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Kommt Israel einer Regierung näher?

Nun ist Yair Lapid am Zug, sich an einer Regierungsbildung zu versuchen
Nun ist Yair Lapid am Zug, sich an einer Regierungsbildung zu versuchen (© Imago Images / Xinhua)

56 Knesset-Mitglieder plädierten dieser Tage bei Staatspräsident Rivlin dafür, dass sich Yair Lapid an der Bildung einer Koalition versuchen soll. Netanjahu ging Anfang April mit weniger Empfehlungen an den Start. Wie stehen dieses Mal die Chancen?

Die letzte Woche war Israel in Trauer wegen des Meron-Unglücks, das 45 Menschenleben forderte. Zu Recht wurden sofort Forderungen aufgeworfen, Verantwortlichkeiten zu klären. Doch leider kamen kaum Fragen auf, die der Klärung zuträglich wären. Stattdessen hagelte es Anschuldigungen, die sich zudem fast ausschließlich an andere richteten.

Zugleich waren diese schwierigen Tage eine heiße politische Phase, da Netanjahus Frist zur Koalitionsbildung ablief. Trotz diverser Manöver, von Beginn der 28-tägigen Frist bis zur allerletzten Minute, scheiterte er. Nur wenige Stunden, nachdem Staatspräsident Rivlin das Mandat an Yair Lapid weiterreichte, wiederholte sich ein Szenario: Anschuldigungen gegen andere.

Die Schuldiggesprochenen

Am Abend nach Koalitions-Aus stand ein sichtlich müder Netanjahu vor den Kameras, um Bennett und dessen Partei „Jamina“ vorzuwerfen, Wahlkampfversprechen zu brechen. Überdies machte er Bennett dafür verantwortlich, dass keine rechtskonservative Koalition zustande kam.

Netanjahu hat Recht: Israels Wähler haben sich politisch tatsächlich eher für die Rechtskonservative ausgesprochen. Doch teilweise stimmten sie für Parteien, die vor der Wahl deutlich gemacht hatten, dass sie sich trotz ihres rechtskonservativen Charakters auf die Seite des „Anti-Netanjahu-Blocks“ schlagen werden.

Sie blieben dabei, sodass Israel in diesem Zusammenhang auf ein weiteres Novum dieser Wahl blickt: Bislang ist kein Parlamentarier, wie sonst in Israel nach einer Wahl üblich, zu einer anderen Partei übergelaufen.

Und ja, Netanjahu hat außerdem Recht, Bennett war widerspenstig, sehr sogar. Das ist allerdings nicht darauf zurückzuführen, dass er sich gegen eine Koalition mit dem Likud sperrte, sondern weil klar war: Netanjahu kommt nur auf eine mehrheitsfähige Koalition, wenn die potenziellen Partner einen ideologischen Drahtseilakt vollführen.

Die Tücken von Prä-Wahl-Allianzen

Genau dazu waren die „Religiösen Zionisten“ nicht bereit. Sie blieben, trotz leisem Aufbegehren in eigenen Reihen und mächtigem Druck von Netanjahu, standhaft: Keine Kooperation mit der arabischen Partei Ra’am. Auf die wäre Netanjahu jedoch – selbst mit Bennett an Bord – angewiesen gewesen.

Das Abkommen, das Netanjahu mit den „Religiösen Zionisten“ vor der Wahl schloss, damit den Rechtskonservativen keine Stimmen verlorengehen, bescherten diesem Zusammenschluss von drei Parteien des Rechtsaußen-Spektrums eine präzedenzlose Mandatsstärke, die letztlich auch auf Kosten des Likud ging.

Doch nicht nur für Netanjahu sollte dieser „Allianz auf dem Weg zum sicheren Wahlsieg“ nicht das Erhoffte entspringen. Die „Religiösen Zionisten“ äugelten bereits mit Ministerämtern.

Darunter Itamar Ben-Gvir („Otzma Yehudit“), der sich zum Kahane-Rassismus bekennt, dessen politische Gremien nicht nur von der EU und in den USA, sondern auch von Israel als terroristische Vereinigungen eingestuft verboten sind. Nun gehen sie zusammen mit Netanjahu leer aus. Wenngleich einige in Israel meinen: Vorsicht, Netanjahu hat manchmal doch noch ein As im Ärmel!

Yair Lapids Herausforderungen

Dass Yair Lapid mit mehr Empfehlungen als Netanjahu an den Start geht, wird es ihm nicht leichter machen, im Gegenteil. Auch wenn seine „Zukunftspartei“ zweistärkste Partei der Knesset ist, bringt sie weniger Mandate ein. Außerdem blickt Lapid auf eine enorm große Spannbreite, was die ideologischen Differenzen seiner potenziellen Koalitionspartner angeht, die überdies sehr viel zahlreicher sind als Netanjahu hätte unter den Hut bringen müssen.

Keine 24 Stunden nachdem Lapid das Mandat übertragen worden war, konnte man bereits beobachten, wie leicht ein Dominoeffekt einsetzen kann. Fordert ein potenzieller Partner ein Zugeständnis, will ein anderer unter keinen Umständen zurückstehen. Dabei geht es dieses Mal weniger um Geltung oder gar Macht, als um Begrenzung des Imageschadens, den man bei der eigenen Wählerbasis wegen Beteiligung an einer solchen Koalition erleiden könnte.

Lapid wird schwerlich darauf bauen können, dass das einst verbindende Element – das kategorische Nein zu Netanjahu –weiterhin eine verbindliche Grundlage schafft. Auch die Beteuerung, alles daran zu setzen, einen fünften Wahlgang abwenden, ist kein Erfolgsgarant.

Potenzielle Koalitionspartner rief er dazu auf, nicht bei den erforderlichen Kompromissen zu verharren, sondern das Ziel, „Israel zu heilen“ vor Augen zu haben. Es sei Zeit, Hass und gegenseitigen Angriffen ein Ende zu setzen, Respekt und Einheit einkehren zu lassen und „etwas Neues, Anderes, in Angriff zu nehmen.“ Er hat Recht, nicht nur Israels Politik, sondern auch der israelischen Gesellschaft würde es guttun, die wachsende Zerklüftung zu überwinden.

Eine auf dem „Anti-Netanjahu-Block“ basierende Koalition wäre tatsächlich ein Brückenschlag über einige Klüfte, doch egal welche Ziele man sich selbst setzt, aus Sicht der daran Unbeteiligten, darunter die ultraorthodoxen Parteien, die weiterhin zu Netanjahu stehen, könnte das vielmehr zum Wachsen von Klüften beitragen.

Ein entschlossener Bennett mit „Jamina“-Wackelkandidaten

Weil Lapid bereit ist, Bennett den Vortritt bei der Premierrotation zu überlassen, scheint sich momentan alles um Bennett zu drehen. Das stimmt durchaus, aber: Selbst, wenn Lapid alle sechs Parteien des jüdischen Wählerspektrums seines „Veränderungsblocks“ an Bord holt, kommt er auf keine regierungsfähige Mehrheit.

Somit mag es momentan um Bennett gehen, bezüglich einer regierungsfähigen Mehrheit könnte jedoch zutreffen, was Ra’am-Parteichef Mansour Abbas anmerkte: „Auch Lapid ist auf uns angewiesen.“

Bennett seinerseits gehörte zu jenen Parteien, die Netanjahu wärmstens rieten, nicht auf Ra’am zu bauen. Seine Wählerschaft ist angesichts seiner Erwägung, sich entgegen seiner hoch und heilig geleisteten Wahlkampfversprechen einer Lapid-Koalition mit Partnern im Linksspektrum anzuschließen, bereits auf den Barrikaden. Einstweilen versucht Bennett, die Gemüter zu beschwichtigen, indem er dran festhält, dass man zumindest versuchen sollte, einen fünften Wahlgang abzuwenden.

Noch bekunden die „Jamina“-Parlamentarier Einigkeit, erste Wackelkandidaten ließen aber bereits durchblicken, dass sie ausscheren könnten. Gerade die Nummer Zwei der Partei, Ayelet Shaked, die mit vielen Zugeständnissen die Parteimitglieder bei der Stange zu halten versucht, bringt selbst das Potenzial mit, die Notbremse zu ziehen, um nicht totalen Imageschaden bei ihrer Wählerbasis zu erleiden.

Die Ruhe selbst: Mansour Abbas

Wer einstweilen wieder einmal dem Koalitionsgerangel von der Seite zuschaut, ist Ra’am-Chef Mansour Abbas. Vermutlich kann er das momentan tatsächlich sogar recht gelassen tun, auch wenn einige vermuteten, dass ihm seine Verurteilung des Anschlags an der Tapuach-Kreuzung in Samaria weniger gut bekommen wird.

Doch: Aus den Reihen seiner Partei war noch nicht einmal ein Mucks zu hören und seiner nicht durchgängig begeisterten Wählerbasis rief er schlichtweg die Partei-Charta in Erinnerung und bekräftigte: „Ich verurteile jeden Anschlag auf Unschuldige und rufe dazu auf, Menschenleben zu schützen und der Hoffnung Platz einzuräumen, gemeinsam in Frieden miteinander zu leben.“ Damit beschreitet er weiterhin konsequent Neuland für die arabischen Bürger Israels.

Bibis jüngstes Vermächtnis

Netanjahu hat ohne Zweifel Großes für Israel geleistet. Diese Wahl fügte der Liste seiner Verdienste einen weiteren Posten hinzu, mit dem er sich selbst vermutlich nicht brüsten würde.

Seine Verhandlungen mit der arabischen Partei Ra’am brachen ein Tabu. Er verlieh dadurch der Beteiligung arabischer Parteien an den politischen Entscheidungsprozessen in Israel eine schwer wieder rückgängig zu machende Legitimität. Für seit etlichen Jahren amtierende Knesset-Mitglieder wie Ayman Ode und Ahmet Tibi, die für gewöhnlich kein einziges gutes Haar am jüdischen Staat lassen, ist das nicht weniger gewöhnungsbedürftig als für jüdische Israelis.

Umso bemerkenswerter ist, dass ausgerechnet Parlamentarier der „Vereinigen Liste“, zu denen Ode und Tibi gehören, und die nichts für Mansour Abbas’ Liebäugeln mit Netanjahu übrighaben, bei Staatspräsident Rivlin unter Beweis stellten, dass auch in ihre Reihen so etwas wie Bewegung kommt.

Zwar nicht geschlossen, so doch mehrheitlich empfahlen sie, dass Lapid mit der Regierungsbildung beauftragt werden sollte. Von ihrer grundsätzlichen Enthaltung einer Empfehlung wichen Israels arabische Parteien bislang in der Geschichte des Staates lediglich zwei Mal ab: 1992 im Zuge einer Empfehlung für Rabin und im Herbst 2019 für Gantz.

Und somit scheint es, dass nichts in trockenen Tüchern, aber schlichtweg alles in Bewegung ist. Für Israels Zukunft wäre momentan wichtig: Es muss endlich eine Entscheidung, eine Richtung her. Das Land dümpelt schon viel zu lange vor sich hin.

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