Die Debatte über Achille Mbembe wegen dessen Äußerungen zu Israel hat sich massiv ausgeweitet, auch aufgrund weiterer Belege für die Dämonisierung des jüdischen Staates durch den Philosophen und Historiker. Dabei fällt auf, dass Mbembe und seine Verteidiger den Kritikern inhaltlich wenig entgegenzusetzen haben, dafür aber umso schwerere Geschütze auffahren, wenn es um die angeblichen Motive für die Kritik geht.
Vor wenigen Tagen hat Achille Mbembe auf seiner Facebookseite ein längeres, dramatisches Statement hinterlassen. „Wenn ich Ihnen schreibe, dann vor allem, um Sie zu beruhigen“, hebt der kamerunische Historiker und Philosoph darin an. „Ich bin in Johannesburg. Mir geht es gut, und ich bin in Sicherheit.“
Er habe „unzählige Nachrichten von Menschen erhalten, die zu Recht beunruhigt und besorgt um mich, mein Wohlergehen und meine Sicherheit sind“, schreibt Mbembe weiter. Er sei „seit einigen Wochen Gegenstand völlig unbegründeter, verrückter und bösartiger Angriffe aus rechten und rechtsextremen Kreisen in Deutschland“.
Initiiert worden sei diese „Hetzkampagne“ vom „nordrhein-westfälischen Kommunalpolitiker“ Lorenz Deutsch (FDP). „Einige von Ihnen fragen mich, ob er in irgendeiner Weise mit neonazistischen und ultranationalistischen Kreisen in Verbindung steht.“ Deutsch habe nicht gewollt, dass er, Mbembe, den Eröffnungsvortrag bei der diesjährigen, wegen Covid-19 inzwischen abgesagten Ruhrtriennale hält – und zwar, weil er schwarz ist.
Das habe der Politiker aber „nicht laut sagen“ können und deshalb die „teuflische Idee“ gehabt, ihn zum Antisemiten zu erklären. „Wie sonst lässt sich diese riesige Verleumdungskampagne mit ihren rassistischen Untertönen erklären?“, fragt Mbembe in rhetorischer Absicht.
Später versteigt er sich sogar dazu, von einem „Lynchmord“ zu sprechen. Beweise für all dies bleibt er schuldig.
Man muss deshalb an dieser Stelle noch einmal erwähnen, worum es geht: jedenfalls mitnichten um eine rassistische Attacke von Rechtsradikalen, die ein in der Wolle gefärbter liberaler Landtagsabgeordneter ausgelöst hätte. Es ist, nebenbei bemerkt, auch einigermaßen absurd anzunehmen, ausgerechnet deutsche Neonazis könnten ein Problem mit Antisemitismus haben.
Mbembes Kritiker: alles Rassisten und Rechtsradikale?
Nein, zu den Kritikern von Mbembe zählen vielmehr beispielsweise der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Redakteure der FAZ und der Welt, freie Autoren der taz und von Zeit Online, Historiker, Philosophen, Publizisten und Blogger. Sie umstandslos „rechten und rechtsextremen Kreisen“ zuzuordnen, noch dazu ohne jedes Argument und ohne jeden Beleg, ist eine bodenlose Diskreditierung.
Mbembe wird kritisiert, weil er zum Beispiel die abwegige Ansicht vertritt, Israel verfahre mit den Palästinensern weitaus schlimmer als Südafrika während der Apartheid mit seinen schwarzen Bürgern, wende „Techniken der materiellen und symbolischen Auslöschung“ an und betreibe eine „fanatische Zerstörungspolitik“.
Außerdem hat er den Boykott Israels unterstützt, sich mit der BDS-Bewegung gemein gemacht und die „weltweite Isolation“ des jüdischen Staates gefordert. Hinzu kommt eine Analogiebildung zwischen Shoa und südafrikanischer Apartheid, die mindestens als Relativierung des Holocaust verstanden werden kann.
Lorenz Deutsch, das nordrhein-westfälische Landtagsmitglied, hat das alles zum Anlass genommen, um die Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp, in einem offenen Brief aufzufordern, die Einladung von Achille Mbembe zu überdenken. Carp hatte schon in der Vergangenheit mit der Einladung rabiater „Israelkritiker“ für eine Menge Verdruss gesorgt.
In der Folge hat sich eine Reihe von Menschen zu Mbembes Verteidigung aufgeworfen, René Aguigah etwa gleich mehrfach bei Deutschlandfunk Kultur, wo er Ressortleiter ist, Jörg Häntzschel in der Süddeutschen Zeitung, Aleida Assmann in der Berliner Zeitung, Dominic Johnson, der Leiter des taz-Auslandsressorts, oder Stefanie Carp selbst beim Theaterportal Nachtkritik.
In offenen Briefen erklären Wissenschaftler ihre Solidarität mit Mbembe oder fordern gemeinsam mit Künstlern die Absetzung des Antisemitismusbeauftragten Felix Klein, der „besessen von der BDS-Kampagne“ sei und Mbembe zu Unrecht angegriffen habe. Auch der Freitag und die junge Welt versuchen, aus der Causa Mbembe einen Fall Klein zu machen, den Spieß also umzudrehen. Es geht längst nicht mehr nur um die Einladung von Mbembe zur Ruhrtriennale.
Maßlose Vorwürfe statt inhaltlicher Auseinandersetzung
Das Vorgehen dieser Verteidiger ist dabei erstaunlich schlicht: Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik an Mbembes Äußerungen zu Israel verweigern sie weitgehend; stattdessen hieß es vor allem zu Beginn der Debatte häufig, diese Äußerungen seien irrelevant für das Gesamtwerk des Historikers und Philosophen, das die Kritiker ja gar nicht kennten.
Als dann immer mehr Belege dafür beigebracht wurden, dass Mbembe den jüdischen Staat in antisemitischer Manier dämonisiert und delegitimiert, und sich die Behauptung der Irrelevanz deshalb immer weniger halten ließ, witterten nicht wenige Verteidiger eine Kampagne, wenn nicht Schlimmeres.
Aleida Assmann etwa unterstellt den Kritikern von Mbembe, dessen Texte nur zu lesen, „um in ihnen verdächtige Aussagen zu entdecken“ und anschließend ihre „Lesefrüchte“ präsentieren zu können.
Je weniger diejenigen, die Mbembe zur Seite springen, inhaltlich beizutragen haben, desto markiger und maßloser werden ihre Vorwürfe gegenüber den Kritikern. Der Afrikawissenschaftler Andreas Eckert macht „Anzeichen einer Hexenjagd“ aus. Stefanie Carp findet, Mbembe werde „öffentlich in Stücke gerissen“; es gebe eine „Diffamierungskampagne“, die „unvergleichlich“ sei. Dominic Johnson ist überzeugt, es gehe den Kritikern darum, „eine weltweit anerkannte antikoloniale Stimme aus Afrika auszuschalten“.
Hexenjagd, in Stücke gerissen, unvergleichliche Diffamierungskampagne, ausschalten. Nimmt man noch die nicht minder schrillen Begrifflichkeiten hinzu, die Mbembe selbst verwendet hat – verrückt, bösartig, rechtsextrem, Hetzkampagne, teuflisch, riesige Verleumdungskampagne, Lynchmord –, dann könnte man den Eindruck bekommen, dass hier nicht Kritiker des Antisemitismus am Werk sind, sondern zutiefst schlechte, gewissenlose Subjekte, die einen arglosen Menschen fertigmachen, intellektuell hinrichten, erledigen wollen.
Und das nur aufgrund seiner Hautfarbe, denn die unterstellten „rassistischen Untertöne“ lassen sich Mbembe zufolge ja nicht anders erklären.
Nicht nur eine Nebenrolle
Beispiele für diese Untertöne bleiben allerdings aus, während im Gegenzug die Belege dafür, dass der jüdische Staat und dessen Dämonisierung in Mbembes Denken und Handeln keineswegs nur eine Nebenrolle spielt, zahlreicher werden.
Angesichts dessen mutet es immer befremdlicher an, wenn der Philosoph und seine Verteidiger unterstellen, der „Antisemitismusvorwurf“ werde lediglich vorgeschoben oder gar missbräuchlich eingesetzt, um in Deutschland „zunehmend ein Klima der Angst“ zu schaffen und „Israelkritiker“ einzuschüchtern, wie etwa die Befürworter einer Absetzung von Felix Klein behaupten.
Seit Lorenz Deutschs Schreiben an Stefanie Carp und den ersten Beiträgen in dieser Sache hat sich unter anderem noch herausgestellt, dass Mbembe nicht nur 2010 einen Aufruf zu einem akademischen Boykott Israels unterzeichnet hat, sondern auch 2015.
Und dass er nicht nur das Vorwort zur Schrift „Apartheid Israel“ verfasst hat, deren Erlös für die BDS-Bewegung bestimmt war, sondern im Winter 2018 auch mit seinem Rückzug von einer Konferenz an einer südafrikanischen Universität gedroht hat. Dort sollte die israelische Psychologin Shifra Sagy sprechen, was der BDS-Bewegung sauer aufstieß. Erst als Sagy ihre Teilnahme absagte, zog Mbembe seine Ankündigung zurück. Dass er mit der BDS-Bewegung nichts zu schaffen habe, wie er mehrmals betont hat, stimmte also zumindest noch in der jüngeren Vergangenheit nicht.
Schon in seinem 1992 veröffentlichten Text „Israel, die Juden und wir“ schrieb er überdies, der Gott der Juden sei „gewalttätig in seinem Zorn“, „blutig in der Rache“ und ein Gott, „ohne den die Juden und Israel nichts sind, der wegen ihrer irdischen Abenteuer ins Gerede kommt und ihnen zeigt, wo sich die Macht befindet“.
Aus Opfern seien Täter geworden, in Afrika wie auch in Israel. Der „krankhafte Wille zum Nichts“, der die Shoa wie den Kolonialismus kennzeichne, sei von einem Teil der Opfer verinnerlicht worden. Auch dies sind Beispiele für antisemitische Stereotype. Für den Historiker Thomas Weber, der den Artikel entdeckt und für die FAZ analysiert hat, belegt dieser Text von Mbembe, „dass die Auseinandersetzung mit Israel der Ausgangspunkt seiner ganzen Theorie ist“.
Paternalismus und Begriffslosigkeit
Mit Recht schreibt der Politikwissenschaftler Stephan Grigat in der taz von „an Eindeutigkeit kaum zu überbietenden Formulierungen“ Mbembes, die von seinen Verteidigern jedoch ignoriert würden. Womöglich drücke sich darin „ein Paternalismus durchaus rassistischer Provenienz aus, bei dem man sich begeistert darüber zeigt, dass ‚die Subalternen‘ sprechen … aber nicht ernst nimmt, was sie sagen.“
Die Palästinenser existierten bei Mbembe „nur als passive Opfer“, so Grigat weiter. „Kein Wort von den mannigfachen Zurückweisungen der diversen Teilungspläne in den letzten 100 Jahren, kein Wort über die arabischen Angriffskriege, kein Wort über die antijüdische Dauerpropaganda. Der Antisemitismus auf Seiten der Palästinenser wird als berechtigte Wut rationalisiert. Auch in ‚Palästina‘ sprechen die ‚Subalternen‘, werden aber von ihren vermeintlichen Unterstützern nicht ernst genommen.“
Es sei, so konstatiert Ingo Elbe in seinem Gastbeitrag für Mena-Watch, „eine bedauerliche Tatsache, dass der Mainstream der postkolonialen Studien keinen Begriff von Antisemitismus hat und daher auch keinen von der Spezifik des Holocaust“. Auch in Mbembes Texten erschienen „Auschwitz, koloniale Massaker und Apartheid daher nicht wirklich als qualitativ verschieden“.
Womöglich ist das, wie auch der von Grigat angesprochene Paternalismus, ein wesentlicher Grund, warum Mbembes Verteidiger auf die Kritik keine ernsthafte inhaltliche Antwort geben können oder wollen, sondern stattdessen teilweise wild nach den Kritikern schlagen und ihnen unterstellen, Mbembe aus niederen Beweggründen zur Strecke bringen zu wollen. Manche wirken überrascht, dass sie überhaupt Widerspruch erfahren; das scheinen sie nicht gewohnt zu sein.
„Nicht ob es entsprechende Aussagen Mbembes gibt wird gefragt, sondern was diejenigen im Schilde führen, die zutreffenderweise behaupten, es gebe sie“, fasst es der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube treffend zusammen.
Prototypisch dafür ist Stefanie Carp, die im Interview der Süddeutschen Zeitung sagt: „Es scheint in dieser beispiellosen und beschämenden Diffamierungskampagne für einige Personen nur darum zu gehen, Recht zu haben.“ Hätten die Kritiker Mbembes Bücher gelesen, „wüssten sie, dass Mbembe sich mit Israel nicht beschäftigt. Nicht sein Thema.“ Genau das ist eben nicht wahr, und deshalb fallen solche Vorwürfe auf Mbembes Apologeten zurück: Was sie den Kritikern unterstellen, gilt letztlich für sie selbst.
„Die Aufgabe von Theoretikern ist es, ihre Theorien zu reparieren“, schreibt Jürgen Kaube am Ende seines Beitrags. „Wenn man sie so anschaut, wären sie damit gut beschäftigt.“ Wie wahr.
Lektüretipp: „Einige Thesen zu Achille Mbembe“ auf dem Blog 0X8000.