Jamal Khashoggi: Ermordeter Islamist als Kämpfer für Recht und Freiheit?

Türkische regierungsnahe Zeitung mit der Überschrift “So wurde Khashoggi geschlachtet” © Imago Images / xAltanxGocherx

15 Männer mit saudischen Diplomatenpässen landen in Istanbul, sie kommen in zwei Privatjets. Ihr Limousinen-Konvoi trifft kurz vor Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat ein. Dort wird Khashoggi getötet und sein Leichnam zerstückelt, die Limousinen fahren ab. Wenn das saudische Herrscherhaus dazu den Auftrag gab, war es einer der öffentlichsten Morde eines Geheimdiensts der Geschichte, ausgeführt in einem Land, das man nicht gerade „befreundet“ nennen kann. Was entweder eine enorme Machtdemonstration oder eine noch größere Dummheit wäre. In den ersten Berichten, die den Tod Khashoggis bestätigten, war von der versehentlichen Überdosierung eines Betäubungsmittels bei einem Entführungsversuch die Rede, inzwischen heißt es, er sei bei einem Kampf ums Leben gekommen. Ob die Wahrheit je ans Licht kommt, ist ungewiss.

Die Washington Post veröffentlichte Khashoggis letzten Kommentar mit einer besonderen Würdigung: „Diese Kolumne offenbart perfekt seine Hingabe und Leidenschaft für die Freiheit in der arabischen Welt. Eine Freiheit, für die er anscheinend sein Leben gegeben hat.“ Jamal Khashoggi, gefallen im Kampf für Recht und Freiheit? Wie so oft im Nahen Osten liegen die Dinge nicht so einfach wie sie scheinen.

Islamist in liberaler Tarnung

Vor seinem selbstgewählten Exil in den USA war Khashoggi einer der einflussreichsten Männer in Saudi-Arabien. In der Medienlandschaft des Königreichs, in der nichts ohne die Billigung des Herrscherhauses erscheint, wurde Khashoggi zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten des Landes und stieg zu einem engen Vertrauten des 2015 verstorbenen Königs Abdullah und den saudischen Prinzen auf.

Er sei außerordentlich gut vernetzt gewesen, berichtet die New York Times, „der gelassene Mann schien in den letzten drei Jahrzehnten jeden zu kennen, der etwas mit Saudi-Arabien zu tun hatte“. Der Aufstieg Khashoggis habe mit dessen Freundschaft zu Osama bin Laden begonnen, in Zeiten des Jihads der Afghanen gegen die Sowjetunion. Den Tod Osamas habe Kashoggi mit den Worten beklagt: „Ich bin vor einer Weile weinend zusammengebrochen, mit einem gebrochenen Herz deinetwegen, Abu Abdullah [Bin Ladens Spitzname]. Du warst schön und tapfer in diesen schönen Tagen in Afghanistan, bevor du dich Hass und Leidenschaft ergeben hast.“ Khashoggi sei schon in frühen Jahren den Muslimbrüdern beigetreten, und habe während seiner Karriere im Dienst der Monarchie seinen persönlichen Hang zur elektoralen Demokratie und einem politischen Islam nach den Vorstellungen der Muslimbruderschaft verborgen. „Obwohl er später aufhörte, an Treffen der Bruderschaft teilzunehmen, verharrte er bei deren konservativen, islamistischen und oft antiwestlichen Rhetorik, die er einsetzen oder verbergen konnte, je nachdem, mit wem er Freundschaft schließen wollte.“

Laut der Zeitschrift Haaretz war Kashoggi zudem ein enger Freund von Assam Tamimi, einem unermüdlichen und vehementen Unterstützer der Hamas. Tamimi lebt in London und moderiert eine Sendung im arabisch-sprachigen TV-Sender Al-Hiwar. Er hat immer wieder die palästinensischen Selbstmordattentäter gepriesen und lobte die Hamas als „Verteidiger der Wahrheit“, die Opfer zum Wohle aller Muslime gebracht hätten. Tamimi zufolge sei die Hamas der wahre Vertreter des palästinensischen Volkes. Bei einer Demonstration zum Al-Quds Tag verlangte er die „Entfernung des Krebsgeschwürs Israel“, in Interviews mit der BBC bekräftige er seine Bereitschaft, als „Märtyrer“ in einem Selbstmordattentat gegen Israelis zu sterben. Mit Tamimi verbrachte Khashoggi die letzten Stunden vor seinem Flug in die Türkei.

Jamal Khashoggi: Ermordeter Islamist als Kämpfer für Recht und Freiheit?
Yusuf al-Qaradawi mit dem Hamas-Führer Isamil Haniyeh

Der „Kampf gegen Israel“ sei im Zentrum seiner islamistischen Agenda gestanden, so Haaretz, er habe selbst eine leidenschaftliche Ode an die Hamas verfasst und unter einem „gemäßigten Islam“ unter anderem die Lehren von Yusuf al-Qaradawi verstanden. Qaradawi ist ein einflussreicher Hassprediger aus Katar, der im Sender Al-Jazeera den islamischen Terrorismus propagiert. 2004 hatten mehr als 2500 muslimische Intellektuelle aus 23 Ländern die UNO in einer Petition aufgefordert, die „Theologen des Terrors“ vor ein internationales Tribunal zu stellen und ihnen zu verbieten, mit Religion zur Gewalt anzustiften. Qaradawi wird in dieser Petition namentlich erwähnt, die Unterzeichner beschreiben ihn als einen der „Sheikhs des Todes“. Im Jahr davor hatte Qaradawi eine Fatwa erlassen, die ausdrücklich das Töten von schwangeren israelischen Frauen und deren ungeborenen Kindern erlaubt, weil die Kinder als Erwachsene zur Israelischen Armee gehen könnten.

Ein Mann, der Jahrzehnte lang als enger Vertrauter des Hauses Saud diente; ein eifriger Unterstützer des palästinensischen Terrors, der eng mit Hasspredigern befreundet war; ein Protagonist des politischen Islam der Muslimbruderschaft; ein Muslim, der einen Islam, in dem zum Mord an schwangeren Jüdinnen samt deren ungeborenen Kindern aufgerufen wird, für moderat hält – das klingt nicht gerade nach einem Liberalen, der für die Freiheit sein Leben gegeben hat. Jamal Khashoggi war weder liberal noch fortschrittlich, zu keinem Zeitpunkt verfolgte er das Modell einer pluralistischen Demokratie. Seine Ziele waren die Auslöschung Israels und die Errichtung einer islamischen Theokratie mit „demokratischen“ Mitteln.

Der Kronprinz und sein Widersacher

Auch der junge Kronprinz Mohammed bin Salman, starker Mann und vermutlich künftiger Herrscher Saudi-Arabiens, der unter dem Kürzel „MBS“ bekannt ist, entspricht ganz und gar nicht der westlichen Vorstellung von „liberal“, obwohl die Medien ihn gern mit diesem Attribut versehen. Zweifellos ist er ein Erneuerer, der sein Land wirtschaftlich ins 21. Jahrhundert führt und es politisch öffnet. Doch mit dem westlichen Verständnis von Demokratie oder gar Sympathien für bürgerliche Freiheitsrechte hat das nicht das Geringste zu tun. MBS befreit das Land nur von einigen besonders absurden religiösen Fesseln, die seinen wirtschaftlichen und politischen Interessen entgegenstehen. Allein die Aufhebung des Frauen-Fahrverbots soll bis 2030 neunzig Milliarden Dollar mehr an Wirtschaftsleistung bringen, zusätzlich zur internationalen politischen Reputation.

König Salman und MBS regieren absolutistisch und mit maximaler Härte, sie denken gar nicht daran, das zu ändern. Dass man in Saudi-Arabien jetzt ins Kino gehen darf, ändert nichts daran, dass kritische Stimmen ausgepeitscht werden, Gegner hinter Kerkermauern verschwinden und Delinquenten öffentlich geköpft werden.

Gefahr droht MBS – und der Herrschaft der Sauds – vor allem von drei Seiten: im Inneren von den alten wahhabitischen Seilschaften rund um den früheren König Abdullah und von den Muslimbrüdern – viele der ihnen nahstehenden Geistlichen ließ MBS in den letzten zwei Jahren ins Gefängnis werfen, sowie von außen durch den Iran. Dass einer der intimsten Kenner des Regimes, prominent und national wie international bestens vernetzt, aus dem Ausland den Widerstand der Muslimbrüder gegen das Königshaus unterstützt, müssen die Sauds als Bedrohung betrachtet haben. Dazu kommt Khashoggis Naheverhältnis zur Türkei, die in Syrien an der Seite Irans steht: über Erdogan oder die AKP ist kein einziges kritisches Wort von Khashoggi oder dessen türkischer Verlobten Hatice Cengiz bekannt. Sein zentrales Anliegen, der Kampf gegen den jüdischen Staat, unterlief zudem auch noch die strategische Annäherung Saudi-Arabiens an Israel.

John Bradley vergleicht im Spectator das Haus der Sauds mit der Mafia und erzählt Kashoggis Leben als die Geschichte eines Mannes, der sich auf die Mafia und deren Regeln eingelassen hatte. Bin Salman habe ihm vor wenigen Wochen ein traditionelles Stammesangebot zur Versöhnung gemacht und einen Platz als Berater angeboten, wenn er in das Königreich zurückkehre, was Khashoggi aber abgelehnt habe. Eine möglicherweise tödliche Zurückweisung: „Wenn du einmal dabei bist, ist es fürs Leben, und wenn du versuchst zu gehen, wirst du entbehrlich.“

Das Offensichtliche

Jamal Khashoggi: Ermordeter Islamist als Kämpfer für Recht und Freiheit?

Haaretz benennt im oben zitierten Artikel das Offensichtliche: Nichts rechtfertigt, wenn ein Journalist von dem Regime ermordet wird, das er kritisiert hat; dabei spielt es keine Rolle, welche Ansichten er vertreten hat. Es wäscht diese Ansichten aber auch nicht rein.

Wer jetzt einer Neubewertung der Muslimbrüder das Wort redet, verkennt deren Charakter. Dass sie „demokratisch“ an die Macht kommen wollen, ändert nichts an ihrem Ziel der Errichtung einer islamischen Theokratie, deren Lebensrealität sich nur marginal von jener im heutigen Saudi-Arabien unterscheiden würde. Nach westlichem Verständnis hat die absolute Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit nichts mit einer liberalen Demokratie zu tun. Eine Demokratie ohne Rechtsstaat, der die Bürgerinnen und Bürger vor staatlicher Willkür schützt, ist keine. Wenn in einem Zoo mit 60 Raubtieren und 40 Eseln der Zoodirektor „demokratisch“ gestürzt wird, droht spätestens dann Unheil, wenn darüber abgestimmt wird, was es zum Abendessen gibt.

Auch wenn es absurd anmutet, dass ausgerechnet die Türkei den Mord an einem Journalisten aufklären will, ist die weltweite Empörung über die Ermordung Khashoggis nachvollziehbar. Sie bekommt aber einen unangenehmen Beigeschmack, wenn dieselben Leute nun Sanktionen gegen Saudi-Arabien fordern, die auf den Pakt mit dem Iran pochen oder sich vehement für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland einsetzen. Anna Politkowskaja und ihre Kollegen sind offenbar vergessen. In Russland wurden in den letzten 15 Jahren 246 Journalisten umgebracht, kaum einer dieser Morde ist gelöst worden. „Mit potentiellen Mördern paktiert man nicht“, schreibt Wolfgang Kubicki auf Facebook. Ja eh.

Der Fall Khashoggi ist eine Herausforderung für die internationale Diplomatie. Für den Ruf nach mehr Moral in der Politik eignet er sich nicht. Denn die Alternative zur islamischen Diktatur der Sauds, die mit dem Westen kooperiert, wäre eine islamische Diktatur, die den Westen mit allen Mitteln bekämpft. Manchmal liegen die Dinge auch einfacher als sie scheinen.

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