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Zwischen Konflikt und Einigung – die Kurden in Syrien

Syrische Kurden protestieren gegen türkische Angriffe. (© imago images/SOPA Images)
Syrische Kurden protestieren gegen türkische Angriffe. (© imago images/SOPA Images)

Die syrischen Kurden wollen ihre im Krieg erreichte Autonomie erhalten, die Zentralregierung fordert ihre Eingliederung in einen einheitlichen Staat.

Seit dem Sturz von Baschar al-Assad und der Machtübernahme eines von Ankara unterstützten Regimes in Damaskus unter der Führung des ehemaligen al-Qaida-Kaders Ahmed al-Sharaa befinden sich die Kurden, die immer noch große Gebiete im Nordosten des Landes kontrollieren, in einer prekären Position. Sie sind gefangen zwischen den eigenen Ansprüchen, den Forderungen der Zentralregierung in der syrischen Hauptstadt und den Interessen der Türkei, die mit von ihr unterstützten Milizen gegen die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) vorgehen.

In Gesprächen über deren künftigen Status konnte bisher kein Durchbruch erzielt werden. Geht es nach der neuen Regierung, müssen alle bewaffneten Fraktionen, also auch die SDF, unter der Autorität einer nationalen Armee vereint werden. Im Januar berichtete Reuters unter Berufung auf mehrere Quellen von »intensiven Verhandlungen« über das Schicksal der Einheiten, die in Washington – bisher zumindest – als wichtige Verbündeten im Kampf gegen den IS betrachtet wurden, während das NATO-Land Türkei sie wegen unterstellter PKK-Nähe als Bedrohung der nationalen Sicherheit ansieht.

Was wollen die Kurden?

Die Kurden sind mit einer geschätzten Bevölkerungszahl von 2,5 bis 3,5 Millionen die größte ethnische Minderheit in Syrien. Im Laufe des Bürgerkriegs, der 2011 begann, entstand die Selbstverwaltung in Nordsyrien, bekannt als Rojava, und begann mit dem Verkauf von Öl aus den von kurdischen Streitkräften kontrollierten Quellen, was ihr finanzielle Unabhängigkeit verschaffte.

Die Kurden, die in Syrien Jahrzehnte lang diskriminiert wurden, wollen ihren autonomen Status nicht aufgeben. Vor einigen Tagen erklärte Mazlum Abdi, Kommandeur der Demokratischen Kräfte Syriens, dass Syrien keinen Frieden finden werde, ohne die Kurdenfrage zu lösen. Er forderte eine Dezentralisierung des Landes sowie die Anerkennung der nationalen, kulturellen und politischen Rechte der kurdischen Nation in der neuen syrischen Verfassung.

Al Jazeera zitierte Quellen aus dem Umfeld der neuen Regierung in Damaskus mit den Worten, dass diese den SDF ein Angebot unterbreitet habe, um eine Einigung zu erzielen, die die Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden beinhalten und ihnen die Auflösung in die Sicherheits- und Militärinstitutionen Syriens ermöglichen würde. Während man lokalen Behörden Raum zur Regelung eigener Angelegenheiten einräumen wolle, will die Regierung von einer Dezentralisierung des Landes, wie Abdi sie fordert, nichts wissen.

Die SDF sollen dieses Angebot abgelehnt und darauf bestanden haben, als ein geeinter Block in die Armee einzutreten, wobei sie ihre derzeitigen militärischen Einsatzgebiete beibehalten wollen. Die Verhandlungen dauern noch an, gestalten sich angesichts der großen Differenz jedoch schwierig.

Abseits dieser Verhandlungen ziehen im Verhältnis zwischen den Kurden und der Zentralregierung zunehmend Wolken auf. So kritisierten die Parteien der kurdischen Selbstverwaltung die Zusammensetzung der Nationalen Dialogkonferenz Syriens, die diese Woche in Damaskus stattfand. In einer von 35 kurdischen Parteien unterzeichneten Erklärung heißt es: »Eine echte Nationale Dialogkonferenz muss integrativ sein. (…) Was Konferenzen betrifft, die mit Vertretern abgehalten werden, die nicht die Realität der verschiedenen Teile Syriens widerspiegeln, so sind ihre Ergebnisse bedeutungslos, wertlos und nutzlos.«

Vier Szenarien

Angesichts dieser widersprüchlichen Signale wurden in einem vom International Politics Magazine des Al-Ahram Center for Strategic Studies in Kairo veröffentlichten Forschungsbericht vier Szenarien für die Zukunft der Kurden in Syrien identifiziert.

  • Szenario 1: Die SDF ist weiterhin gezwungen, sich der anhaltenden Bedrohung durch die Türkei bzw. deren Milizen zu erwehren. Das könnte sie auf Dauer schwächen, ihre Fähigkeiten zur Selbstbehauptung schädigen und ein Sicherheitsvakuum schaffen, das von extremistischen Gruppierungen wie dem nach wie vor existierenden Islamischen Staat ausgenutzt werden könnte.
  • Szenario 2: Am günstigsten für die Kurden wäre selbstverständlich eine – möglichst auch von internationalen Mächten – anerkannte Autonomie innerhalb des syrischen Staates. Ihr stehen momentan aber die Ablehnung sowohl durch das neue Regime in Damaskus, als auch durch die Türkei entgegen, die jede Lösung ablehnt, die eine Stärkung der Kurden an der Grenze zur Türkei beinhalten würde.
  • Szenario 3: Die von den SDF kontrollierten Gebiete können im Rahmen eines umfassenden politischen Abkommens in den syrischen Staat integriert werden. Das scheint freilich angesichts grundlegender Differenzen zwischen der Zentralregierung und der kurdischen autonomen Verwaltung eher unwahrscheinlich.
  • Szenario 4: Noch unwahrscheinlicher erscheint aus heutiger Sicht die Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates, der – außer von den Kurden selbst – von praktisch allen beteiligten Akteuren strikt abgelehnt wird.

Ein möglicher Kompromiss könnte darin bestehen, dass auf der militärischen Ebene die SDF in die nationale syrische Armee integriert würden, während auf der politischen Ebene eine eigene Regionalverwaltung bestehen blieben. Ob das für einen solchen Mittelweg erforderliche Mindestmaß an Vertrauen zwischen den Akteuren gefunden werden könnte, ist momentan aber nicht abzusehen.

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