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Kein Ende der Katastrophe in Syrien

Wandgemälde in Homs erinnert an die Erdebenkatstrophe in Syrien vor einem Jahr
Wandgemälde in Homs erinnert an die Erdebenkatstrophe in Syrien vor einem Jahr (© Imago Images / Middle East Images)

Die Nachwirkungen des Erdbebens vom Februar 2023 dauern in Syrien bis heute an und verschlimmern die Lage im Kriegsland zusätzlich.

Im Februar vor einem Jahr erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,8 das Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien. Über 60.000 Menschen starben, zehntausende wurden verletzt, ganze Straßenzüge und Wohnviertel ausgelöscht, insgesamt 40.000 Häuser zerstört.

Präsident Recep Tayyip Erdoğans Ankündigung, binnen eines Jahres 300.000 neue Wohnungen für die Opfer zu erbauen, wurde nicht umgesetzt. Laut Bauministerium sind es gerade einmal 46.000 Neubauten. Knapp 700.000 Menschen leben immer noch in provisorischen Behausungen, zumeist in Containerdörfern.

Erdbeben und Weizenknappheit

In Syrien, wo vor allem die Rebellenprovinz im Nordwesten vom Erdbeben betroffen war, ist die Lage noch prekärer. In dem Gebiet herrschte bereits vor dem Erdbeben eine humanitäre Krise, ausgelöst durch rund 3,4 Millionen Menschen, die wegen der Kämpfe in Syrien in die Provinz geflohen sind. Das Erdbeben kostet 7.000 Menschenleben und hat weitere 43.000 Menschen obdachlos gemacht. Ein Großteil lebt bis heute in Zelten und Notunterkünften.

Bereits im Februar vor einem Jahr wurden internationale Hilfslieferungen für die Erdbebenopfer durch die Spannungen zwischen dem syrischen Regime, der Türkei und Rebellenmilizen behindert. Die unterschiedlichen Interessen der Akteure erschweren bis heute Wiederaufbau- und Hilfsprogramme.

Das Erdbeben war nur die letzte in einer Reihe von Katastrophen. Auch wenn große Kampfhandlungen mittlerweile selten sind, dauern die Auswirkungen des Kriegs nach wie vor an. Zwischen 2011 und 2016 schrumpfte die ländliche Bevölkerung um fünfzig Prozent. Ein Großteil der tausenden Bauern, die vor den Kämpfen in die großen Städte flohen, sind bis heute nicht zurückgekehrt. Landwirtschaftliche Gebiete liegen brach. Die Bewässerungssysteme wurden zerstört, Preise für Düngemittel, Samen, Pestizide und Treibstoff stiegen empfindlich an.

Eine dramatische Entwicklung, bedenkt man, dass Syrien bis zum Jahr 2007 ein Netto-Weizenexporteur war. Mit der Dürre 2008 – die laut Experten ein Treiber für die Aufstände von 2011 war – begann das Land zu importieren, hauptsächlich über die Seehäfen in Latakia und Tartus sowie über die Straßenachse Beirut-Damaskus.

Seit dem Krieg wurde immer mehr Weizen aus Russland und der Ukraine bezogen. Die zeitweise Blockade der Schwarzmeerhäfen unterbrach die Weizenlieferungen immer wieder und ließen die Preise steigen. Trockenzeiten vor allem in den Jahren 2020 und 2021 verschärften die Situation weiter. Die Auswirkungen sind verheerend: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung kann ihren täglichen Nahrungsmittelbedarf nicht decken.

Preise explodieren

Neben der Knappheit an Getreide hat der über eine Dekade andauernde Krieg die Devisen- und Goldreserven der syrischen Zentralbank aufgefressen. Der Wechselkurs des syrischen Pfunds ist zwischen Februar und November 2022 um rund 48 Prozent gegenüber dem US-Dollar gesunken. Laut dem Welternährungsprogramms (WFP) stiegen die Lebensmittelpreise im selben Jahr um 44 Prozent.

Die Produktion von Rohöl ging zwischen 2010 und 2022 um 80 Prozent zurück. Hauptsächlich wegen zerstörter Infrastruktur aber auch wegen Spannungen zwischen der Regierung in Damaskus und oppositionellen Kräften – die wichtigsten Ölquellen liegen in den von Kurden kontrollierten Regionen im Osten des Landes.

Insgesamt haben die Zerstörung von Sachkapital, Zwangsumsiedlungen und der Zusammenbruch der wirtschaftlichen Netzwerke das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2010 und 2020 halbiert.

Hinzu kommen die vom Westen auferlegten Sanktion, die Import und Export lähmen und die Devisenreserven weiter ausdünnen. Dass Syrien sich in den letzten Jahren zu einem Zentrum der Captagon-Produktion entwickelte, ist dem Versuch der Regierung geschuldet, durch Drogenhandel neue Devisen ins Land zu bekommen

Besetztes Syrien

Obwohl ein Großteil Syriens wieder unter Kontrolle des Regimes ist, befinden sich nach wie vor 830 ausländische Militärbasen im Land. Alleine der Iran verfügt über 570 Basen, gefolgt von der Türkei mit 125, Russland mit 105 und die USA mit 30 Militärstützpunkten. Hinzu kommen Basen regimetreuer libanesischer, irakischer und afghanischer Milizen.

Obwohl es in den vergangenen Jahren wenige große Militäroffensiven gab, zählt Syrien weiterhin zu den Ländern mit den meisten gewaltsamen Todesfällen. Im Jahr 2022 gab es rund 5.600 konfliktbedingte Todesfälle, die meisten davon bei Kämpfen im Norden des Landes.

Diese vor sich hin köchelnde Konflikte, zusammen mit Naturkatastrophen wie dem Erdbeben von 2023, erzeugen immer weitere Vertreibungen. Laut den jüngsten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung aus der Zeit vor dem Krieg vertrieben, darunter 6,8 Millionen Binnenvertriebene (IDPs) und 6,9 Millionen Flüchtlinge im Ausland.

Die Regierung von Bashar al-Assad, unterstützt von Iran und Russland, geht weiterhin mit aller Härte gegen politisch Andersdenkende vor. Auch die Folter ist in den Haftanstalten des Regimes immer noch weit verbreitet. NGOs werfen der Regierung außerdem vor, Hilfsgelder zu stehlen und diese für eigene Zwecke zu verwenden.

Geld aus China?

Die Arabische Welt scheint bereit, sich erneut für Syrien zu öffnen. Verdeutlicht hat das die Entscheidung der Arabischen Liga, Syrien nach 12-jähriger Suspendierung wieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen.

Damit einher ging die Reaktivierung eingefrorener diplomatischer Beziehungen zu wichtigen regionalen Mächten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Dieser Schritt versetzte das Assad-Regime in die Lage, die Forderungen des Westens nach Verhandlungen, fairen Wahlen und einem Ende der Menschenrechtsverletzungen weiterhin zu ignorieren.

Um den Wiederaufbau Syriens dennoch zu finanzieren – die UN schätzt die Kosten auf 250 Milliarden US-Dollar –, richtet Assad seinen Blick nach Osten. Im September 2023 absolvierte der Präsident seinen zweiten offiziellen Staatsbesuch in China. Präsident Xi Jinping kündigte eine strategische Partnerschaft mit Syrien an. Mit Blick auf den Westen betonte er, Syrien darin zu unterstützen, sich gegen ausländische Einmischung zu wehren.

Tatsächlich könnte eine Partnerschaft für beide ein Gewinn sein. Assad kann auf finanzielle Unterstützung hoffen, ohne dass China sich in die internen Dynamiken Syriens einmischt. Peking wiederum kann sich strategische Vorteile sichern, darunter den Zugang zum Hafen von Latakia und Syriens Unterstützung bei Chinas Belt and Road Initiative.

Zukunft ungewiss

Die Zukunft Syriens bleibt eng mit geopolitischen Dynamiken verknüpft. Die Vielzahl, oftmals verfeindeter Akteure im Land – darunter Iran, Russland, die USA und Israel, das regelmäßig Luftangriffe fliegt – bewirkt, dass Eskalationen wie etwa im Gazakrieg oder der Ukraine direkte Auswirkungen auf Syrien haben.

Auch das Verhältnis zwischen Ankara und Moskau, die sich im Konflikt auf unterschiedlichen Seiten der Fronten gegenüberstehen, beeinflusst maßgeblich die Dynamik im von Rebellen gehaltenen Nordwesten, wie auch in den von Kurden gehaltenen Gebieten im Nordosten des Landes.

Nach mehr als zwölf Jahren bleibt der Syrienkrieg ein Konflikt, dessen Ende nur vage am Horizont zu erkennen ist, unter dessen zerstörerischer Wirkung die Menschen aber täglich zu leiden haben.

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