Kein nennenswertes iranisches Atomprogramm?

Die Behauptung, dass der Iran 2001 kein nennenswertes Atomprogramm unterhalten habe, und dass Mahmud Ahmadinedschad (hier auf einer Pressekonferenz 2006) um eine Verständigung mit den USA bemüht gewesen wäre, dürften dem Ex-Präsidenten ein Lächeln ins Gesicht zaubern. (© imago images/ZUMA Wire)
Die Behauptung, dass der Iran 2001 kein nennenswertes Atomprogramm unterhalten habe, und dass Mahmud Ahmadinedschad (hier auf einer Pressekonferenz 2006) um eine Verständigung mit den USA bemüht gewesen wäre, dürften dem Ex-Präsidenten ein Lächeln ins Gesicht zaubern. (© imago images/ZUMA Wire)

Die Zeitschrift Foreign Policy veröffentlicht eine Anklage der amerikanischen Iran-Politik – und verbreitet dabei eine haarsträubend falsche Behauptung.

Das iranische Regime habe viele Versuche unternommen, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika zu verbessern, doch hätten diese zu nichts geführt, weil Washington den Iran immer völlig falsch eingeschätzt habe. Ganz besonders in der Amtszeit von Präsident George W. Bush, als das iranische Regime in der Zeit nach 9/11 zu umfangreicher Kooperation oder sogar einem »grand bargain« bereit gewesen, aber von den »Hardlinern« im Umfeld des Präsidenten zurückgewiesen worden sei.

So lautet in Umrissen die Argumentation eines unlängst von Foreign Policy unter dem präzise die Richtung vorgebenden Titel »America’s Iran Follies« von Michael Hirsh veröffentlichten Artikels. Originell ist daran wenig; bevorzugt wird diese Geschichte aufgewärmt, wenn, wie es dieser Tage wieder einmal der Fall ist, im sogenannten Atomstreit mit dem iranischen Regime nichts weitergeht. Ihre wesentlichen Bestandteile, eine Mischung aus fantastischen Interpretationen substanzloser Episoden und interessierten Auslassungen, sind gleichermaßen bekannt, wie ihre ständige Wiederholung ermüdend ist.

(Eine Analyse dieser Geschichte, die man unter Verweis auf einen ihrer bekanntesten Fürsprecher das Trita-Parsi-Märchen nennen könnte, finden Sie hier anhand einer zweiteiligen arte-Dokumentation.)

Ein gesuchter Terrorist als Zeuge

Auch bei den interviewten Gewährsmännern handelt es sich stets um dieselbe Handvoll von Personen, darunter so illustre Leute wie Lawrence Wilkerson, einem antisemitischen Israelhasser mit einem deutlichen Hang zu abstrusen Verschwörungstheorien, der sich auch in Hirshs Artikel wieder einmal beklagt, welch »großartige Gelegenheiten« zu einem »fruchtbaren Dialog« von den USA ausgelassen worden seien. (Allgemein besteht eine hohe Korrelation von Anhängern des Trita-Parsi-Märchens mit ausgesprochenen Israelfeinden.)

Originell ist, dass Hirsh offenbar glaubt, im ehemaligen Revolutionsgarden-Führer Mohsen Rezaei einen glaubwürdigen Zeugen dafür gefunden zu haben, wie das iranische Regime sich sogar unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad um eine Annäherung an Washington bemüht habe. Für wie vertrauenerweckend halten Sie einen Mann, der wegen seiner Mitverantwortung für den Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires 1994, bei dem 85 Menschen getötet und mehrere hundert verletzt wurden, per internationalem Haftbefehl gesucht wird?

Kein nennenswertes Atomprogramm?

Ein anderes Detail in Hirshs Artikel verdient allerdings sehr wohl Beachtung. Er zitiert einen weiteren der üblichen Gewährsmänner, den ehemals hochrangigen amerikanischen Diplomaten James Dobbins, der über die Zeit nach den Anschlägen vom 11. September 2001 sagt: »Damals hatten die Iraner nicht einmal ein wirkliches Atomprogramm.«

Nun ist es eine Sache, zu behaupten, im Jahr 2001 sei Dobbins der Ansicht gewesen, das iranische Regime verfüge über kein umfangreiches Atomprogramm – öffentlich bekannt gemacht wurden die illegalen iranischen Bemühungen erst 2002 durch eine iranische Oppositionsgruppierung, die auf den Bau einer geheim gehaltenen Urananreicherungsanlage nahe Natanz aufmerksam machte. Doch spätestens seit 2007, als die amerikanischen Geheimdienste in einem umstrittenen und nur zum Teil veröffentlichten National Intelligence Estimate bekanntgaben, dass das iranische Regime zumindest bis 2003 am Bau einer Bombe gearbeitet hatte, hätte auch Dobbins wissen müssen, wie es um das iranische Atomprogramm rund um 9/11 bestellt war.

Projekt Amad

Aber seit Israel im Januar 2018 einen Teil des geheim gehaltenen iranischen Nukleararchivs in Besitz bringen konnte, das sich in einem unscheinbaren Lagerhaus nahe Teheran befunden hatte, und seitdem wesentliche Informationen aus den darin enthaltenen Dokumenten veröffentlicht wurden, gibt es keinen Zweifel mehr an der Art und dem Umfang des iranischen Atomwaffenprogramms: Ende der 1990er Jahre beschloss das iranische Regime, sich unter dem Projektnamen Amad an die möglichst schnelle Entwicklung von Atomwaffen zu machen.

Leiter des Projekts war der im Dezember 2020 bei einem Attentat getötete Mohsen Fakhrizadeh. Das Ziel war, wie einem detaillierten Plan von Ende 1999/Anfang 2000 zu entnehmen ist, bis zum März 2003 fünf einsatzfähige Atomsprengköpfe zu bauen. Vier sollten mit Raketen an ihre designierten Ziele beförderbar sein, einer sollte einem Untergrundtest vorbehalten sein.

Dem Archiv, dessen Inhalte u. a. von David Albright und seinen Kollegen vom Institute for Science and International Security aufgearbeitet wurden, ist zu entnehmen, welche Unterprojekte an welchen übers Land verteilten Standorten verfolgt wurden, um die drei wesentlichen Aufgaben des Crash-Kurses zur Bombe zu bewältigen: die Produktion des spaltbaren Materials (waffenfähiges Uran), die Entwicklung, den Bau und den Test atomarer Sprengköpfe sowie deren Integration in die Wiedereintrittskörper von Shabab-3-Raketen.

Das Ende von Amad

2003 wurde Projekt Amad eingestellt, aber nicht etwa, weil das iranische Regime es sich anders überlegt hatte, sondern aus purer Angst davor, nach dem Irak Saddam Husseins als nächstes ins Visier der Amerikaner zu geraten – wenn schon die dürftigen (und unzutreffenden) Informationen über Massenvernichtungswaffen im Irak ausreichten, um die Amerikaner einmarschieren zu lassen, war es nicht schwierig, sich auszumalen, was dem iranischen Regime drohte, sollte das Projekt auffliegen. Dass das iranische Regime nicht schon längst über Atomwaffen verfügt, ist sozusagen ein Kollateralnutzen des Irakkrieges von 2003.

Das Ende von Amad bedeutete allerdings nicht das Aus des iranischen Strebens nach Atomwaffen. Deren Entwicklung wurde und wird seither auf kleinerem Niveau und in kleinere Teilbereiche aufgeteilt weiterverfolgt. Zentral dabei ist laut einem Dokument vom September 2003 die Unterscheidung zwischen einem »offenen« und einem »verdeckten« Teil des Atomprogramms, die die Weiterführung des Atomwaffenprogramms ermöglichte.

Mit dem Wissen von heute

Dank des iranischen Nukleararchivs wissen wir heute, dass das iranische Atomwaffenprogramm in den Jahren 1999 bis 2003 weit umfangreicher und fortgeschrittener war, als sämtliche Geheimdienste weltweit es damals – und selbst noch bei der Vereinbarung des Wiener Abkommens im Atomstreits 2015 – für möglich gehalten hatten.

Man kann dem ehemaligen Diplomaten James Dobbins nicht vorhalten, all das im Jahr 2001 nicht gewusst zu haben. Aber es gibt keine mildernden Gründe dafür, sich heute noch so dumm zu stellen wie vor mehr als zwanzig Jahren: Dass das iranische Regime damals »nicht einmal ein wirkliches Atomprogramm« gehabt habe, ist eine haarsträubende Falschbehauptung, die, wenn man nicht schlimmere Motive am Werk sieht, nur einen erschreckenden Ausdruck von Ignoranz darstellt.

Und keinerlei Entschuldigung gibt es dafür, dass Michael Hirsh diesen Unsinn einfach unkommentiert und uneingeschränkt wiedergibt, als sei dies heute noch eine auch nur im Ansatz ernstzunehmende Einschätzung. Das Beispiel verdeutlicht, wie wenig er und Foreign Policy sich in der Anklage der amerikanischen Iran-Politik von Fakten beeindrucken lassen. Den Lesern erweisen sie damit einen denkbar schlechten Dienst.

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