Während die iranische Bevölkerung ums Überleben kämpft, bereichert sich eine elitäre Kaste an Politikern und religiösen Führern ungeniert an Grund und Boden.
Kazem Seddiqi, Führer des Freitagsgebets in Teheran und Leiter der Zentrale für die Förderung der Tugend und die Verhinderung des Lasters, ist ein Mann, der nach eigenen Angaben und denen seiner Anhänger dazu berufen sei, das Volk zu führen. Diese Führung dient natürlich vor allem dazu, die Kleidung von Frauen zu kontrollieren, die Inflation zu rechtfertigen oder »wirtschaftliches Fasten« zu empfehlen, um die Armut zu ertragen.
Das ist Seddiqis Version des Krisenmanagements für die iranische Wirtschaft. Was jedoch im Schatten verborgen bleibt, ist seine persönliche und familiäre Führung: Zwei seiner Söhne wurden kürzlich in einem Fall von Landraub und Wirtschaftskorruption verhaftet. Die beiden erwarben über ein familiengeführtes Unternehmen ein wertvolles Grundstück zu einem symbolischen Preis, und die Übertragungsurkunde wurde von niemand anderem als ihrem Vater selbst unterzeichnet.
Wenn also ein Führer des Freitagsgebets den Landraub seiner Kinder absegnet und gleichzeitig dem Rest der Bevölkerung von der Kanzel aus der Öffentlichkeit Sparsamkeit predigt, wird aus Ironie Tragik.
Nicht systemisch?
Der Oberste Führer der Islamischen Republik hat jahrelang wiederholt erklärt: »Ja, wir haben Korruption, aber sie ist nicht systemisch.« Ein Satz, der einfach übersetzt lautet: Wir haben Feuer, aber keinen Waldbrand. Nur Flammen, aber der Wald brennt noch nicht.
Aber es reicht schon, einen Blick auf die Korruptionsskandale der letzten Jahre zu werfen: die Fälle Mahafarid Amir-Khosravi (Khavari), Babak Zanjani, Saeed Mortazavi, Mobarakeh Steel, die Korruption in der Petrochemie, die Lehrer-Pensionskasse und all die privilegierten Sprösslinge mit Land, Immobilien und subventionierten Dollars. Und jetzt der Fall der Familie Seddiqi.
Doch selbst angesichts dieser Prominenz und Fülle der Fälle sei all das laut Khamenei kein Anzeichen für systemische Korruption. Selbst, wenn noch viele weitere Skandale dieser Art ans Tageslicht kommen, werden die Führer der Islamischen Republik sie nicht als »systemisch« bezeichnen, solange die Existenz des Regimes nicht bedroht ist. Und doch sind die Anzeichen eindeutig: Korruption, die aus den Reihen des Establishments und über offizielle Positionen begangen wird; Netzwerke aus Familien, der Wirtschaft und dem Sicherheitsapparat und mangelnde Rechenschaftspflicht zeichnen das Bild.
All diese Indikatoren scheinen nicht nur gelegentlich aufzutreten, sondern tief im herrschenden System des Irans verwurzelt zu sein. Die Korruption hat sich über die Geheimhaltung hinaus in den Bereich des Verkaufs von Spiritualität bewegt. Heute halten die Freitagsgebetsführer nicht nur Predigten, sondern unterzeichnen auch Urkunden, mit denen sie öffentliches Eigentum an ihre Familienunternehmen übertragen.
Ultimative Ungerechtigkeit
Der Name der Firma von Seddiqis Söhnen lautet »Anhänger der Ideale Qaems« – ein heiliger Ausdruck, der an den Mahdismus, den Glauben an den schiitischen Messias, und die ultimative Gerechtigkeit erinnert. In Wirklichkeit spiegelt ihr Verhalten jedoch eher die Ideale des Raubens und Stehlens wider. Einerseits rufen sie die Iraner zu Geduld und Unterwerfung auf, andererseits reißen sie sich selbst Luxusimmobilien zu lächerlichen Preisen unter den Nagel.
In der Islamischen Republik ist es gängige Praxis, religiöse Namen zu gebrauchen, um wirtschaftliche Motive zu verschleiern. Zahlreiche angebliche Wohltätigkeitsorganisationen sind zu Fassaden für Schmuggel oder Geldwäsche geworden sind. Und viele religiöse Prozessionen, sogenannte Hey’ats, dienen nur oberflächlichen geistlichen Zwecken, während sie hinter den Kulissen zwielichtige Vertragsunternehmen mit verdächtigen Budgets betreiben.
Während die junge Generation Schlange steht, um auszuwandern, Subventionen zu erhalten oder sogar eine Niere zu verkaufen, kurven die Sprösslinge der Elite in Milliarden-Toman-Autos herum und schwimmen im Reichtum. Die Islamische Republik hat es nicht nur versäumt, eine Mauer zwischen persönlicher Korruption und politischer Macht zu errichten – sie hat beides sogar in ein hübsches religiöses Paket geschnürt: Sie schwören zu fasten, um die Armut der Menschen zu rechtfertigen, und füllen sich im Namen der Religion die Taschen.
Was heute geschieht, ist weder eine Ausnahme noch sind es kleine Missstände. Es ist ein Puzzle, das über Jahre hinweg sorgfältig zusammengesetzt wurde: von der Zentrale zur Förderung der Tugend zu den sich bereichernden Familienunternehmen, von den Kanzeln der Freitagsgebete zu den Hinterzimmern, in denen Verträge mit Rentiers unterzeichnet werden.
Heute ist die Kanzel keine Plattform mehr für moralische Ermahnungen, sie ist ein Instrument, um die Iraner zu täuschen. Ein Führer des Freitagsgebet, der die Landnahme seiner Kinder absegnet, ist kein Vertreter der Religion mehr, sondern Teil der systemischen Korruptionsmaschinerie.