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Karl Pfeifer: Aufrichtig und beharrlich zwischen allen Stühlen

Der vergangene Woche verstorbene Mena-Watch-Autor Karl Pfeifer
Der vergangene Woche verstorbene Mena-Watch-Autor Karl Pfeifer (Quelle: Alex Feuerherdt)

Mit 94 Jahren ist der jüdische Journalist Karl Pfeifer gestorben. Die Klugheit, das Rückgrat und Wissen dieses »geborenen Außenseiters« werden schmerzlich fehlen. Versuch einer Würdigung.

Zählte man zum Empfängerkreis von Karl Pfeifers Mail-Verteiler, las man nahezu täglich etwas von ihm, dem 94-Jährigen. Mal verschickte er eine Auswahl tagesaktueller Zeitungsartikel, mal dokumentierte er historische Berichte, Analysen und Kommentare zu politischen Themen, mal teilte er eigene Texte, zuletzt etwa die Rezension eines Buches von Daniel Aschheim über Bruno Kreiskys Verhältnis zum Jüdischsein und zu Israel für die österreichische Wochenzeitung Die Furche

Und manchmal ließ er einen teilhaben an seinen vielen Reisen mit seiner Frau Dagmar, etwa nach Dresden oder London, nach Israel oder immer wieder nach Italien, teils aus privaten Gründen und teils, um Vorträge zu halten: über sein Leben, den Antisemitismus, Israel und den Zionismus oder über die Verhältnisse in Österreich und Ungarn.

Karl Pfeifer war nimmermüde und unermüdlich, und es ist buchstäblich unfassbar und unbegreiflich, dass er jetzt einfach nicht mehr da sein soll, nachdem er am vergangenen Freitag plötzlich verstorben ist. Ja, man kann auch mit einem Lebensalter von fast einem Jahrhundert unerwartet sterben, bei Karl Pfeifer deutete jedenfalls nichts darauf hin.

Bis zum Schluss trat er öffentlich auf, etwa, als er im österreichischen Parlament mit dem Simon-Wiesenthal-Preis ausgezeichnet wurde für seine Aufklärungsarbeit über die Shoa und seinen Einsatz gegen Antisemitismus. Oder im Wiener Rathaus, als er das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien erhielt. Mit klarer, fester Stimme hielt er seine Dankensreden – und mit dem ihm eigenen Charme, mit rhetorischer Gewandtheit, mit Esprit. Bereits im Juli 2018 hatte die Republik Österreich ihm kurz vor seinem 90. Geburtstag für seine Verdienste das Goldene Ehrenzeichen verliehen

Diese Auszeichnungen durch das offizielle Österreich erfolgten sehr spät, dennoch stellten sie für Karl Pfeifer eine Genugtuung dar. Oft genug war das Land für ihn eine Zumutung, teilweise sogar eine Gefahr. In Baden vor den Toren Wiens wurde er am 22. August 1928 geboren, die jüdische Familie stammte aus Ungarn und war 1919 wegen der dortigen Pogrome nach Österreich geflohen. Zehn Jahre nach Karls Geburt musste sie erneut flüchten, diesmal zurück nach Ungarn.

Vom Haschomer Hazair zum Palmach

In der Schule war Karl Pfeifer nach dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 antisemitisch diskriminiert worden. Auf dem Schulweg passten ihn uniformierte Hitlerjungen ab, drückten ihm die Kehle zu, brüllten ihn an: »Saujud, sag’ ›Heil Hitler‹!« Pfeifer weigerte sich, und erst, als eine Nachbarin einschritt, ließen seine Peiniger von ihm ab. Auch in Budapest erfuhr er Antisemitismus, etwa in Form von Beschimpfungen auf dem Weg zur Schule.

Er trat in die sozialistisch-zionistische Jugendorganisation Haschomer Hazair ein. 1942 hörte er im britischen Radio erstmals Berichte über die massenhaften Ermordung von Juden mit Gas, wie er in seinem autobiografischen Buch Einmal Palästina und zurück – Ein jüdischer Lebensweg beschrieb. Am 5. Januar 1943 begab sich der vierzehnjährige Karl gemeinsam mit fünfzig weiteren Kindern und Jugendlichen auf die lange und abenteuerliche Reise über Rumänien, Bulgarien, die Türkei und den Libanon nach Palästina. 

Sein fünfzehn Jahre älterer Bruder Erwin war bereits seit 1935 in Palästina, wo er als Polizist für die britische Verwaltung arbeitete. Karls Mutter lebte schon nicht mehr, sein Vater »brachte es nicht übers Herz, mitzugehen« und ihn zum Ostbahnhof in Budapest zu bringen, wie in Einmal Palästina und zurück zu lesen ist: »Auch sein zweiter Sohn verließ ihn, um nach Palästina zu gehen. Er weinte bitterlich, und ich sah ihn zum letzten Mal. Der Abschied war für mich schmerzlich. Ich verließ meinen Vater und viele Verwandte, die ich nie wieder sehen sollte.«

Karl lebte zunächst in einem Kibbuz zwischen Haifa und Tel Aviv, wo er auf seinen hebräischen Namen Eli hörte. Im Spätsommer 1944 trat er der Gadna bei, einer Organisation der Untergrundarmee Hagana, die Jugendliche auf den Militärdienst vorbereitete. Im März 1946 ging er, noch keine 18 Jahre alt, zum Palmach, der Elitetruppe der Hagana. Gekämpft hat er darin für »einen jüdischen Staat, der allen Juden offen steht und Schutz bietet«, wie er der Süddeutschen Zeitung einmal im Interview sagte

In seinem linkssozialistischen Kibbuz habe man sogar gedacht, es könnte einen gemeinsamen Staat mit den Arabern geben. »Aber das war ein einseitiger Wunsch, weil die andere Seite nicht in Frieden mit uns leben wollte.« Viele hatten, wie Karl Pfeifer selbst, ihre Familien im Holocaust verloren. »Deshalb war das vorherrschende Gefühl: Wir Juden werden nicht mehr abgeschlachtet. Wir wussten aber auch: Wenn unsere Gegner siegen, haben wir keine Zukunft. Das war ein Überlebenskampf.«

Warum Pfeifer kein Kommunist wurde

Karl Pfeifer überlebte, auch weil er an einem Vormittag im Dezember 1947 über starke Kopfschmerzen klagte und deshalb darum bat, bei der Tagespatrouille vertreten zu werden. Arie Schwarzmann übernahm seinen Dienst – und wurde, wie vier weitere Palmach-Kameraden von Karl Pfeifer, von Beduinen erschossen. »Ein fürchterliches Gefühl zu wissen, dass ich nur deshalb noch lebte, weil ich am Morgen aufgrund meiner Kopfschmerzen um Ersatz gebeten hatte«, schrieb Pfeifer in Einmal Palästina und zurück. Mit seiner Einheit fuhr er über Minen, kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg gegen Soldaten der ägyptischen Armee, wurde verwundet, beerdigte getötete Mitkämpfer.

Als Pfeifer zu Beginn des Jahres 1950 aus dem Militär entlassen wurde und es beruflich für ihn zunächst nicht weiterging, arbeitete er als Kellner auf Schiffen, mit denen jüdische Einwanderer nach Israel gelangten. Als Staatenloser reiste er zunächst nach Paris und von dort aus schließlich im Herbst 1951 zurück nach Österreich. Der österreichische Konsul in Paris hatte Pfeifer vor dem weiterhin äußerst virulenten Antisemitismus in dessen Geburtsland gewarnt, und tatsächlich wurde er dort »mit der Erklärung empfangen: Heimkehrer sind diejenigen, die in der Wehrmacht oder bei der Waffen-SS waren«, wie er in seiner Rede zur Verleihung des Simon-Wiesenthal-Preises berichtete.

Karl Pfeifer verstand sich seinerzeit als Linker, doch aus dem zunächst beabsichtigten Beitritt zur Kommunistischen Partei Österreichs wurde nichts. Es ist eine der Geschichten, die er immer wieder gerne erzählte: Bei einem Treffen mit dem Parteisekretär bekundete Pfeifer sein Interesse an einer Mitgliedschaft, doch gebe es da ein Problem, er sei schließlich Atheist. 

Das sei gar kein Problem, habe der Parteisekretär erwidert, »wir Kommunisten sind alle Atheisten«. Pfeifer entgegnete: »Überall bei euch sehe ich das Bild von Stalin, ist der für euch unfehlbar wie der Papst für die Katholiken, oder ist er auch nur ein Mensch, der Fehler begehen kann?« Daraufhin sei er als »Provokateur« beschimpft und aus der Parteizentrale geworfen worden. »So wurde ich nicht Kommunist, aber der Ruf, einer zu sein, verfolgte mich Jahrzehnte«, resümierte Pfeifer in Einmal Palästina und zurück.

Zwischen allen Stühlen

Die Episode ist charakteristisch für ihn, weil sie wesentliche Charakterzüge deutlich werden lässt: Aufrichtigkeit, Unabhängigkeit, Geradlinigkeit, Mut zum Widerspruch. Zwischen allen Stühlen heißt ein Film über Pfeifers Lebenswege aus dem Jahr 2008, und der Titel vermittelt gut, dass er sich nie vereinnahmen ließ, auch nicht und schon gar nicht für eine Parteiräson, und sei es um den Preis, mit seinen Überzeugungen anzuecken oder sogar angefeindet zu werden. Pfeifer sagte und schrieb stets, was ist und wie es ist – in klaren Worten, mit fester Haltung, unerschrocken und unbeugsam, dabei aber stets um Vermittlung und Verständlichkeit bemüht.

Dabei war er als Journalist ein Spätberufener und Autodidakt, er kam erst 1979 zu dieser Tätigkeit, mit über fünfzig Jahren, als er in der Arbeiter-Zeitung über die Opposition im realsozialistischen Ungarn schreiben sollte, zu der er gute Verbindungen pflegte. Gleich viermal wurde er, der fließend Ungarisch sprach – genauso wie Englisch, Hebräisch, Französisch und Italienisch –, in den 1980er Jahren aus dem Land gewiesen, doch er blieb beharrlich und berichtete bis an sein Lebensende für verschiedene Medien über die dortigen Verhältnisse. In seinem Buch Immer wieder Ungarn, das 2016 erschien, sind viele seiner Texte dazu gesammelt.

Pfeifer arbeitete zwölf Jahre lang als Redakteur für die Zeitung der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien und später als Korrespondent für das israelische Radio sowie als freier Mitarbeiter für eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften, darunter StandardPresseFalterFurcheJüdische AllgemeineJungle World und Mena-Watch. Energisch kritisierte er immer wieder den Antisemitismus in allen seinen Varianten, auch den linken, den bürgerlichen und den muslimischen. Rechtsextremen Tendenzen und Entwicklungen trat er entschieden entgegen, vor allem in Österreich. So konfrontierte er etwa im Jahr 2000 den damaligen FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider auf einer Pressekonferenz in einem legendären Auftritt vor laufender Kamera vehement mit dessen Verbindungen zu Alt- und Neonazis.

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Kampf gegen Rechtsextreme und die Justiz

Bereits fünf Jahre zuvor hatte Karl Pfeifer den in Münster lehrenden österreichischen Politikwissenschaftler Werner Pfeifenberger scharf dafür kritisiert, dass dieser in einem FPÖ-Jahrbuch »die alte Nazi-Mär von der jüdischen Weltverschwörung« aufgewärmt, eine »klassische Täter-Opfer-Umkehr« vorgenommen und »Nazidiktion« verwendet habe. 

Pfeifenberger hatte unter anderem geschrieben, es gebe einen »jüdischen Krieg« gegen Deutschland, der bis heute andauere. Mit seinem Versuch, Pfeifer seine – völlig zutreffenden – Einschätzungen juristisch untersagen zu lassen, scheiterte er. Die Fachhochschule Münster entband ihn von seiner Lehrtätigkeit, zudem wurde in Österreich ein Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung gegen ihn eingeleitet.

Noch vor der Hauptverhandlung, die Ende Juni 2000 hätte stattfinden sollen, stürzte Pfeifenberger in den Alpen in den Tod. Mehrere Nachrichtenagenturen meldeten daraufhin, der Politologe habe Suizid begangen. Doch die rechtsextreme Zeitschrift Zur Zeit behauptete, Karl Pfeifer habe ihn in den Tod getrieben. Deren Herausgeber Andreas Mölzer startete zudem eine publizistische Kampagne gegen »den jüdischen Journalisten Karl Pfeifer« und bezeichnete ihn als »mörderischen Hetzer«. 

Pfeifer klagte, doch mehrere Gerichte in Österreich entschieden zwischen Oktober 2001 und August 2002, der Vorwurf der mörderischen Menschenhatz sei eine »zulässige Meinungsäußerung«. Zur Zeit und ihr Herausgeber hätten ihre Äußerungen auf ein »ausreichendes Tatsachensubstrat« gestützt. Pfeifer, der 1938 als Zehnjähriger vor den Nazis aus Österreich fliehen musste und auch nach seiner Rückkehr immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert wurde, stand plötzlich als jemand da, von dem man mit dem Segen der österreichischen Justiz behaupten durfte, durch seine Kritik entscheidend zum Tod eines Menschen beigetragen zu haben.

Erst im November 2007 wurde diese schwerwiegende Fehlentscheidung kassiert, nämlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Eine Genugtuung für Pfeifer. Die von Zur Zeit und Andreas Mölzer erhobenen Beschuldigungen ließen sich nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung rechtfertigen, befanden die EGMR-Richter, denn Pfeifer sei einer kriminellen Handlung bezichtigt worden, ohne dass die ihm gegenüber erhobenen, schwerwiegenden Anschuldigungen mit Fakten untermauert worden seien. Für den materiellen und immateriellen Schaden wurde ihm eine Entschädigung von insgesamt 15.000 Euro zugesprochen.

Ein geborener Außenseiter

Österreich sei gut für seinen Blutdruck, sagte Karl Pfeifer oft mit dem ihm eigenen Sinn für feine Ironie. Denn sein Blutdruck sei chronisch niedrig, doch er brauche nur die Kronen Zeitung aufzuschlagen, und schon sei er in Ordnung. »Was Österreich anbelangt, war ich immer pessimistisch und wurde leider fast nie enttäuscht«, sagte er im Film Zwischen allen Stühlen

Geduldig analysierte und kommentierte er jahrzehntelang das Weltgeschehen und die Geschichte nicht nur in unzähligen Texten klug und kenntnisreich, sondern immer wieder auch als Vortragsreisender und Zeitzeuge, sei es bei Abendveranstaltungen, sei es vor Schulklassen. Gab es Nachfragen, nahm er sich stets Zeit und vergewisserte sich abschließend: »Ist die Frage damit beantwortet?« Das war ihm wichtig. Nichts sollte offen bleiben.

»Wenn hierzulande die Lüge wieder zur einzigen Wahrheit erklärt wird und das Totschweigen beredter ist denn je, dann ist da immer einer, der sicher nicht stillhalten kann, der schon auf dem Sprung liegt, der – wie es im Wienerischen heißt – sich seinen Karl macht, auf alle Untertänigkeit und Eintracht zu pfeifen, denn der Pfeifer Karl lässt sich nicht eingemeinden, nicht hier und auch nicht anderswo«, sagte der Schriftsteller Doron Rabinovici in seiner Laudatio im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) aus Anlass von Karl Pfeifers 90. Geburtstag. 

Pfeifer sei »überall der geborene Außenseiter, der gar nicht vorhat, willfährig und still sich einzureihen oder gar unterzuordnen«. Er lasse ihn, so Rabinovici, an eine Figur denken, die Karl Kraus in Die letzten Tage der Menschheit auftreten ließ: »Der kritische Geist in diesem Stück ist der Nörgler. Vielleicht kann Karl im positiven Sinne mit dem jiddischen Wort Nudnik umschrieben werden.«

Die Stimme dieses kritischen Geistes, dieses Nudniks, ist am 6. Januar für immer verstummt. Seine Klugheit, sein Charme, seine Kraft, sein Wissen, seine Energie, sein Witz, seine Beharrlichkeit, seine Entschlossenheit, seine Unbeugsamkeit, seine Neugier, seine Lebensfreude, seine Herzlichkeit, sein Rückgrat werden fehlen. Karl Pfeifer hinterlässt eine riesige Lücke, die nicht zu schließen sein wird. 

Der jüdische Friedhof in seiner Geburtsstadt Baden ist nun seine letzte Ruhestätte, wo er am 8. Januar beerdigt wurde. Baruch Dayan Ha’emet!

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