Im Nordirak benutzt die Kurdische Regionalregierung den Corona-Ausbruch dazu, sich als Wohltäter hinzustellen, während sie seit Jahren grundlegende Dienste einspart.
Von Dastan Jasim
Seit dem 14. März wurde eine Ausgangssperre in der gesamten Region Irakisch-Kurdistan verhängt. Sofern man nicht Einkäufe im Supermarkt oder in der Apotheke erledigen muss, darf man nicht auf die Straße. Vor dieser Ausgangssperre wurden bereits inländische Reisebeschränkungen sowie Grenzschließungen verhängt.
Frühe Schließungen
Die Region Irakisch-Kurdistan hat die Lage also früh ernst genommen, was angesichts der drastischen Eskalation der Krise im benachbarten Iran verständlich ist. Zudem hat man das eigene Gesundheitssystem im Blick: Insgesamt gibt es für den Ernstfall in der gesamten Region, die ca. acht Millionen Einwohner hat, nur 200 Intensivbetten. Bei einem sich exponentiell verbreitenden Virus wäre eine späte Reaktion fatal gewesen.
Das Leben ist auch insofern eingeschränkt, als dass der öffentliche wie der private Sektor schon sehr früh die Arbeit ausgesetzt haben. Seit mindestens zwei Wochen sind die Bewohner Irakisch-Kurdistans nun also daheim. Angesichts des vergleichsweise großen öffentlichen Sektors ist eine solche Maßnahme einfach zu realisieren gewesen. Mindestens 60% der Bevölkerung ist im öffentlichen Sektor beschäftigt, was nicht unüblich für einen solchen sogenannten „Rentierstaat“ ist, einen Staat bzw. ein politisches System, dessen Hauptfinanzquelle das Erdöl darstellt. Der private Sektor hat mitgezogen, vor allem weil dieser in jeglicher Hinsicht die Gunst der Politik benötigt.
Erfolg gezeigt
Soweit haben die Maßnahmen Erfolg gezeigt: Insgesamt gab es 128 Fälle des Coronavirus, von denen 53 sich wieder erholen konnten und lediglich zwei Personen gestorben sind. Diese gute Quote ist nur möglich, weil man die Gefahr früh genug ernst genommen und dagegen gehandelt hat.
Langfristig wird die Ausgangssperre so jedoch nicht zu halten sein. Die Gehälter im öffentlichen Sektor wurden seit Wochen nicht ausgezahlt – und die Auszahlung, die für diese Tage im Sicherheits-, Gesundheits und Bildungssektor ansteht, ist der Lohn für Dezember 2019. Das System hinkt hinterher.
In das Gesundheitssystem wurde im Vergleich zu den steigenden Erdöleinnahmen, die Irakisch-Kurdistan seit 2005 erzielt, kaum investiert. Viele treibt der Unmut darüber um, dass sie in dieser Krisenzeit alles tun, was die Regierung verlangt, dass diese aber noch keinen langfristigen Plan dafür hat, wie man den Gesundheitssektor stabilisieren, die öffentlichen Gehälter sichern und die Gesamtwirtschaft voranbringen kann.
Zugleich ist diese Krise auch eine Gelegenheit für die Regierung, verschiedene politische „Charity“-Aktionen durchzuführen, um so den Anschein der Humanität zu erwecken. Dieser ist nicht zuletzt deswegen unangebracht ist, da grundsätzliche Leistungen, die der Staat eigentlich schon längst hätte erbringen sollen, nun als Wohltat in der Krisensituation ausgegeben werden.
Sorge ist groß
Wie in vielen Ländern ist die Frage nach dem Umgang mit dem Coronavirus auch eine Frage nach dem System, in dem man lebt, und viele fragen sich gerade zurecht, ob dieses System sich jemals auf eine Krise vorbereitet hat. Alle Mangelerscheinungen werden von der Regierung damit abgetan, dass man in einer Rezession sei, der Ölpreis sinke und man eine Flüchtlingskrise zu bewältigen habe.
Dieses Argument wird seit 2014 stetig wiederholt. Vielen reicht das als Erklärung nicht mehr, vor allem angesichts der Existenzängste, die nun viele hier umtreiben. Kollektiv tut man im Moment zwar alles, um Corona zu überstehen. Die Sorge vor dem, was nach Corona sein wird, ist jedoch groß.