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Können südliche Mittelmeerstaaten Europas Gasbedarf decken?

Israels Premierminister Yair Lapid inspiziert das Karish-Gasfeld vor der Küste seines Landes
Israels Premierminister Yair Lapid inspiziert das Karish-Gasfeld vor der Küste seines Landes (© Imago Images / ZUMA Wire)

Um die Abhängigkeit vom russischen Gas zu reduzieren, sucht die EU nach neuen Partnern und setzt große Hoffnungen in die südlichen Mittelmeerstaaten.

Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine will die EU die Gasabhängigkeit von Moskau reduzieren. Wie rasch und zu welchen Kosten das möglich ist, darüber sind sich Experten uneinig. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass die EU bis Ende 2023 ihre Gasimporte aus Russland um rund 50 Prozent reduzieren könnte. Die EU-Kommission plant, bis zum Jahr 2030 völlig unabhängig vom Gas aus Russland zu sein.

Um die Wirtschaftsmacht EU am Laufen zu halten, ist sie von riesigen Mengen importierter Energie abhängig. Von den jährlich in der EU verbrauchten 400 Mrd. Kubikmeter Gas werden 80 Prozent importiert. Mit Abstand größter Lieferant im Jahr 2021 war Russland: 155 Mrd.Kubikmeter gelangten großteils über Pipelines in die EU, das sind knapp 40 Prozent der gesamten Importmenge. Zweitwichtigstes Importland war Norwegen (25,1 Prozent), gefolgt von Algerien (8,2 Prozent).

Um sich von Moskau zu lösen, gleichzeitig aber seine Energiesicherheit zu gewährleisten, sucht die EU nach neuen Partnern und blickt dabei auf die Staaten jenseits des Mittelmeeres: Algerien und Libyen sind bereits durch Pipelines mit Europa verbunden. Neue Gasleitungen werden diskutiert, bei alten Leitungen soll die Durchlaufkapazität erhöht werden. Eine Schlüsselrolle könnte zukünftig Ägypten spielen, über das Gas aus den riesigen israelischen Gasfeldern nach Europa importiert werden soll.

Ägypten

Nachdem 2015 das riesige Gasfeld Zohr unmittelbar vor der Küste Ägyptens im Mittelmeer entdeckt wurde, wandelte sich das Land vom Gas-Importeur zum Selbstversorger. Heute ist Ägypten nach Algerien der zweitgrößte Gasproduzent an der nordafrikanischen Küste. Doch anders als in Algerien führen vom Nil keine Pipelines nach Europa. Das Gas wird verflüssigt und über LNG-Terminals in europäische Häfen verschifft.

Hauptabnehmer ist bisher allerdings nicht die EU, denn der Großteil des geförderten Gases geht an den asiatischen Markt, der 78 Prozent von Ägyptens Flüssiggas erhält. Doch auch in Ägypten mit seiner stark wachsenden Bevölkerung steigt die Nachfrage nach Gas. Von den 2021 geförderten 80 Mrd.Kubikmetern wurden 58 Mrd.Kubikmeter am ägyptischen Gasmarkt verbraucht. Um mehr Flüssiggas an die EU zu liefern, müsste Kairo zunächst die Produktion erhöhen.

Israel

Mit den Gasfeldern Tamar und Leviathan verfügt Israel über zwei der größten Gaslagerstätten im Mittelmeer. Da der eigene Gasverbrauch gering ist, könnte Israel große Mengen davon an die EU verkaufen. Allerdings fehlt die Infrastruktur – es gibt weder eine Pipeline noch Flüssiggas-Terminals –, um das Gas nach Europa zu schaffen.

Im Juni 2022 unterzeichneten daher die EU, Israel und Ägypten ein Absichtsprotokoll, das vorsieht, israelisches Gas über Pipelines nach Ägypten zu schicken, wo es verflüssigt und anschließend nach Europa verschifft wird. Auf diese Weise wären 2023 mit zusätzlichen Lieferungen von rund zehn Mrd.Kubikmetern Gas aus Israel in die EU zu rechnen. Kein Ersatz für russisches Gas, dessen Import 2021 mehr als das 15-fache betrug. Aber ein Schritt zur Diversifizierung.

Langfristig wird über den Bau einer Unterwasserpipeline nachgedacht: Über EastMed soll Gas von Israel über Zypern und Griechenland nach Italien kommen. Vor 2027 ist mit der Inbetriebnahme der Pipeline jedoch nicht zu rechnen.

Algerien

Algerien ist der größte Gasförderer am afrikanischen Kontinent und konnte im vergangenen Jahr 8,2 Prozent der EU-weiten Gasimporte abdecken. Die erste Lieferung Flüssiggas wurde bereits 1964 von Algerien nach Großbritannien und Frankreich verschifft, wo die tiefgekühlte Fracht an LNG-Terminals wieder in Gas umgewandelt wurde.

Der Löwenanteil der algerischen Gasexporte geht heute über Pipelines nach Italien und Spanien. Damit deckt das nordafrikanische Land knapp 30 Prozent des Bedarfs von Spanien und 21 Prozent des italienischen Bedarfs ab – an zweiter Stelle hinter Russland. Im April unterzeichneten Rom und Algier ein Abkommen, wonach Algerien zukünftig mehr Gas durch die Transmed-Pipeline (über Tunesien) an Italien liefern soll. Dadurch könnte ab 2023 ein Drittel der italienischen Importe aus Russland durch algerisches Gas ersetzt werden.

Doch nicht zu allen europäischen Staaten sind Algeriens Beziehungen so gut wie zu Italien. Im März stellte sich Spanien im jahrelangen Konflikt um die Westsahara auf Seiten Marokkos und anerkannte, dass die ehemalige spanische Kolonie Westsahara ein Teil Marokkos ist. Das wiederum stieß Algier vor den Kopf, das die saharische »Befreiungsfront Polisario« unterstützt, die für die Unabhängigkeit der Westsahara kämpft.

Die Reaktion aus Algier ließ nicht lange auf sich warten: Algerien kündigte den Freundschaftsvertrag mit Spanien. Im April drohte Algerien mit der Unterbrechung der Gaslieferungen – was Spanien hart treffen würde, das ein Drittel seines Gases aus Algerien bezieht. Ob Algier seine Drohungen wahr macht, ist derzeit ungewiss. Möglich wäre, dass Algerien die Lieferungen an Spanien verringert und dafür mehr Gas an Italien liefert.

Libyen

Libyen besitzt die größten nachgewiesenen Erdölreserven Afrikas, die sich nach Angaben der OPEC auf knapp 50 Mrd. Barrel belaufen (zum Vergleich: Saudi-Arabien verfügt über knapp 300 Mrd. Barrel). Den Großteil seines Öls verkauft Libyen an Europa, vorwiegend an Italien, Frankreich, Deutschland und Spanien.

Bei den Gasexporten spielt Libyen eine eher untergeordnete Rolle. Im Jahr 2021 betrug die Erdgasförderung rund zwölf Mrd. Kubikmeter. Etwa ein Drittel davon werden im Land selbst verbraucht. Libyens einzige Pipeline verläuft von der Küstenstadt Mellitah nach Sizilien. Im Zuge des Bürgerkriegs wurde diese Pipeline im Februar 2011 kurzfristig stillgelegt, heute fließt das Gas wieder und macht etwa vier bis zehn Prozent der italienischen Gasimporte aus.

Theoretisch könnte Libyen mehr Gas liefern. Eine Erweiterung der Transportkapazität ist angedacht, aber aufgrund des andauernden Bürgerkriegs unwahrscheinlich. Die Infrastruktur in Pipelines und Häfen hat unter dem Krieg gelitten, die Wartung wurde vernachlässigt, die Erschließung neuer Ölfelder ausgesetzt. Insgesamt ist seit 2011 die Förderung eingebrochen und hat sich seitdem nicht wieder völlig erholt. Bevor mehr Erdgas aus Libyen nach Europa fließt, müsste sich die Lage im Land deutlich stabilisieren.

Ziel: Erneuerbare Energien

Der Gasexport der genannten Staaten (inklusive der für 2023 angedachten zusätzlichen Lieferungen von zehn Mrd. Kubikmetern aus Israel) beträgt in etwa ein Drittel des russischen Gasexports in die EU. Israel, Ägypten, Libyen und Algerien werden daher das russische Gas nicht ersetzen, können aber eine wesentliche Rolle bei der Diversifizierung europäischer Gasimporte spielen. Will sich die EU jedoch langfristig und nachhaltig von Energielieferungen unabhängig zu machen, führt kein Weg an einem drastischen Ausbau erneuerbarer Energien vorbei.

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