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Kriegsausbruch trotz israelisch-libanesischer Grenzverhandlungen möglich

Israelisches Kriegsschiff vor eine Erdgasförderanlage in der Bucht von Haifa
Israelisches Kriegsschiff vor eine Erdgasförderanlage in der Bucht von Haifa (Quelle: JNS)

Der frühere Beauftragte des US-Außenministeriums für die Gespräche über die Seegrenze zwischen den beiden Ländern ist der Ansicht, dass eine Einigung besonders für den Libanon von Vorteil wäre.

Mike Wagenheim

Der frühere Beauftragte des US-Außenministeriums für die israelisch-libanesischen Verhandlungen über die Seegrenze ist der Ansicht, die derzeitige Einigung sei für den Libanon »insgesamt recht gut«. David Schenker war unter dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump stellvertretender Staatssekretär für Angelegenheiten des Nahen Ostens und an der Wiederaufnahme der Verhandlungen über den Verlauf der Seegrenze zwischen Israel und dem Libanon – zwei erbitterten Feinden, die sich technisch gesehen immer noch im Krieg befinden – beteiligt.

Damals erwiesen sich die Bemühungen sich als vergeblich, da die Libanesen ihre Ansprüche auf Hoheitsgewässer weit über den international anerkannten Ausgangspunkt für Verhandlungen hinaus massiv erhöhten. Die umstrittenen Gewässer umfassen 860 Quadratkilometer zwischen der südlichen Linie, die der Libanon als Grenze beansprucht: der sogenannten Linie 23, die das Land offiziell im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens geltend gemacht hat; und der Grenze, die Israel im Norden zu ziehen versucht: der sogenannten Linie 1.

Im Jahr 2012 schlug US-Vermittler Frederic Hof einen Kompromiss vor, der eine Aufteilung des Gebiets in einem Verhältnis von fünfundfünfzig Prozent für den Libanon und fünfundvierzig Prozent für Israel vorsah. Die libanesische Regierung stimmte dem Vorschlag jedoch ohne Angabe von Gründen nicht zu, weshalb die Verhandlungen abgebrochen wurden. Als die indirekten Gespräche Ende 2020 wieder aufgenommen wurden, legte die libanesische Delegation neue juristische und hydrografische Studien vor, um einen erweiterten – sich an der sogenannte Linie 29 orientiert – Anspruch zu untermauern, der zusätzliche 1.430 Quadratkilometer südlich der Linie 23 umfasst.

»In der zweiten Verhandlungsrunde stellten die Libanesen eine extreme Forderung, die darin bestand, ihre zuvor bei den Vereinten Nationen eingereichte Linie 23 zu erweitern und Anspruch auf die Linie 29 zu erheben«, kommentiert Schenker und nannte das libanesische Ansinnen »eine maximalistische Forderung, die die Verhandlungen im Grunde zum Stillstand brachte. Sie blieben dann für die nächsten eineinhalb Jahre eingefroren, bis [der Sonderbeauftragte des US-State Departments und Koordinator für internationale Energiefragen, Amos] Hochstein ins Spiel kam und die Libanesen von ihrem Punkt abzurücken begannen.«

Vorteil für den Libanon

Die neue Vereinbarung sieht vor, dass die libanesische Grenze wieder an der Linie 23 verläuft. »Ich denke, dass der Libanon sehr zufrieden sein kann. Es sieht so aus, als ob Israel den Linien zugestimmt hat, was im Grunde zu hundert Prozent der libanesischen Forderung entspricht, plus einer Verhandlung über das Qana-Feld.« Dieses Gasfeld wird voraussichtlich der Libanon übernehmen, wobei Israel möglicherweise Lizenzgebühren erhält, sollte das Feld erschlossen werden. Israel bekommt im Gegenzug »eine Pufferzone von sieben Kilometern Länge und vielleicht ein bisschen Seelenfrieden, indem ein Streitpunkt zwischen der Hisbollah und Israel beseitigt wird. Aber ich denke, insgesamt ist das ziemlich gut für den Libanon«, zieht Schenker Bilanz.

Alles hänge von den Prioritäten ab, so Schenker, der als Taube Senior Fellow am Washington Institute for Near East Policy tätig ist und dessen Programm für arabische Politik leitet. Für die derzeitige Regierung von Ministerpräsident Yair Lapid scheint die Lösung der Grenzfragen Priorität zu haben, doch selbst ein Vertragsabschluss verspricht diesbezüglich nicht unbedingt wie eine weitere Stabilisierung der Lage. Denn ein Abkommen über die Seegrenze »trägt nicht dazu bei, die Spannungen entlang der Blauen Linie abzubauen, wo sich die Hisbollah eingräbt, Kommandotruppen an der Grenze stationiert und mit hoher Geschwindigkeit ihr Projekt für präzisionsgelenkte Munition entwickelt«, sagte Schenker und bezog sich dabei auf die umstrittene Rückzugslinie nach dem Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Südlibanon im Jahr 2000, die als Pufferzone dienen soll.

Die vom Iran unterstützten terroristischen Kräfte der Hisbollah haben von dieser Linie aus Angriffe auf Israel gestartet und unterhalb der Linie Tunnel nach Israel gegraben. Die Hisbollah drohte in der Vergangenheit wiederholt mit militärischen Attacken auf Israel, sollte das Abkommen zugunsten des jüdischen Staates ausfallen. Während des heurigen Sommers schoss sie bewaffnete Drohnen auf das von Israel kontrollierte Karish-Gasfeld in Israels unumstrittener Zone im Mittelmeer ab.

»Ich glaube nicht, dass das anvisierte Abkommen viel zur Verbesserung der Atmosphäre beitragen wird. Ich denke, die Chancen für einen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah bleiben gleich groß«, sagte Schenker, obwohl es seiner Ansicht nach ironischerweise die zerstörerische Wirkung der Hisbollah auf die libanesische Gesellschaft war, die die Gespräche über die Seegrenze überhaupt wieder in Gang brachte.

»Ich denke, dass die Entscheidungsträger im Libanon – und damit meine ich die Hisbollah – beschlossen haben, der Ausbeutung dieser Gas-Ressourcen nicht länger im Weg stehen zu können, was die Gespräche zu diesem Zeitpunkt erst wieder ermöglichte. Mit anderen Worten: Die Hisbollah war es, die zuvor auf der Bremse gestanden ist«, so Schenker, der auf erschreckende Zahlen verwies, wonach fünfundachtzig Prozent der Libanesen in Armut leben und die libanesische Lira immer weiter an Wert verliert. »Die Lage ist so schlimm, dass die Hisbollah die Regierung nicht daran hindern konnte, Einnahmen aus der Gasförderung anzustreben. Und so wird sie jetzt die Lorbeeren dafür einheimsen, dass sie Israel mit ihren Drohungen zu diesem Deal gebracht hat, ob das nun stimmt oder nicht.«

Kritik von Netanjahu

Der ehemalige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte die israelische Seite der Gespräche angeführt, während David Schenker am Ruder war, und kritisierte nun das anstehende Abkommen lautstark, da es Israels Sicherheit gefährde und seine wirtschaftlichen Interessen vernachlässige. Schenker lehnte es zwar ab, sich zu vergangenen diplomatischen Verhandlungen zu äußern, sagte aber, dass Netanjahu und sein Team unter der Leitung des damaligen Energieministers Yuval Steinitz nie die Gelegenheit hatten, ihre territorialen und sicherheitsrelevanten roten Linien auf den Tisch zu legen, da die Gespräche aufgrund der Maximalforderungen des Libanons nicht zustande kamen.

Netanjahu hat Berichten zufolge die Regierung von US-Präsident Joe Biden wegen der Vermittlung des aktuellen Vorschlags scharf angegriffen und ging sogar so weit, in privatem Kreis eine Wahlbeeinflussung in den Raum zu stellen, da der Abschluss der Gespräche während des israelischen Wahlkampfs erfolgte.

Schenker widersprach dieser Behauptung und bezeichnete die amerikanischen Bemühungen, die auf Einladung Israels erfolgt seien, als ebenso »altruistisch« wie sie es auch zu seiner Amtszeit unter Trump und Netanjahu gewesen seien. »Ich denke, dies ist ein seltener außenpolitischer Erfolg für die Regierung Biden. Und es ist etwas, auf das sie als Erfolg verweisen kann, vor allem jetzt, da der Waffenstillstand mit den vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen ausgelaufen ist«, sagte Schenker und bezog sich damit auf die Beendigung des von den USA und den Vereinten Nationen vermittelten Waffenstillstands am Wochenende.

Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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