Die Islamische Aktionsfront, der politische Flügel der Muslimbruderschaft in Jordanien, hat bei den jüngsten Parlamentswahlen die meisten Sitze seit Gründung der Gruppe gewonnen.
Vor einer Woche bestätigte der Vorsitzende des Ausschusses der Kommissare der unabhängigen Wahlkommission in Jordanien, Musa Maaytah, die vorläufigen Ergebnisse des jüngsten Urnengangs, die darauf hindeuteten, dass die Islamische Aktionsfront 31 von 138 Sitzen gewann, was 22 Prozent der Parlamentsmitglieder entspricht.
Mit dem Erhalt von fast einer halben Million Stimmen gelang es dem politischen Arm der Muslimbruderschaft nicht nur, sich siebzehn der 41 Sitze zu sichern, die den allgemeinen Listen im Land zugeteilt werden, sondern auch noch vierzehn Sitze für sich herauszuschlagen, die den lokalen Listen zugedacht sind: neun für die drei Bezirke der Hauptstadt Amman, je zwei für die Gouvernements Zarqa und Aqaba sowie einen für den ersten Bezirk von Irbid.
Von den über fünf Millionen wahlberechtigten Jordaniern gaben 1.638.351 ihre Stimme ab, was einer Wahlbeteiligung von 32,25 Prozent entspricht.
Erfolgreiche Muslimbruderschaft
Der ehemalige Minister und jetzige Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Jordanien, Amin Al-Mashaqbeh, führte den Erfolg der Islamischen Aktionsfront auf mehrere Faktoren zurück, darunter die Ausnutzung des Kriegs im Gazastreifen sowie die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung. »Hinzu kommt der hohe Grad an Zusammenhalt unter den Mitgliedern der Islamischen Aktionsfront und ihren Führern.«
Al-Mashaqbeh wies zugleich aber auch auf den Erfolg des Staates bei der »Verwaltung des Wahlprozesses hin, der mit Integrität und Transparenz durchgeführt wurde«, und fügte hinzu, dass Jordanien eine Phase der politischen Modernisierung durchlaufe.
Die Wahlen wurden nach einem neuen Gesetz abgehalten, das im Januar 2022 verabschiedet worden war und den Parteien 41 Sitze zuweist, um das politische Leben zu stärken. Das Gesetz erhöhte die Zahl der Sitze im Repräsentantenhaus von 130 auf 138 und jene für Frauen von fünfzehn auf achtzehn und senkte das Mindestalter für Kandidaten von dreißig auf fünfundzwanzig Jahre.
Der Politologe Oraib Al-Rantawi bezeichnete die Wahlergebnisse als »schwerwiegende Überraschung«: »Die Muslimbruderschaft hat mit ihrem politischen Flügel ein beispielloses Ergebnis erzielt«, das es seit der »Wiederbelebung des parlamentarischen Lebens im Jahr 1989« nicht gegeben habe, und den wachsenden Einfluss der Gruppe widerspiegle, die eine steigende Unterstützung der Bevölkerung genießt und so »etwa eine halbe Million Stimmen erhalten hat«. Trotz deren islamistischen Ausrichtung ist Al-Rantawi der Ansicht, dass »diese Entwicklung aus staatlicher Sicht nicht unbedingt negativ ist und in eine positive umgewandelt werden kann, um den Druck zu verringern, dem Jordanien in der Palästina-Frage ausgesetzt ist«.
Der Sieg der Bruderschaft sei eine Botschaft an jene westlichen Länder, »die Jordanien wirtschaftlich nicht mehr unterstützen«. Sie bestehe darin aufzuzeigen, »dass sich das Königreich in einer kritischen Lage befindet und diese Länder mehr tun müssen als derzeit«.
Hamid Qarman spielte den Sieg der Muslimbruderschaft herunter, als er sagte, dieser sei nicht von Bedeutung und könne nicht als Erdrutschsieg oder Gewinn einer Mehrheit bezeichnet werden, da die Organisation bei den Wahlen, an denen bloß ein Drittel der Wahlberechtigten teilnahm, nur ein Viertel der insgesamt 138 Sitze erreichte.
»In gewisser Weise können diese Ergebnisse nicht als Maßstab herangezogen werden, insbesondere da die Gruppe die einzige organisierte Kraft auf der jordanischen Straße ist«, meinte Qarman. Die soeben in Jordanien neu entstehenden Parteien und Kräfte auf der anderen Seite hätten es noch verabsäumt, »die Instrumente der politischen Szenerie zu nutzen, um erfolgreich an den Parlamentswahlen teilzunehmen«. Letztlich würden sich die Auswirkungen des Siegs der Muslimbruderschaft aber nicht im jordanischen Entscheidungsprozess widerspiegeln, ist Qarman überzeugt.