Von Stefan Frank
Der Herbst ist die Jahreszeit für Buchmessen, so auch in Kuwait City, wo auf dem Messegelände im Stadtteil Mishref vom 14. bis zum 24. November die jährliche Arabic Books Exhibition stattfinden wird. Ungeachtet ihres Namens werden dort auch englischsprachige Bücher vorgestellt, zudem werden Botschaften einiger westlicher Länder mit eigenen Ständen vertreten sein. Doch in Kuwait herrscht eine rigide Zensur, vor der kein literarisches Werk sicher ist – darauf machten Demonstranten in Kuwait City kürzlich aufmerksam, indem sie Bücher an einer Palme aufhängten.
„Kein Buch scheint zu bedeutsam oder zu unbedeutend zu sein, um in Kuwait verboten zu werden“, resümiert die New York Times in einem Bericht über den Protest. „Unter den jüngeren Zielen der Literaturzensuren der Regierung sind eine Enzyklopädie mit einem Bild des David des Michelangelo und eine Disney-Version von ‚Die kleine Meerjungfrau’.“ Der Grund, so die Zeitung: „David hat kein Feigenblatt, und die Meerjungfrau trägt ein Bikinioberteil.“ Es gebe nun mal „keine Hijab-tragenden Meerjungfrauen“, sagt Shamayel al-Sharikh, eine kuwaitische Frauenrechtlerin, der Zeitung.
4.390 Bücher wurden seit 2014 in Kuwait verboten, antwortete das kuwaitische Informationsministerium im April auf eine Anfrage des Abgeordneten und prominenten Rechtsanwalts Khaled Al-Shatti, Hunderte allein in diesem Jahr. Mit der strengen Zensur, so die New York Times, reagiere die Regierung auf Forderungen eines „wachsenden konservativen Blocks im Parlament“. Die Liste der verbotenen Büchern sei 70 Seiten lang, sagte Khaled Al-Shatti der Kuwait Times; darunter seien religiöse, kulturwissenschaftliche und historische Werke. Die Zensur „tötet Ideen und Kreativität“, so Al-Shatti. „Es ist, als lebten wir im Mittelalter.“
Zu den verbotenen Büchern gehören nach Angaben der New York Times auch „Hundert Jahre Einsamkeit“ des kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez und „Die Kinder unseres Viertels“ des ägyptischen Literaten Nagib Mahfuz, der 1988 als erster arabischer Schriftsteller mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. In beiden Fällen laute die Begründung, dass in der Romanhandlung eine Frau ihren Ehemann unbekleidet sehe. George Orwells Roman „1984“ ist in Kuwait in einer Edition verboten, in einer anderen hingegen nicht. Nur in wenigen Fällen gebe das 12-köpfige Zensurkomitee (sechs für arabische, sechs für englischsprachige Bücher) eine Begründung seiner Verbote, so die New York Times.
Die kuwaitische Schriftstellerin Layla AlAmmar, die Kurzgeschichten für britische Tageszeitungen schreibt und im Frühjahr ihren ersten Roman „The Pact We Made“ veröffentlichen wird, hat in einem Blogbeitrag ausgerechnet, wie wenig Zeit die Zensoren pro Buch haben:
„Bei 878 Büchern pro Jahr und unter der Annahme, dass das Komitee zweimal im Monat tagt (und das ist großzügig geschätzt), müsste es pro Sitzung 73 Bücher besprechen. Nimmt man an, dass die Sitzung 90 Minuten dauert (und auch das ist sehr großzügig), würde das Komitee jedem Buch lediglich etwas mehr als eine Minute Aufmerksamkeit widmen. Das ist allles. So viel sind diese Giganten und klugen jungen Talente offenbar wert.“
Doch selbst diese Mühe machten sich die Zensoren nicht einmal, sagt AlAmmar:
„Das Komitee diskutiert nicht über ein Buch. Es bespricht einen Bericht über das Buch. Wie in einem Orwellschen Albtraum fertigen die Angestellten des Ministeriums Ein-Seiten-Notizen an, in denen angeblich beleidigende Wörter, Sätze und Bilder hervorgehoben sind – Dinge, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen sind. Sie geben nicht mal eine Begründung, sondern markieren nur die anstößigen Seiten, als wenn es für jeden offensichtlich wäre, was das Problem ist.“
Die Mitglieder des Komitees, so die Schriftstellerin, besäßen offenbar „nicht einmal elementare Lesefähigkeiten“ und könnten nicht zwischen Fiktion und Realität unterscheiden: Wenn etwa in einem Roman eine Figur an Zauberei glaube, werde das als Lästerung von Religion betrachtet. Auch Wörter wie „Brust“ oder „Oberschenkel“ führten zu Verboten. Ein weiteres großes Tabu sei „Sektierertum“. So seien viele Bücher verboten worden, weil sie angeblich „sektiererische Ideologien“ bewürben. Ein berühmter Fall habe sich 2015 ereignet, als Saud Alsanousis Roman „Mama Hessa’s Mice“ verboten wurde, mit der Begründung, er befürworte Sektierertum und Fanatismus. „Der Autor“, so AlAmmar, „ging gegen die Entscheidung in Berufung und gewann. Das Gericht hob das Verbot auf und entschied, dass „das bloße Erwähnen [von Sektierertum durch einige Charaktere des Buches] keinesfalls bedeutet, dass der Autor diese Ideen vertritt oder bewirbt.“
Die Zensur in Kuwait treffe die arabischen Verlage, die bereits unter den Kriegen in Syrien und dem Irak sowie unter der Wirtschaftskrise in Ägypten litten, hart, klagte anlässlich der Buchmesse 2016 ein Verleger gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian: „Es ist ein sehr wichtiger Markt, wegen der großen Leserschaft. Auch wenn die Bevölkerungszahl klein ist, ist der Prozentsatz der Leser hoch und das verfügbare Einkommen ebenfalls.“