erhobenen Dimensionen postkolonialer Antisemitismus und antisemitischer Antizionismus. Worin der Unterschied zwischen israelbezogenem Antisemitismus, der im englischsprachigen Raum meist als »antizionist antisemitism« bezeichnet wird, und antisemitischem Antizionismus bestehen soll, bleibt bei der Lektüre der Studie leider schleierhaft. Denn beide Dimensionen fragen ausschließlich Items mit eindeutigem Israelbezug ab. Hier wäre zumindest eine klare inhaltliche Abgrenzung der beiden Dimensionen voneinander wünschenswert gewesen.

Auch beim postkolonialen Antisemitismus werden Items abgefragt, die sich auf Israel beziehen. Zwei weisen zugleich Bezüge zum Schuldabwehrantisemitismus auf (»Der deutsche Schuldkomplex behindert den Freiheitskampf der Palästinenser«, »Israel wurde nur gegründet, damit Europäer kein schlechtes Gewissen haben«). Bei dieser Dimension ließe sich aufgrund der gewählten Items immerhin noch argumentieren, dass die Zustimmung zu diesen sich zwischen verschiedenen befragten Milieus potenziell von der zum israelbezogenem Antisemitismus unterscheide, weil etwa durch das dritte Item (»Der Nahostkonflikt ist im Grunde ein Konflikt zwischen weißem Kolonialismus und unterdrückten Minderheiten») ein stärkerer Bezug zu postkolonialer Theorie gegeben ist.

Noch verwirrender wird die Differenzierung zwischen den Dimensionen, wenn man noch diejenigen Items dazu nimmt, die nur ein einziges Mal überhaupt in der Studie genannt werden – und zwar in einer Tabelle mit dem Titel »Verschiedene antisemitische Aussagen« (S. 64). An keiner anderen Stelle ist von dieser Kategorie die Rede. Warum die beiden dort genannten Items, die einen klaren Kolonialismus-Bezug aufweisen (»Der Holocaust ist ein wichtiges Thema, aber die Kolonialverbrechen wiegen schwerer«, »Israel ist ein rassistischer Kolonialstaat«), nicht dem postkolonialen Antisemitismus zugeordnet werden, wird nicht ausgeführt.

Ähnliches gilt für das dritte Item (»Solange man sich nicht offen zum Holocaust äußern darf, gibt es keine Meinungsfreiheit«), das eigentlich als Schuldabwehrantisemitismus kategorisiert werden müsste. Es ist möglich, dass diese Items zunächst für andere Kategorien erhoben wurden, aber dann nicht in die Auswertung der entsprechenden Dimension eingegangen sind. Leider finden sich hierüber keine Angaben in der Studie.

Insbesondere die analytische Trennung zwischen antisemitischem Antizionismus, israelbezogenem Antisemitismus und postkolonialem Antisemitismus, die in der Studie nicht weiter erläutert wird, erscheint auch hinsichtlich der Ergebnisse der Studie verwunderlich. Denn diese drei Dimensionen weisen im Vergleich zu den anderen Dimensionen untereinander ausgesprochen hohe Korrelationswerte auf.

Die Autoren argumentieren zwar, dass »die Dimensionen nicht vollständig deckungsgleich« sind, sie »gestatten also für den infrage stehenden Antisemitismus Differenzierungsmöglichkeiten« (S. 144). Dass die Dimensionen nicht komplett deckungsgleich sind, überrascht bei unterschiedlichen Items aber nicht, da Befragte nicht immer kongruent antworten und die wenigsten ein so gefestigtes antisemitisches Weltbild haben dürften, dass sie jedem der abgefragten Items gleichermaßen zustimmen. Die sehr hohen Korrelationswerte deuten deshalb womöglich eher darauf hin, dass die analytische Trennung zwischen den Dimensionen nicht notwendig wäre, weil es sich um mindestens sehr verwandte Phänomene, wenn nicht gar dasselbe Phänomen handelt – nämlich israelbezogenen Antisemitismus. Dies würde sich mit den Erkenntnissen der Antisemitismusforschung der letzten Jahrzehnte decken.

Interessanterweise sprechen die Autoren an einer Stelle im Text vom »israelbezogene[n] Antisemitismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen« (154 f.), ohne weiter auszuführen, welche »unterschiedlichen Erscheinungsformen« sie meinen. Denkbar wäre, dass diese Aussage auf die drei Dimensionen (israelbezogener Antisemitismus, postkolonialer Antisemitismus, antisemitischer Antizionismus) verweist und die Autoren vielleicht selbst nicht ganz von ihrer analytischen Trennung überzeugt sind.

Letztlich entsteht bei der Lektüre der Eindruck, dass die Differenzierung zwischen den drei Dimensionen weniger inhaltlichen Kriterien geschuldet ist als vielmehr dem Versuch der Autoren, Vergleichbarkeit zwischen den Ergebnissen aus unterschiedlichen Jahren herzustellen.

Falls dem so wäre, ist dies durchaus verständlich. Denn die drei Dimensionen tradierter Antisemitismus, Schuldabwehrantisemitismus und israelbezogener Antisemitismus wurden bereits mehrfach mit denselben Items erhoben. Dadurch lässt sich zwar die Entwicklung der Einstellungen zu diesen Items über Jahre hinweg darstellen. Dieses Vorgehen hat allerdings den Nachteil, dass die Trennung zwischen den Kategorien verschwimmt und das Ausmaß des israelbezogenen Antisemitismus durch die ausdifferenzierte Darstellungsweise möglicherweise etwas verschleiert wird.

Gefahr der Verdeckung

Betrachtet man die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen nach der politischen Selbstverortung sowie nach der Parteipräferenz der Befragten, so fällt auch hier auf, dass die Ausdifferenzierung des israelbezogenen Antisemitismus nicht unbedingt aufrechtzuerhalten ist. Spannend ist hier insbesondere die hohe Zustimmung von Wählern der AfD zum postkolonialen Antisemitismus. Auf diese Auffälligkeit weisen auch die Autoren selbst hin: »Die Ablehnung des Kolonialismus gehört zwar nicht zum ideologischen Bestand der AfD, aber diese Legitimation des Antisemitismus wird dennoch genutzt.« (S. 146)

Dass die Ausdifferenzierung des israelbezogenen Antisemitismus sinnvoll sein könnte, deuten lediglich die auffallend großen Unterschiede zwischen der Zustimmung zu den verschiedenen Antisemitismus-Dimensionen mit Israelbezug bei Wählern der Linken und des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an. Bei der Linken variiert die manifeste Zustimmung zwischen 1,3 Prozent beim israelbezogenen Antisemitismus und 16,0 Prozent beim antisemitischen Antizionismus, beim BSW zwischen 1,1 Prozent beim israelbezogenen Antisemitismus und 8,9 Prozent beim antisemitischen Antizionismus.

Für das Ausmaß dieser unterschiedlichen Zustimmungswerte könnte etwa sozial erwünschtes Antwortverhalten insbesondere bei den drastischen Aussagen in der Dimension israelbezogener Antisemitismus verantwortlich sein. Die manifeste Zustimmung aller Befragten zu einem dieser Items (»Auch andere Nationen mögen ihre Schattenseiten haben, aber die Verbrechen Israels wiegen am schwersten«) weist mit 11,9 Prozent beispielsweise den zweitniedrigsten Wert aller erhobenen Items zum Antisemitismus auf (S. 60).

Unter »manifester Zustimmung« verstehen die Autoren grundsätzlich die Antwortmöglichkeiten »stimme eher zu« und »stimme voll und ganz zu« einer fünfstufigen Likert-Skala; unter »latenter Zustimmung« die Antwort »teils/teils«.

Abhängig von der Stärke der Zustimmung bzw. Ablehnung wird der Antwort ein Skalenwert von eins bis fünf zugewiesen (eins: »lehne völlig ab«, fünf: »stimme voll und ganz zu«, S. 220 f.). Dabei betonen die Autoren an anderer Stelle, dass ihre Interpretation von latenten Einstellungen »als vorsichtig gelten [könne], da auf einer Likert-Skalierung bereits eine geringe Ausprägung der Einstellung vorliegt, wenn nicht ›völlig abgelehnt‹ (Wert 1), sondern nur ›überwiegend abgelehnt‹ (Wert 2) wird« (S. 35).

Für die Feststellung der manifesten Zustimmung nach Parteipräferenz und politischer Selbstverortung haben die Autoren allerdings nicht die latente und manifeste Zustimmung zu den einzelnen Items dargestellt, sondern schlicht die Skalenwerte der Antworten auf die unterschiedlichen Items addiert. »Wer durchschnittlich allen drei Aussagen je Dimension zustimmt (≥ 12), weist eine entsprechende antisemitische Einstellung auf.« (S. 145)

Wenn eine Person zwei der drei Items »eher« zustimmt und dem dritten nur »teils/teils«, kommt man auf eine Summe von elf. Mit dieser Summe käme die Person in der Tabelle nicht vor, obwohl sie zwei der drei Items manifest zugestimmt hat. Dies hat zur Folge, dass in den Übersichten nach Parteipräferenzen sowie nach politischer Selbstverortung der latente Antisemitismus unsichtbar gemacht wird, insbesondere dann, wenn nur einzelne Ausschnitte aus der Studie rezipiert werden.

Dieses Problem tritt allerdings nicht bei allen Übersichten auf. Bei den Grafiken, welche die generelle Zustimmung je Dimension aufgeschlüsselt nach den einzelnen Items darlegen, werden überwiegend sowohl die latente als auch die manifeste Zustimmung abgebildet. Einzig auf die beiden Dimensionen israelbezogener Antisemitismus und Schuldabwehrantisemitismus trifft dies nicht zu.

Zweifellos wäre auch für diese Dimensionen eine Information über die latente Zustimmung interessant gewesen, zumal die Autoren selbst an verschiedenen Stellen darauf hinweisen, dass gerade beim Antisemitismus auch »die latente Zustimmung Grund zur Besorgnis [sei], bringt diese doch die Meinung zum Ausdruck, dass an den Aussagen ›irgendwie etwas dran‹ sei« (S. 39).

Fazit

Die diesjährige Variante der Leipziger Autoritarismus Studie weist folglich vereinzelte Ungenauigkeiten bei der Erfassung von Antisemitismus auf. Insbesondere die Differenzierung von israelbezogenem Antisemitismus in gleich drei verschiedene Varianten ist inhaltlich nicht nachvollziehbar. Zudem kann die Darstellung der manifesten Zustimmung zu Antisemitismus in einzelnen Übersichten dazu führen, dass hohe Zustimmungswerte zu manchen Items verdeckt werden.

Diese Kritikpunkte ändern allerdings nichts an der hohen Relevanz der Studie und ihrer Ergebnisse. Insgesamt hebt sich die Leipziger Autoritarismus Studie weiterhin positiv von vergleichbaren Erhebungen ab, was die Erfassung von autoritären Einstellungen und ihrer gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland betrifft.

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