Die Hamas hat zwar erklärt, ihre Forderung nach einer vollständigen Beendigung des Kriegs fallen zu lassen. Zugleich stimmt dies aber nur zum Teil, denn die Terrororganisation erhebt neue Forderungen.
Amichai Stein
»Stetige Fortschritte« … Das sind die Worte, die man von allen Seiten hört, die an den aktuellen Versuchen beteiligt sind, ein Geiselabkommen zwischen Israel und der Hamas zu schmieden. Die erneuten Bemühungen begannen, nachdem die Hamas ihre Forderung aufgegeben hatte, dass Israel in der ersten Phase des vorgeschlagenen Rahmens, die zweiundvierzig Tage dauern und zur Freilassung von dreiunddreißig Geiseln führen soll, der völligen Beendigung des Kriegs zustimmt.
Ein Ende des Krieges
Die Hamas hat zwar in der Tat erklärt, ihre Forderung nach einer vollständigen Beendigung des Kriegs bereits in der ersten Phase des Rahmens, der sogenannten humanitären Phase, fallen zu lassen. Zugleich stimmt dies aber nur zum Teil, denn die Terrororganisation erhebt eine neue Forderung: Mit dem Ende der ersten Phase sollen die Verhandlungen über die zweite beginnen und solange fortgesetzt werden, bis eine Einigung erzielt wird – und das alles, während Israel sein Feuer im Gazastreifen weiterhin eingestellt hält.
»Die Hamas verlangt von den Vermittlern, darunter die USA, Garantien, dass Israel die Kämpfe nicht wieder aufnimmt und die Verhandlungen für Phase 2 (in der die Terrorgruppe die Soldaten unter den Geiseln freilassen und die Leichen freigeben soll) nicht ewig dauern«, erklärte der Direktor des Moshe Dayan Center for Middle Eastern Studies and African Studies an der Universität Tel Aviv, Uzi Rabi, gegenüber dem Jewish News Syndicate.
Rabi glaube, »dass die Hamas sich nicht auf ein Abkommen einlassen wird, sollte Israel zu den Kämpfen zurückkehren können. Die Hamas hat Angst, weil Israel seine Operation im Gazastreifen fortsetzt und die Lage derzeit nicht zu ihren Gunsten ausfällt, da Israel nicht unter internationalem Druck steht. Deshalb verfolgt sie nun einen anderen Plan.«
Rafah und Philadelphi-Korridor
In jedem nur denkbaren Szenario werde Israel weiterhin den Grenzübergang Rafah und den Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten kontrollieren, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu unlängst. »Was genau hat er damit gemeint?«, fragte ein ausländischer Diplomat. »Das klingt für mich sehr vage. Er kann nicht sagen, dass Israel die Gebiete nicht verlassen wird, denn dann würden die Gespräche scheitern, und er kann [wegen der Sicherheitsbedenken] nicht sagen, dass Israel sie aus politischen Gründen verlassen wird.« Aus der vagen Formulierung, die Netanjahu getätigt habe, »kann jeder heraushören, was er hören will«.
Diese beiden strategischen Gebiete im südlichen Gazastreifen an der Grenze zu Ägypten sind für die Hamas eine wichtige Lebensader, unter der sich massive Tunnelgänge befinden, die bis nach Ägypten reichen und den Transport von Waffen und Munition ermöglichen. Der Grenzübergang Rafah war die wirtschaftliche Verbindung der Hamas zur Außenwelt und ermöglichte es der Terrorregierung, von jedem in den Gazastreifen einfahrenden Lastwagen eine Gebühr zu verlangen.
Die USA und Ägypten schlagen vor, bei Rafah als auch beim Philadelphi-Korridor elektronische Sensoren zu installieren und eine Schlitzwand zu errichten, damit Israel über jeden Tunnel oder jede Route Bescheid weiß, die neu gebaut wird, nachdem die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) die Grenze zwischen Gaza und Sinai verlassen hätten.
Das Knessetmitglied Amit Halevi (Likud) ist eine der stärksten Stimmen gegen einen israelischen Rückzug von der Grenze und erklärte, wenn Israel das Gebiet nicht kontrolliere, »kann man nicht erwarten, dass man Erfolg hat. Israel hätte bereits am 8. Oktober die Kontrolle über das Gebiet übernehmen sollen. Israel hätte sagen sollen, dass wir von nun an das Grenzgebiet zivil und militärisch verwalten.«
Er hoffe sehr, dass Israel den Rafah-Übergang nicht verlässt, denn die Übernahme der Kontrolle über die im Gazastreifen gelegene Seite der Grenze durch die IDF »war eine Operation von strategischem Wert. Die Regierung hätte dort israelische Flaggen hissen und israelische Beamte an den Grenzübergang stellen sollen, damit diejenigen, die aus Ägypten einreisen wollen, Israel passieren müssen. Wenn wir abziehen, wird der Übergang wieder zu einer gut funktionierenden Schmuggelmaschine. Ich hoffe, dass es nicht so weit kommt.«
Nordgaza und Freilassung der Terroristen
In zwei der zu verhandelnden Punkten weigert sich die Hamas, ein Veto Israels zu akzeptieren. So gestattet sie Israel nicht, Menschen daran zu hindern, vom Süden in den Norden des Gazastreifens zu gelangen, während Jerusalem Sicherheitskontrollen fordert, damit keine Terroristen in den Norden gelangen können. Und in der Frage, welche Terroristen im Gegenzug für die Freilassung der israelischen Geiseln entlassen werden, verlangt Israel das Recht, gegen einige Namen auf der Liste ein Veto einzulegen, um zu verhindern, dass sie nach Gaza zurückkehren – ein Recht, das die Hamas dem jüdischen Staat ebenfalls nicht zugestehen möchte.
Einige Experten sind jedoch der Meinung, die Hamas könnte in diesen Fragen Kompromisse eingehen, weil sie für sie von geringerer strategischer Bedeutung sind. Die Terrororganisation »will ein Abkommen, das zur Beendigung des Kriegs führt. Das ist das Wichtigste für sie«, so etwa Uzi Rabi. »Ich bringe dies mit der erfolgreichen Rafah-Operation der IDF und den zunehmenden Stimmen in Gaza in Verbindung, die von der Hamas eine Lösung fordern, die den Krieg beendet.«
Mehrere an den Verhandlungen beteiligte Beamte erklärten gegenüber Jewish News Syndicate, sie wüssten nicht, wie die neue Gesprächsrunde ausgehen werden, aber selbst bei einer Einigung »wird es Wochen dauern. Die Gräben [zwischen den Parteien] sind immer noch vorhanden. Aber es herrscht vorsichtiger Optimismus, dass die Gespräche in Doha und Kairo zu einer Einigung führen könnten.«
Amichai Stein ist der diplomatische Korrespondent des israelischen Senders Kan 11. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)