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Krisenland Türkei: Touristen bleiben weg, Lira stürzt erneut ab

Wenigstens russische Urlauber kommen wieder in die Türkei. Im Bild ein Küstenstreifen von Antalya. (imago images/VWPics)
Wenigstens russische Urlauber kommen wieder in die Türkei. Im Bild ein Küstenstreifen von Antalya. (imago images/VWPics)

Angesichts des Währungsabsturzes wären Touristen für die Türkei wichtiger als je zuvor. Ob sie noch kommen werden, steht in den Sternen.

Jüngst ist das deutsche Auswärtige Amt dem vielfach geäußerten Wunsch der türkischen Regierung gefolgt und hat ihre Reisewarnung für die Türkei teilweise aufgehoben. Wegen Corona gelten bis zum 31. August für 160 Länder Reisewarnungen. Davon betroffen war auch die Türkei, die neben Großbritannien jetzt das zweite Nicht-EU-Land ist, für das die Reisewarnung zurückgenommen wurde.

Nunmehr gelten die Provinzen Antalya, Izmir, Aydin und Mugla als sicher, wenn auch strikte Regeln gelten. Diese beinhalten unter anderem eine verpflichtende PCR-Testung innerhalb von 48 Stunden vor der Rückreise nach Deutschland. Die Kosten von umgerechnet 15 Euro in einem zertifizierten Labor bzw. 30 Euro am Flughafen müssen die Reisenden selbst tragen.

Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer verwies auf die niedrigen Fallzahlen an Neuinfektionen in diesen Provinzen. Überzeugt habe auch das „spezielle Tourismus- und Hygienekonzept“, das die türkische Regierung vorgelegt habe. „Bei einer Verschlechterung der pandemischen Lage kann die Reisewarnung auch für die genannten vier Provinzen wieder eingeführt werden“, so Demmer.

Touristen bleiben weg 

Diese Neueinschätzung kommt der Türkei sehr gelegen. Denn eine der tragenden Säulen der türkischen Wirtschaft ist die Tourismusbranche. Von ihr leben nicht nur Saisonarbeiter, die insbesondere in den Sommermonaten ihr Einkommen in den beliebten Urlaubsregionen an der Ägäis und am Mittelmeer verdienen. Auch das Land selbst füllt mithilfe der Touristen die dringend benötigten Devisenreserven.

2019 boomte der Tourismus, etwa 52 Millionen Besucher kamen in die Türkei, ein neues Rekordjahr. Die Einnahmen betrugen knapp 35 Milliarden Dollar, eine Steigerung von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Entsprechend hatte die türkische Tourismusbranche auf das Jahr 2020 gesetzt und hohe Erwartungen. Doch dann kam Corona, die Touristen blieben weg.

2019 kamen von den Touristen in der Türkei rund fünf Millionen aus Deutschland. Sie stand damit nach Spanien und Italien an dritter Stelle der Liste der beliebtesten Urlaubsziele der Deutschen. Nach den Russen – etwa sieben Millionen – sind die Deutschen die zweitwichtigste Urlaubergruppe. Nach Angaben des Tourismusministeriums kamen in diesem Juni fast 96 Prozent weniger Besucher ins Land als im Vorjahr. Im ersten Halbjahr waren es rund 75 Prozent weniger Touristen als noch 2019.

Hocherfreut über den jüngsten Schritt des Außenministeriums fiel deshalb die Reaktion der türkischen Regierung aus. „Wir begrüßen die Aufhebung der Reisewarnung Deutschlands für unsere Ferienregionen“, schrieb Außenminister Mevlüt Cavusoglu auf Twitter. Der türkische Tourismusminister Mehmet Nuri Ersoy verkündete: „Wir sind bereit, unsere deutschen Gäste im Rahmen des ‚Zertifikationsprogramms für gesunden Tourismus‘ zu empfangen.“

Die türkische Regierung drängte wochenlang auf die Aufhebung der Reisewarnung. Anfang Juli war der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu eigens nach Berlin gereist, um im Gespräch mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas auf eine Neubewertung hinzuwirken. Doch es blieb zunächst bei der Reisewarnung.

„Corona-Reisewarnungen sind in Deutschland keine Verhandlungsmasse für politische Deals – sie dienen dem Gesundheitsschutz, und das muss auch Präsident Erdoğan begreifen“, sagte Cem Özdemir noch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und warnte die deutsche Bundesregierung davor, auf dem Drängen der Türkei nachzugeben.

Corona bringt das Land durcheinander

Durch die Corona-Pandemie ist die türkische Krisenökonomie hart getroffen, denn krisengeschüttelt ist die Türkei spätestens seit der Währungskrise, die im August 2018 ausgebrochen ist. Die türkische Wirtschaft konnte sich allerdings durch den florierenden Tourismus 2019 gerade so über Wasser halten, profitierte bei Export durch die Lira-Abwertung und hat durch stattliche Sparmaßnahmen, den Zinssenkungen der Zentralbank und einer milden Inflationsbekämpfung die Krise zwar nicht gelöst, aber wenigstens aufgeschoben.

Zusätzlich pumpte die Türkische Zentralbank, nachdem der türkische Staatspräsident Erdoğan im August 2019 zu einem Richtungswechsel gedrängt und in die Unabhängigkeit der Zentralbank interveniert hatte, eigene Devisenreserven in den Markt, was zur Folge hatte, dass der Wechselkurs Lira-Dollar – wenn auch im Vergleich zu den Vorjahren hoch – bei etwa 6.5 Lira sich stabilisiert werden konnte. Der Preis zur Stabilisierung des Lira-Kurses war heftig: Mehr als 110 Milliarden Dollar haben die Zentralbank und mehrere Privatbanken ausgegeben, um die heimische Währung am Devisenmarkt zu stützen.

Doch mit der Corona-Krise, die weitreichende Folgen auf die Weltwirtschaft hat, hatte auch die türkische Regierung nicht gerechnet. Gerade weil die Türkei über keinerlei natürliche Ressourcen verfügt, somit Erdöl und Erdgas nahezu zur Gänze aus Aserbaidschan, dem Iran und Russland importiert werden müssen, und wie international üblich mit Dollar gezahlt wird, schlagen die Importkosten kräftig auf die Bilanzen – zumal dann, wenn die Lira-Abwertung zunimmt und die Ausgaben sich kursbedingt erhöhen. Dies führt seit Jahrzehnten zu einem Leistungsbilanzdefizit, denn importiert die Türkei chronisch mehr als sie exportiert.

So haben sich wirtschaftliche Abhängigkeiten ergeben, die die Türkei gerade in Krisenzeiten wie diesen in die Bredouille bringen – und wenn zusätzlich ausländische Kredite ausbleiben, weil internationale Ratingagenturen, wie in den vergangenen zwei Jahren geschehen, die türkische Kreditwürdigkeit auf die Stufe BB- herabgestuft haben, werden die Einnahmen aus dem Tourismus existenziell, sofern der Export nicht spürbar steigt.

Lira stürzt erneut ab

Mit dem bisherigen Wegbleiben der Touristen, der schwächelnden Landeswährung und dem Abschmelzen der Dollarreserven von 81 Milliarden auf 50 Milliarden ist der Spielraum der Türkischen Zentralbank nun stark beschränkt. Die türkische Lira fiel am Montag auf ein weiteres Rekordtief zum Dollar, auf 7,40 Lira. Damit hat sie seit Januar knapp 20 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Ob die Zentralbank sich daher zu einer Leitzinserhöhung durchringen wird, um ausländisches Geldkapital anzulocken, wohl wissend, dass der türkische Staatspräsident ein erklärter Feind des Zinses ist, ist fraglich. Geldpolitisch sind ihr jedoch ohne eine Leitzinserhöhung – aktuell liegt der Leitzins bei 8,25 Prozent und damit deutlich unter der Inflationsrate von 11,76 Prozent – die Hände gebunden, zumal die Verunsicherung auf dem Devisenmarkt – aktuell bedingt durch die politischen Spannungen mit Griechenland – auf absehbare Zeit nicht verschwinden wird.

Üblicherweise kommt eine Lira-Abwertung den Touristen zugute. Sie können mehr ausgeben und profitieren vom für sie guten Wechselkurs. Entscheidend wird daher sein, ob die Touristen nun die türkischen Urlaubsgebiete ansteuern und die Sommermonate August und September noch nutzen – trotz Corona.

John Vandesquille, Analyst bei GlobalData, ist optimistisch und geht davon aus, dass der Kursverfall der Lira für den türkischen Tourismus ein Segen sein könnte. Für die Wettbewerber Ägypten und Spanien stünden die Zeichen in diesem Sommer eher schlecht. Trotz einer hohen Anzahl von Corona-Fällen habe die Türkei eine niedrigere Sterblichkeitsrate als der Konkurrent Spanien, und der günstige Wechselkurs des Landes locke mehr ausländische Touristen an, so Vandesquille.

So zeichne sich bereits jetzt ab, dass britische Touristen – 2019 seien etwa 2.5 Millionen Briten in die Türkei gereist – verstärkt in die Türkei statt nach Spanien kommen werden. Ob dies auch auf deutsche wie russische Touristen zutreffen wird, wird sich zeigen. Am 10. August haben russische Airlines ihre Flüge in die Urlaubsorte in der Türkei wieder aufgenommen.

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