„In der Türkei ist Politik immer ein Wettkampf der Symbole. Ob die Krawattenfarbe oder die Art, das Kopftuch zu binden, ob Familienfoto oder Automarke, jedes Detail von Politikern ist eine Botschaft. Damit markieren sie ihre Lager und sprechen ihre Wähler an. Der neue Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu trat mit der Behauptung an, dass diese ‚Lagerpolitik‘ den politischen Horizont einenge. Statt sein eigenes Lager zu markieren, versprach er eine von Lagern befreite Politik. Genau das braucht die in den letzten 25 Jahren extrem gespaltene Türkei am dringendsten. (…)
In seiner Siegesrede grüßte er alle Bürger Istanbuls, ‚Muslime, Christen, Kurden, Aleviten, Armenier, Griechen‘. Auf der Veranstaltung zum Wahlsieg am Sonntag gab es ein Konzert mit europäischer Klassik, Volkstänze und Janitscharenkorps, um die verschiedenen Gesichter der Türkei zu repräsentieren. Dass Erdoğan nach der Niederlage das Wahlergebnis nicht anerkannte, steigerte İmamoğlus Popularität weiter. Heute wird der neue Star, dessen Namen vor drei Monaten noch niemand kannte, als künftiger Anwärter auf die Präsidentschaft gehandelt. Genau wie damals Erdoğan, der von Istanbul aus das Tor zum Palast aufstieß …“ (Can Dündar: „Der neue Star der Politik“)