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Keine Chancengleichheit bei tunesischen Präsidentschaftswahlen

Anhänger des tunesischen Präsidenten Kais Saied bei einer Veranstaltung zum Tag der Republik
Anhänger des tunesischen Präsidenten Kais Saied bei einer Veranstaltung zum Tag der Republik (© Imago Images / ZUMA Press Wire)

Bei den Vorbereitungen für die tunesischen Präsidentschaftswahlen im Oktober gibt es immer mehr Signale hinsichtlich der Chancenungleichheit der Kandidaten und der mangelnden Integrität des Wahlprozesses.

Der seit 2019 amtierende tunesische Präsident Kais Saied hat am vergangenen Freitag angekündigt, bei den kommenden Präsidentschaftswahlen für eine weitere Amtszeit kandidieren zu wollen. Saied, der seit Sommer 2021 alle Machtbefugnisse innehat, sagte in einem vom Präsidialamt verbreiteten Video, er gebe offiziell seine »Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen am 6. Oktober dieses Jahres bekannt, um die Anstrengungen im nationalen Befreiungskampf fortzusetzen«.

Saied bekräftigte, mit dieser Kandidatur seine »heilige nationale Pflicht« zu erfüllen, bei der es »keinen Raum für Zögern« geben dürfe. Mit dieser Ankündigung nahm der Präsident den dritten Jahrestag seiner am 25. Juli 2021 erlassenen Beschlüsse vorweg, die nicht nur zum Einfrieren des Parlaments führte, das zehn Jahre lang von der mit den Muslimbrüdern verbundenen Ennahdha-Bewegung kontrolliert worden war, sondern auch zur Entlassung der Regierung und zur vollständigen Kontrolle der Macht durch das Präsidialamt.

Drangsalierung der Opposition

Saieds Ankündigung seiner erneuten Kandidatur fiel mit einem Gerichtsurteil zusammen, mit dem der Oppositionsführer Lotfi Al-Murahi, ein potenzieller Präsidentschaftsbewerber und damit Rivale Saieds, wegen Stimmenkaufs zu acht Monaten Haft verurteilt wurde. Außerdem untersagte das Gericht dem Vorsitzenden der Republikanischen Volksunion und einem der prominentesten Kritiker des Präsidenten lebenslang die Teilnahme an Wahlen.

Vor diesem Hintergrund werfen die Oppositionsparteien, von denen viele führende Vertreter im Gefängnis sitzen, der Regierung vor, Druck auf die Justiz auszuüben, um die Schlinge um Saieds Rivalen enger zu ziehen und dem Präsidenten den Weg zu einer zweiten Amtszeit zu ebnen.

Letzten Donnerstag gab die oppositionelle Republikanische Partei bekannt, die Kandidatur ihres Generalsekretärs Issam Chebbi, der seit etwa anderthalb Jahren wegen Verschwörung gegen die Staatssicherheit inhaftiert ist, zurückzuziehen. Dies erfolgte nachdem die Wahlkommission sich geweigert hatte, Chebbi ein Dokument zur Einholung von Unterstützungserklärungen der Bürger auszuhändigen, was eine notwendige Voraussetzung für die Einreichung seiner Kandidatur dargestellt hätte. Ebenso erging es dem ehemaligen Vorsitzenden der Demokratischen Partei Ghazi Al-Shawashi, der seine Kandidatur aus dem Gefängnis heraus angekündigt hatte

Der Generalsekretär der Demokratischen Partei, Nabil Hajji, erklärte in diesem Zusammenhang, die Wahlkommission habe die Kandidaten unter dem Vorwand, sicherstellen zu wollen, dass die Wählerempfehlungen für die Kandidaten nicht gefälscht werden, gezwungen, persönlich zu erscheinen, um das Empfehlungsformular in Empfang zu nehmen, oder einen Rechtsvertreter mit einer Vollmacht zu beauftragen. Diese Forderung stelle eine »unmögliche Bedingung« dar, da die Gefängnisverwaltungen einem Regierungsbeamten nicht erlaubten, die Haftanstalten zu betreten, um eine solche Vollmacht auszustellen: »Der Zweck dieser Forderung ist es, die Gegner des Präsidenten auszuschließen.«

Nach Nabil Hajji deuten das allgemeine Klima und die Bedingungen für die Kandidatur »darauf hin, dass die Wahlen einem Treuebekenntnis zu Präsident Kais Saied für dessen zweite Amtszeit gleichkommen werden, und zwar außerhalb der Regeln eines fairen Wahlwettbewerbs und der Chancengleichheit«.

Der Juraprofessor und Verfassungsrechtler Al-Saghir Al-Zakrawi sagte, das allgemeine Klima in Tunesien biete nicht die geeigneten Bedingungen für die Durchführung von Präsidentschaftswahlen und verwies auf den Spannungszustand, in dem sich das Land befinde: »Durch die Einschränkung der Kandidaten und Inhaftierung einiger von ihnen scheint es, dass die Behörde durch die unfairen Bedingungen, die von der Obersten Wahlkommission auferlegt wurden, die Rivalen Saieds schwächen will« – ein Vorgang, den Al-Zakrawi »klar verfassungswidrig« bezeichnete.

Den Weg ebnen

Jene Parteien, die das politische System Saieds unterstützen, haben mit den vorgegebenen Umständen natürlich kein Problem. So meinte etwa der Vorsitzende der Tunesischen Nationalen Koalition und einer der Kandidaten, Naji Jalloul, der kommende Urnengang sei »eine der Errungenschaften des demokratischen Übergangs und die derzeitige Wahlkommission ist ein Gewinn für die Tunesier«. Die Kommission sei »ein unabhängiges Gremium, das hervorragende Arbeit leistet«, und es habe keine Verstöße gegeben, erklärte Jalloul.

Der Kandidat der Tunesischen Nationalen Koalition fuhr fort, es sei klug, »dass Präsident Saied die Arbeit der Kommission gebilligt hat. Es wird keinen Betrug geben, sondern die Wahlen werden akzeptabel sein. Ich werde jeder Partei, für die sich das tunesische Volk entscheidet, Beifall zollen, denn der entscheidende Faktor in der Demokratie ist die Entscheidung der Wähler.« Er selbst glaube nicht, »dass das Volk schlecht im Wählen ist. Bei den Wahlen 2019 mussten wir zehntausend Unterstützungserklärungen von Bürgern vorlegen, um für die Wahlen kandidieren dürfen, und das sind jetzt fast die gleichen Bedingungen.« 

Das Kollegium sei in der Lage, die Wahlen zu leiten, meinte Jalloul abschließend, und die Tunesier würden nicht akzeptieren, dass ihnen eine bestimmte Meinung aufgezwungen werde. »Ich bin sehr optimistisch, was die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen angeht.«

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Land auf eine Situation zusteuert, in dem die Behörden regimetreue Kandidaten ins Rennen schicken und Kandidaten der Opposition ausschließen, was nach Ansicht von Beobachtern den Weg für eine zweite Amtszeit des jetzigen Präsidenten ebnet.

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