Nach einem Moment bestürzter Ruhe über die antiisraelischen Hetzjagden in Amsterdam setzten sofort die übliche Relativierung und Schuldumkehr ein.
Seit jeher ist es fixer Bestandteil des Judenhasses, die Opfer für ihre Verfolgung verantwortlich zu machen. Wann immer sich antisemitische Gewalt entlädt, werden die Juden zumindest für mitschuldig erklärt und wird den antisemitischen Tätern attestiert, zwar vielleicht ein bisschen überzogen, im Grunde aber nur auf jüdische »Provokationen« reagiert oder gar in Notwehr gehandelt zu haben. Hand in Hand mit der Schuldzuweisung an Juden geht meist die Bagatellisierung der antisemitischen Gewalt.
Die Novemberpogrome 1938 waren demnach eine Reaktion auf die Ermordung eines deutschen Diplomaten durch einen Juden in Paris; der von Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg die Reaktion auf eine angebliche Kriegserklärung der Juden, und deren Vernichtung nur Notwehr angesichts der zersetzenden und das Überleben der Deutschen gefährdenden Machenschaften des Weltjudentums.
Um Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben, muss man freilich kein Nazi sein. Man kann zum Beispiel auch Generalsekretär der Vereinten Nationen sein und nur wenige Tage nach dem Massaker der Hamas (und zahlreicher palästinensischer »Zivilisten« aus dem Gazastreifen) in Israel am 7. Oktober 2023 die Taten zwar verurteilen, aber sodann hinzuzufügen, es sei »auch wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattgefunden haben« und aufzuzählen, was Israel den Palästinensern nicht alles angetan habe. Die gebildeteren und sich kritisch dünkenden Relativierer antisemitischer Gewalt sprechen von »Kontextualisierung«, wenn sie zu erklären versuchen, warum die Täter gute Gründe zum Losschlagen hatten.
Relativierung und Schuldumkehr
Genau das kann man sozusagen in Echtzeit seit rund einer Woche wieder beobachten. Einen kurzen Moment lang herrschte bestürzte Ruhe angesichts der Jagd auf Israelis und Juden, die Gewalttäter vorwiegend arabischer Herkunft in Amsterdam nach einem Auswärtsspiel des israelischen Fußballvereins Maccabi Tel Aviv in der Nacht vom 7. zum 8. November veranstalteten. Von »Ausschreitungen« zwischen »propalästinensischen Jugendlichen und israelischen Fans« sprach die Tagesschau, womit sie den Umstand vernebelte, dass hier nicht etwa verfeindete Hooligangruppen aufeinander losgegangen waren, sondern Antisemiten sich organisiert auf »Judenjagd« gemacht hatten, wie einer von ihnen es schon Stunden zuvor genannt hatte.
Aber schon bald setzten die bekannten Mechanismen der Relativierung und der Schuldumkehr ein. Die Gewalt sei gar nicht von vorwiegend arabischen Tätern ausgegangen, von denen zumindest einer mit einem Hamas-Stirnband bekleidet war, sondern von israelischen Fans, die zuvor Schmähgesänge angestimmt hätten und selbst gewalttätig geworden wären. Die Jagdszenen danach mögen zwar unschön, aber Reaktionen auf israelische »Provokationen« gewesen sein.
Im Handumdrehen verschob sich das Augenmerk von den »pogromartigen Übergriffen« (so Jürgen Kaube in der FAZ) auf tatsächliche oder angebliche Schandtaten israelischer Fans. Als ob die Handlungen einiger nach Amsterdam gereister Maccabi-Fans eine Erklärung dafür wären, dass stundenlang Juden durch die Stadt gejagt, verprügelt, niedergestochen, mit Autos angefahren und in eine der Grachten getrieben wurden.
Auf einem der von den Tätern gemachten Videos ist zu sehen, wie ein Mann verzweifelt »Ich bin kein Jude« ruft, bevor er niedergeschlagen wird. Im Westjordanland erklärte ein hochrangiger Fatah-Vertreter – Fatah, das sind die angeblich »gemäßigten« Palästinenser, mit denen Israel Frieden schließen soll –, die Ereignisse in Amsterdam seien der »Beweis dafür, dass die Welt die Juden satthat«.
Währenddessen erklären die üblichen Leugner, Verharmloser und Relativierer, all das habe mit Antisemitismus nichts zu tun und wäre ohne die »provokanten« Handlungen der Israelis gar nicht geschehen. Sogar, wenn praktisch vor ihren Augen Jagd auf Juden gemacht wird, bekommen sie kaum mehr als ein achselzuckendes »Selbst schuld« über die Lippen.