Das Parlament hat einen neuen Premier ernannt, sein Vorgänger akzeptiert das nicht. In Libyen geht das Gespenst eines neuen Krieges um.
In Libyen überschlugen sich in den vergangenen Tagen die Ereignisse: Das Repräsentantenhaus (Parlament) im Osten des Landes wählte einen neuen Chef der Übergangsregierung, während der derzeitige Ministerpräsident Abdel Hamid al-Dbeiba sich weigerte, die Macht abzugeben. Jetzt gibt es im Land also wieder zwei rivalisierende Regierungen.
Am vergangenen Donnerstag beauftragte das Parlament den Innenminister der ehemaligen Regierung der Nationalen Einigung, Fathi Bashagha, mit der Bildung einer neuen libyschen Regierung, was vom militärischen Befehlshaber im Osten Libyens, Khalifa Haftar, begrüßt wurde.
Ahmed Al-Mismari, Sprecher der ostlibyschen Streitkräfte General Haftars, erklärte, die Führung der Truppen begrüße und unterstütze die Entscheidung, Bashagha mit der Bildung einer neuen Regierung zu beauftragen. Abdel Hamid al-Dbeiba, Chef der international anerkannten libyschen Regierung, lehnte den Schritt des Parlaments hingegen ab.
Bewaffnetes Muskelspiel
Nach der Entscheidung des Parlaments kam es in der Hauptstadt Tripolis zu einer großen militärischen Mobilisierung, um die Unterstützung der Dbeiba-Regierung und die Ablehnung der Ernennung von Bashagha zum Chef einer alternativen Regierung deutlich zu machen.
Der katarische Sender Al-Jazeera berichtete, gestützt auf Quellen in Tripolis, diese militärische Mobilisierung ziele darauf ab, die Sicherheit und Stabilität in der Hauptstadt zu erhalten und einer Verschärfung der Situation aufgrund der politischen Entwicklungen im Land entgegenzuwirken.
Nach Angaben des Senders versammelten sich mit den Milizen verbundene bewaffnete Kräfte, die den Milizen aus dem im Osten des Landes gelegenen Misrata und aus anderen Städten nahestehen, sowie rund zweihundert mit Waffen ausgerüstete Fahrzeuge in Tripolis, um Dbeiba zu unterstützen.
In einer am vergangenen Samstag veröffentlichten Erklärung bekräftigten mehrere bewaffnete Milizen im Westen Libyens ihre Ablehnung der Entscheidung des Parlaments, Bashagha zum Premierminister zu ernennen. Diese Milizen, von denen einige der Muslimbruderschaft nahestehen, forderten ein Referendum über die Verfassung und die Abhaltung von Parlamentswahlen spätestens im kommenden Juni.
Das sorgte insofern für große Verwirrung, als der Vorsitzende des Obersten Staatsrats, Khaled Al-Masri, der ebenfalls der Muslimbruderschaft angehört, sich der Ernennung Bashaghas zum Premierminister nicht widersetzte, während die bewaffneten Milizen derselben Gruppe gleichzeitig dessen Kontrahenten Dbeiba unterstützen.
Das Gespenst des Krieges
Der libysche Politiker und frühere Vorsitzende des Gemeinderats der Region Tobruk im Osten des Landes, Faraj Yassin, ist der Ansicht, der Muslimbruderschaft gehe es darum, einen Bürgerkrieg in Tripolis vom Zaun zu brechen und das Land zu spalten, um im Westteil Libyens dauerhaft Fuß fassen zu können. »Die Muslimbruderschaft ist bestrebt, den Staat unter ihrer Kontrolle zu behalten, auch wenn dies um den Preis einer Zersplitterung des Landes geschieht.«
Der bisherige Regierungschef Abdul Hamid al-Dbeiba bezeichnete die Vorgänge im Parlament als »ein von Betrug geprägtes Durcheinander« und fügte hinzu, er werde seine Arbeit gemäß dem vereinbarten Fahrplan fortsetzen und seine Regierung die Macht nur an ein ordnungsgemäß gewähltes Gremium abgeben.
Dbeiba begründet sein Festhalten an der Regierungsführung damit, dass das von der UNO Ende des Jahres 2020 initiierte innerlibysche Forum für politischen Dialog einen Fahrplan für die Übergangsphase entwickelt habe, in dem die Dauer seiner Amtszeit auf 18 Monate, bis zum Juni 2022, festgelegt sei. Die Regierung unter Premier Dbeiba war als Ergebnis des Dialogforums als Übergangslösung gebildet worden und sollte die Vereinigung des Landes nach Jahren der Spaltung bewirken.
Vor der Dbeiba-Regierung hatte es zwei konkurrierende Regierungen gegeben: einerseits im Westen die Regierung der nationalen Übereinkunft unter Fayez al-Sarraj, die seit 2016 von den Vereinten Nationen anerkannt war, andererseits die Interims- oder auch auch »Ost«-Regierung in Tobruk mit Abdullah al-Thani an der Spitze, die von Feldmarschall Khalifa Haftar unterstützt wurde.
Der libysche Politologe Ezz El-Din Aqeel glaubt, dass es Hoffnung gibt, eine neue Spaltung und einen neuen Krieg in Libyen zu vermeiden. Dass sowohl Dbeiba als auch Bashagha aus der Stadt Misrata stammen, könnte zu einer friedlichen Lösung der Krise beitragen. Dennoch sei ein neuer Krieg möglich, da bewaffnete Gruppen aus anderen Städten ihre Unterstützung für Dbeiba erklärt haben und dieser immer noch auf internationale Kräfte zählen könne, die seinen Verbleib an der Macht unterstützen.
Der italienische Politologe Daniele Rufiniti zeigt sich optimistischer als Aqeel und schließt aus, dass sich der derzeitige politische Konflikt zwischen Dbeiba einerseits und dem Repräsentantenhaus und Bashaga andererseits zu einem bewaffneten Konflikt entwickeln könnte. Gegenüber Mena-Watch sagt Rufiniti: »Ich glaube nicht, dass es zu einer Eskalation kommen wird, denn letztlich wird Dbeiba die Macht abgeben und Bashaga die Regierung führen.«
Der italienische Experte ist zuversichtlich, dass die für die nächsten Tage geplanten Treffen der politischen Führer in Misrata zu einer friedlichen Lösung der Krise zwischen den beiden Parteien führen werden. Und auch er ist der Ansicht, es könne durchaus eine Rolle spielen, dass die Kontrahenten Dbeiba und Bashaga aus derselben Stadt, also aus Misrata, stammen.