Für [Cobanli] ist ‚Erdoganistan‘ ein Staat, der sich anmaßt, den Bürgern ihre Bedürfnisse zu diktieren, und ein Schiff, das in unsichere Gewässer abdriftet und dabei Kurs auf den Sumpf Nahost nimmt. Seine Abrechnung enthält viel Polemik und ist streckenweise sehr unterhaltsam. Denn Cobanli beobachtet gut, und er bleibt gegenüber Erdogan durchaus fair. So würdigt der Autor Erdogan als einen erfolgreichen Bürgermeister Istanbuls, ‚nach Ansicht vieler der effizienteste, den die Stadt‘ hatte. Erdogan stehe für einen ‚Turbo-Kapitalismus pur und eine Re-Islamisierung der Gesellschaft, aber ebenso für ordentliche Müllabfuhr und pünktlichen Busverkehr‘. Cobanli zeichnet Erdogans Weg vom jungen wehrhaften Straßenverkäufer und frommen Koranschüler zum pragmatischen City-Manager und schließlich zum ‚progressiven Reformer‘ nach, der sich dann aber von der Ablehnung durch die EU düpiert fühlte. (…) Mit jedem Wahlsieg wurde er autoritärer, er ließ bürgerliche Proteste niederknüppeln und begann, überkommen geglaubte islamistische Lebensregeln durchzusetzen.
Heute ist da zum einen Erdogans ‚Hang zum Sultanat, zum grotesk luxuriösen Lebensstil, der allenfalls den Traum eines Mafioso vom Luxus repräsentiert‘, und da ist auch der wachsende Realitätsverlust eines selbstverliebten Autokraten, der ein gewaltiges privates Vermögen angehäuft hat, der an loyale Anhänger Staatsaufträge im Stil der Mafia vergibt und der eine paramilitärische AKP-Schutzstaffel, eine Art Palastgarde, geschaffen hat. Um seine persönliche Macht zu schützen, erfinde Erdogan Feinde, die er – ‚in zynischer Missachtung der in der zivilisierten Welt geltenden Definition des Begriffs‘ – ‚törrörüstler‘ nenne, schreibt Cobanli. Der Bannstrahl kann alle treffen.“ (Rainer Hermann: „Törrörüstler sieht er überall“)