Jordanien hat ein vergleichsweise fortschrittliches Image. Ein Blick auf die Lage der Frauen im Königreich zeigt ein anderes Bild.
Rana F. Sweis, The New York Times
Marwa Alomaris einfühlsame und geduldige Art machte sie zu einer beliebten Englischlehrerin, deren Klassen in Irbid, Jordanien voll mit eifrigen Schülern waren und die in ihrer Freizeit Nachhilfe gab. Als Universitätsabsolventin bekam sie bis zu 3.000 Dollar im Monat, weit mehr als die meisten anderen Jordanier.
Aber nachdem sie einen Armeeoffizier geheiratet hatte und zu seiner Familie gezogen war, begann er ihr zu verübeln, dass sie mehr Geld bekam als er. Obwohl sie sowohl mit Geld als auch mit Hausarbeit zum Haushalt beitrug, waren er und seine Familie gegen ihre Berufstätigkeit. Die Ehe ging fast in die Brüche, sagt sie.
„Ich bestand darauf, dass ich nicht aufhören würde, aber ich hatte niemanden, der mich darin unterstützte. Ich wurde einfach müde und gab auf“, sagte Alomari (35). „Ich kehrte zurück zum Kochen, Putzen und Tratschen mit Frauen. Aber das war nicht, was ich angestrebt hatte.“
Ihre Geschichte spiegelt wider, was in ganz Jordanien passiert, einer kleinen arabischen Monarchie, die ein unerschütterlicher Verbündeter westlicher Länder ist. Der Status der Frauen in Bezug auf Erwerbsbeteiligung, Gesundheit und Politik ist im Land seit Jahren rückläufig und bleibt sogar hinter konservativeren Ländern in der Region zurück. (…)
Nach großen Fortschritten in den letzten drei Jahrzehnten haben heute mehr Frauen als Männer einen Universitätsabschluss, und auch die Alphabetisierungsrate ist bei Frauen höher.
Trotzdem sind 86 Prozent der Frauen im Land nicht erwerbstätig, so die Zahlen der Regierung und des neuesten Global Gender Gap Berichts. Das ist laut Weltbank die höchste Rate in der Welt für ein Land, das sich nicht im Krieg befindet. (…)
Mit seinen engen Beziehungen zum Westen, einer freimütigen Königin und weiblichen Parlamentsmitgliedern und Polizeibeamten hatte Jordanien lange Zeit das Image eines relativ progressiven Königreichs in einer konservativen Nachbarschaft. Doch in letzter Zeit gibt es bei einigen Golfnachbarn eine steigende Zahl von frauengeführten Start-ups und Änderungen in der Arbeitsgesetzgebung, die zu wachsenden Chancen für Frauen geführt haben. (…)
Die Wahl für das 130 Sitze umfassende Parlament des Landes im November war ein Zeugnis für die schrumpfende Rolle der Frauen. Die Wahlbeteiligung war niedrig, und weibliche Kandidaten verloren deutlich. Frauen nahmen keinen einzigen Sitz über die Quote von 15 weiblichen Abgeordneten hinaus ein, verglichen mit 20 im vorherigen Parlament.
(Aus dem Artikel „Women, 86 Percent Absent From Jordan’s Work Force, Are Left Behind“, der in der New York Times erschienen ist. Übersetzung von Florian Markl.)