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Frankreichs Ex-Außenminister Kouchner: Israel ist schuld an Zunahme von Antisemitismus

Frankreichs ehemaliger Außenminister Bernard Kouchner
Frankreichs ehemaliger Außenminister Bernard Kouchner (© Imago Images / NTB)

Aus Sicht von Frankreichs ehemaligem Außenminister Bernard Kouchner gibt es Gründe, Antisemit zu sein. Einer davon ist Israel.

Aus Sicht von Frankreichs früherem Außenminister Bernard Kouchner gibt es gute Gründe, Antisemit zu sein. Kouchner, geboren 1939, war 1971 Mitbegründer der Organisation Médecins Sans Frontières (MSF, Ärzte ohne Grenzen) und nahm für sie 1999 den Friedensnobelpreis entgegen. 

Nach den Nato-Luftangriffen auf Jugoslawien im Frühjahr 1999 und dem folgenden jugoslawischen Rückzug aus dem Kosovo war er von Juli 1999 bis Januar 2001 Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für die Interimsverwaltung im Kosovo (UNMIK) und als solcher zeitweise fast täglich in den internationalen Schlagzeilen. In seine Amtszeit fiel die ethnische Säuberung des Kosovo – heute leben dort fast nur noch Albaner – und die Verschleppung Hunderter Menschen durch die albanische UCK, mutmaßlich zum Zweck des Organraubs

Von 2007 bis 2010 war Kouchner französischer Außenminister und Minister für Europäische Angelegenheiten in der Regierung von François Fillon; in der zweiten Jahreshälfte 2008 zusätzlich Präsident des Rats der Europäischen Union. Im Jahr 2010 forderte Bernard Kouchner die sofortige internationale Anerkennung eines palästinensischen Staates ohne Verhandlungen. 

Letzten Sonntag war Kouchner, dessen Vater Jude war, zu Gast beim Pariser jüdischen Radiosender Radio J. Im Verlauf des 45-minütigen Gesprächs sagte er:

»Wie können wir nicht antisemitisch sein, wenn wir den Schaden sehen, den die israelische Armee angerichtet hat? Betrachten Sie Gaza, es ist immer noch ein Feld des Mordens und der Katastrophen. Es ist der Zusammenbruch von Familien. Natürlich gab es den 7. Oktober. Und Gott weiß, dass es mich empörte. Aber rächt man sich mit 40.000 Toten, wenn die Zahl stimmt?«

Hier unterbrach ihn der Moderator Frédéric Haziza: »Sie sagen, es ist angesichts dessen, was in Gaza passiert, normal, wenn man antisemitisch ist?« Kouchner erwiderte: »Es ist nicht normal, aber die Reaktion kann so sein.«

Tief verwurzeltes Problem

Dem widersprach der Historiker Marc Knobel, ehemaliges Mitglied des wissenschaftlichen Rats der Interministeriellen Delegation zur Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Anti-LGBT-Hass (Dilcrah), im Magazin Le Point. Es sei verständlich, so Knobel, dass Bernard Kouchner die Schrecken des Kriegs anprangere. »Intensive israelische Angriffe« hätten im Gazastreifen zu »massiven Zerstörungen und erheblichen Verlusten an Menschenleben« geführt. Gewalt gegen Zivilisten müsse Anlass zu großer Sorge sein, und das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung sei unbestreitbar.

Es sei jedoch die Frage zu stellen, ob Kouchner die Lage »vereinfacht«, indem er die Verantwortung der Hamas und deren andauernde Militäroperationen gegen Israel ausblende und den Krieg als einen Akt der Rache Israels darstelle.

Wie Kouchner zu behaupten, wegen dieses Kriegs antisemitisch werden zu können, sei »sehr ernst«. Kouchner scheine die »Tragweite des Antisemitismus herunterzuspielen, indem er ihn mit tragischen Ereignissen in Verbindung bringt«. Eine solche Rechtfertigung könnte »uralte Stereotypen, denen Juden ausgesetzt seien, befeuern« und jene ermutigen, die aus verschiedenen Gründen versuchen, Juden anzugreifen. »Dies würde den Eindruck erwecken, dass es genügt, einen Vorwand zu finden, um den Anstieg des Antisemitismus zu rechtfertigen, um so diesen hartnäckigen Hass zu legitimieren und die Schuld derjenigen zu lindern, die ihm leicht nachgeben.«

Der Historiker erinnerte an das »Klima der Angst und Unsicherheit«, dem Juden in Frankreich ausgesetzt sind. Seit Oktober 2023 wurden mehr als 15.000 antisemitische Straftaten verübt. »Diese Situation verdeutlicht das wachsende Ausmaß des Antisemitismus in Frankreich, der kein neues Phänomen, sondern ein tief verwurzeltes Problem ist.«

Antisemitismus, so Knobel, dürfe nicht legitimiert werden. »In diesem Zusammenhang erfüllt es mich mit tiefer Bestürzung, Bernard Kouchner zu hören. Jeden Tag kämpfen meine Kollegen und ich gegen diesen Hass und messen, wie gefährlich er ist.«

Normalisierung des Judenhasses

Julien Bahloul, ein in Frankreich aufgewachsener Jude, der heute in Tel Aviv lebt, kommentierte Kouchners Worte auf X:

»Als ich 13 war, erhielt ich in der Mittelschule Morddrohungen, denn: ›Wer Jude ist, bringt Palästinenser um.‹ In Frankreich wurden auf Grundlage dieses Amalgams mehrere Juden getötet. Kouchner hatte schon immer Selbsthass. Das ist sein Problem. Aber möge er uns in Frieden lassen.«

Dies deckt sich mit den Erfahrungen des pensionierten Lehrers und Schulleiters Bernard Ravet, der 2017 das BuchPrincipal de collège ou imam de la République? veröffentlichte, in dem er unter anderem folgende Episode aus seiner Zeit als Direktor des Collège Versailles in Marseille beschreibt:

»Sie [eine Frau] war gerade aus Israel kommend neu in der Nachbarschaft und wollte ihren Sohn am Collège einschreiben. Ich traf sie. So gut das Französisch der Mutter war, so stockend war das des Sohnes, der in Israel aufgewachsen und dort auf Hebräisch unterrichtet worden war. Ich hätte ihn in einem Kurs für Neuankömmlinge einschreiben müssen, damit er Französisch als Fremdsprache lernt.

Kaum hätte er mit seinem scharfen Akzent zwei Worte gesprochen, würden die anderen fragen, woher er komme. Würde er die Wahrheit sagen, würde man ihn zusammenschlagen. Daran hatte ich keine Zweifel: Ein paar Monaten zuvor war Edouard Zambeaux, ein Reporter von RFI, in die Schule gekommen und hatte sich nach den Beziehungen zu Juden erkundigt. Die Schüler hatten geantwortet: ›Es gibt hier keine. Gäbe es sie, müssten sie sich verstecken.‹«

Vor diesem Hintergrund können Kouchners Äußerungen nicht anders verstanden werden denn als Versuch, den täglichen Antisemitismus zu normalisieren. Wie normal der Hass auf Juden für viele ist, zeigt ein aktueller Vorfall, der vor einigen Tagen Nutzer der sozialen Medien beschäftigte. In der Pariser Metro wurde ein junger, kahl geschorener Mann fotografiert, der ein Shirt ähnlich dem Trikot der französischen Fußballnationalmannschaft trägt, auf dessen Rückseite jedoch kein Name eines Spielers aufgedruckt war, sondern »Anti Juif« (»Antijude«). 

Nachdem der Mann zur Fahndung ausgeschrieben wurde, stellte er sich der Polizei. Französische Medien berichteten: »Die psychiatrische Untersuchung ergab keine Anomalie, Veränderung oder Aufhebung des Urteilsvermögens des Verdächtigen, erklärte die Staatsanwaltschaft, die diese Untersuchung beantragt hatte.« Der 1996 Geborene wurde in Gewahrsam genommen und die Pariser Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Aufrufs zum Rassenhass ein – eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr geahndet werden könne, sodie französische Huffington Post.

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