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Ist das Atomabkommen mit dem Iran tot?

Solidaritätsdemonstration für die Proteste im Iran
Solidaritätsdemonstration für die Proteste im Iran (© Imago Images / Nur Photo)

Solange die Europäer an einer Fortsetzung der Atomgespräche mit dem Iran festhalten, wird der US-Präsident das tatsächliche Scheitern der Verhandlungen offiziell nicht eingestehen.

Ben Cohen

Wie der Papagei in dem wunderbaren Monty-Python-Sketch haben amerikanische und europäische Diplomaten versucht, sich einzureden, dass das Atomabkommen mit dem Iran von 2015 nicht tot ist. Es ruht sich nur aus.

Seit dem Rückzug der USA aus dem Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) im Jahr 2018 ist schmerzlich deutlich geworden, dass die wichtigste außenpolitische Errungenschaft der Regierung des ehemaligen Präsidenten Barack Obama nicht mehr existiert, mit anderen Worten: tot ist. Die Diplomaten wissen das, waren aber nicht bereit, dies zu verkünden, und zogen stattdessen vor, in regelmäßigen Abständen zu behaupten, eine Wiederbelebung der Verhandlungen, die sich seit mehr als einem Jahr in Wien hinziehen, stünde »unmittelbar bevor«.

Wird sich diese Position nun ändern, nachdem ein Amateurvideo von US-Präsident Joe Biden aufgetaucht ist, in dem er erklärt, dass das Abkommen »tot« sei? Die Antwort scheint sowohl Ja als auch Nein zu lauten. Bidens Äußerungen zu dem Abkommen waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Sie fielen am 4. November bei einer Wahlkampfveranstaltung in Oceanside, Kalifornien, als die Wähler auf die Zwischenwahlen zusteuerten. In dem Video ist eine Frau mit persischem Akzent zu hören, die den Präsidenten aus dem Off fragt, ob er das JCPOA für tot erklären werde.

»Nein«, antwortet er. Auf die Frage, weshalb nicht, antwortete Biden, dies sei eine »lange Geschichte«, für die es »viele Gründe« gebe. Doch dann räumte er ausdrücklich ein, dass das JCPOA tatsächlich »tot ist, aber wir werden es nicht verkünden«.

Das Video zeigt zwar nur einen kleinen Ausschnitt des Gesprächs, aber es klang nicht so, als sei Bidens Gesprächspartnerin besonders beeindruckt gewesen. »Wir wollen einfach keine Deals mit den Mullahs«, betonte die Frau. »Sie repräsentieren uns nicht, sie sind nicht unsere Regierung.« – »Ich weiß, dass sie euch nicht repräsentieren«, antwortete Biden, »aber sie haben eine Atomwaffe, die sie repräsentieren werden«.

Anschließend machte er sich auf den Weg, nur um später auf einer Kundgebung mit einer Solidaritätsbotschaft für die historischen Proteste gegen das Regime zu erscheinen, die seit September im Iran wüten. »Keine Sorge, wir werden den Iran befreien«, sagte Biden zu einer Gruppe von Aktivisten, die Schilder mit dem Schriftzug »Free Iran« trugen. »Sie werden sich bald selbst befreien.«

Ist das Iran-Abkommen also tot? Nach diesen Äußerungen Bidens kann man nur zu dem Schluss kommen, dass seine Antwort sowohl ein Ja als auch ein Nein ist. Er benutzte das kaum zweideutige Wort »tot«, um seinen Status zu beschreiben. Seine Äußerungen werfen aber auch die Frage auf, ob etwas wie das Iran-Abkommen wirklich als tot bezeichnet werden kann, wenn diese Tatsache in einem öffentlichen Forum nicht anerkannt werden kann oder will.

Unterschiedliche Einschätzungen

Andere Stimmen in Washington haben die Aussichten auf eine Wiederbelebung des JCPOA ähnlich schlecht eingeschätzt, ohne so weit zu gehen, sie als »tot« zu bezeichnen. Bereits im April gab Außenminister Antony Blinken zu, dass er »nicht allzu optimistisch ist, was die Aussichten auf einen tatsächlichen Abschluss eines Abkommens angeht«, während der US-Beauftragte für den Iran, Rob Malley, im Oktober erklärte, die US-Regierung werde keine Zeit mit der Suche nach einem Abkommen verschwenden, während das Teheraner Regime brutal gegen Demonstranten vorgeht.

Nach dem Auftauchen des Videos war unklar, ob hochrangige US-Beamte Bidens Äußerungen unterstützten oder untergruben, da sie einerseits betonten, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen kein Abkommen möglich sei, aber eine solche Vereinbarung für die Zukunft auch nicht direkt ausschlossen. Infolgedessen, so John Kirby vom Nationalen Sicherheitsrat, hat sich der Schwerpunkt der Regierung von dem Abkommen auf »praktische Wege zur Konfrontation mit dem Iran« verlagert, sowohl was die Unterdrückung der Proteste als auch die wachsende militärische Allianz mit dem Regime von Präsident Wladimir Putin in Russland betrifft, während für den Sprecher des Außenministeriums, Ned Price, »das JCPOA nicht auf der Tagesordnung steht« und »schon seit einiger Zeit nicht mehr steht«. Das klingt zwar sehr negativ, lässt aber die Tür für ein künftiges Abkommen immer noch offen.

Wie kann diese Zurückhaltung erklärt werden? Zum Teil liegt es an der alten Verhandlungstaktik, nicht die Hand aufzuhalten, wenn es nicht unbedingt nötig ist; die Iraner sollen die Schuld für das Scheitern der Gespräche auf sich nehmen, so scheint die Idee zu sein. Doch auch die Europäer spielen eine Rolle, denn die EU hält am Ziel eines wiederbelebten JCPOA fest, obwohl sie nach dem Ausbruch der Proteste eine neue Runde von Sanktionen gegen das iranische Regime angekündigt hat. Solange die EU glaubt, es gebe auch nur die geringste Hoffnung auf einen Durchbruch mit den Mullahs, werden die USA den unbedachten Äußerungen ihres Oberbefehlshabers wohl kaum einen offiziellen Stempel aufdrücken.

Offizielle Politik

Diese Art des Wegduckens und Ausweichens des Westens signalisiert Teheran, dass es immer noch eine Rolle zu spielen hat, indem es zu einem Ergebnis kommt, das die westlichen Länder unbedingt erreichen wollen. Um eine Einigung zu erzielen, muss das Regime an der Macht bleiben. Wenn das Ziel jedoch, wie Biden auf der Kundgebung in Kalifornien erklärte, darin besteht, den Iran »zu befreien« und den einfachen Iranern, die dieses Ziel verfolgen, jede erdenkliche Unterstützung zukommen zu lassen, muss genau das Gegenteil getan werden.

Die strengen Sanktionen, die gegen zahlreiche iranische Einzelpersonen, militärische Organisationen und Regierungsstellen verhängt wurden, müssen um das Einfrieren der diplomatischen Kontakte mit dem Iran ergänzt werden. In erster Linie würde dies bedeuten, die Verhandlungen in Wien zur Wiederbelebung des JCPOA formell zu beenden. Bidens Urteil, dass das Abkommen tot ist, würde damit zur offiziellen Politik werden. Neben der Beendigung der Atomgespräche sollten die westlichen Staaten auch die diplomatischen Kontakte aussetzen, indem sie ihre Botschafter aus Teheran abziehen und gleichzeitig untergeordnetes Personal zur Überwachung der Unterdrückung der Proteste vor Ort lassen.

Auch wenn es vielleicht zu viel verlangt ist, dass der Regimewechsel zur Politik des Westens wird, sollte es weniger Einwände dagegen geben, den Iranern zu helfen, ihre Befreiung selbst zu erreichen. Das JCPOA ist tot. Soll das iranische Regime doch seinen Weg gehen.

Ben Cohen ist ein in New York City lebender Journalist und Autor, der eine wöchentliche Kolumne über jüdische und internationale Angelegenheiten für Jewish News Syndicate schreibt. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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