Von Alexander Gruber
Die britische Labour Party befindet sich in einer veritablen Krise: Eine ihrer Abgeordneten träumt öffentlich davon, alle jüdischen Israelis in die USA zu deportieren. Der ehemalige Labour-Bürgermeister von London, der ihr angesichts ihres daraufhin erfolgten Parteiausschlusses zur Seite springen will, spricht davon, dass Hitler ursprünglich ein Verbündeter der Zionisten gewesen sei. Neben den beiden werden allein am Montag öffentlichkeitswirksam drei Stadträte wegen antisemitischer Umtriebe aus der Partei ausgeschossen, intern sind es 50 Mitglieder, die die Partei verlassen müssen. Was jedoch fällt wohl der österreichischen Tageszeitung Der Standard in Anbetracht dieser Entwicklungen ein, wenn sie über den aktuellen Londoner Bürgermeisterwahlkampf berichtet?
Nicht mit einem Wort erwähnt Sebastian Borger in seinem Bericht die international hohe Wellen schlagende Diskussion um die antisemitischen Ausfälle führender Labour-Politiker. Stattdessen wirft er dem konservativen Kandidaten für das Londoner Bürgermeisteramt Zac Goldsmith vor, eine islamfeindliche Wahlkampagne zu führen. Zwar sagt Borger selbst, dass Goldsmith „die Religion des Gegenkandidaten“ Sadiq Khan „mit keinem Wort“ erwähnt habe. Dennoch habe er „islamfeindliche Nebel“ aufziehen lassen, weil er in einem Artikel in der Daily Mail vor einer Wahl der „weit links stehenden, intoleranten, wirtschaftsfeindlichen Labour-Party“ warnte, „die Terroristen für ihre Freunde hält“. Nun ist es wenig überraschend, dass ein Tory-Politiker an der Wirtschaftspolitik von Labour wenig Gefallen findet. Die Charakterisierung als „weit links“ stehend würde jemand wie deren Parteivorsitzender Jeremy Corbyn wohl auch eher als Lob denn als Kritik verstehen. Und die Aussage, dass führende Labour-Politiker Terroristen als ihre Freunde bezeichnet haben, entspricht schlicht und einfach den Tatsachen: Corbyn selbst betitelte Hamas und Hisbollah 2009 in einer Rede als seine Freunde und lud 2012 den antisemitischen Hassprediger Scheich Raed Salah, den er zum „ehrenwerten Bürger“ erklärte, zum Dialog mit Tee ins britische Parlament.
Über diese Umtriebe zog Borger es in seinem Artikel jedoch wie gesagt vor zu schweigen. Ersatzweise führte er lieber ein Wortspiel an, in dem er den Nachnamen des Labour-Kandidaten mit dem eines der London-Attentäter von 2005 verknüpft. Der kleine Schönheitsfehler dabei ist allerdings, dass diese Assoziation im kritisierten Daily Mail-Artikel schlicht nicht vorkommt, sondern allein der Fantasie des Standard-Journalisten entspringt. Da verwundert es dann kaum noch, dass Borger auch auf die konkreten Kritikpunkte, die Goldsmith gegen Sadiq vorbrachte – etwa dessen Verteidigung des Judenhassers und Hitlerbewunderers Louis Farrakhan – nicht mit einer Silbe einging.
Stattdessen porträtierte er Khan als Underdog aus dem „armseligen Londoner Bezirk Tooting“, der sich hochgearbeitet habe, während es „das Leben … gut gemeint“ habe mit seinem Konkurrenten Goldsmith: Dieser sei „Sohn eines Fotomodells und des EU-feindlichen Milliardärs … James Goldsmith“. Doch damit nicht genug: In zweiter Ehe sei Goldsmith, der schon zuvor qua Verweis auf seine „Herkunft“ als Jude identifiziert worden war, „mit einer Rothschild verheiratet; laut Sunday Times mit einem Familienvermögen von 359 Millionen Euro.“ Diese Tatsache schien Borger so wichtig zu sein, dass er sie extra ausführte, obgleich sie, wie er selbst einräumte, im Wahlkampf keinerlei Rolle spielte – und sein Artikel sich doch eigentlich gegen Wahlkampfstrategien richtete, die die Herkunft der Kandidaten zum Thema machen.
Der Standard brachte es also fertig, einen Artikel über den angeblich islamfeindlichen Wahlkampf des konservativen Londoner Bürgermeisterkandidaten in eine Geschichte umzufunktionieren, in der dieser als Spross einer reichen jüdischen Familie charakterisiert wird, die mit einer noch viel (einfluss-)reicheren jüdischen Familie – den Rothschilds nämlich – verbandelt sei. Es ist Sadiq Khan anzurechnen, dass er im Wahlkampf nicht mit antisemitischen Ressentiments spielen will – was Standard-Journalist Sebastian Borger offenbar für einen bedauerlichen Fehler hält, weshalb er diese Drecksarbeit selbst verrichtet.