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Israels Grenzen: Zur Grenzfrage im arabisch-israelischen Konflikt (1/9)

Im Sechstagekrieg kamen die Westbank und Gaza unter israelische Kontrolle
Im Sechstagekrieg kamen die Westbank und Gaza unter israelische Kontrolle (© Imago Images / United Archives International)

Seit 1967 sind „sichere und anerkannte Grenzen“ Israels das Ziel aller Friedensbemühungen im arabisch-israelischen Konflikt. (Teil 1 einer Serie zum Thema Israel und das Westjordanland im Völkerrecht.)

Wenige Monate nach dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig einen seiner wohl wichtigsten Beschlüsse. In Resolution 242 betonte er die „Notwendigkeit, auf einen gerechten und dauerhaften Frieden hinzuarbeiten, in dem jeder Staat der Region in Sicherheit leben kann“. (ausführlich dazu hier, S. 120ff.) Ein solcher Frieden müsse auf zwei Grundsätzen beruhen:

  1. auf dem Rückzug der israelischen Armee „aus Gebieten, die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden“, und
  2. auf der Beendigung des Kriegszustands unter „Achtung und Anerkennung der Souveränität, territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit eines jeden Staates in der Region und seines Rechts, innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen frei von Androhung oder Akten der Gewalt in Frieden zu leben“.

Damit schrieb der Sicherheitsrat das Prinzip nieder, dem bis heute die Versuche zur Beendigung des arabisch-israelischen Konfliktes folgen: Land für Frieden.

Resolution 242

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Das fängt schon damit an, dass bereits seit mehr als fünfzig Jahren über die Bedeutung der recht einfach klingenden Worte von Resolution 242 gestritten wird.

Isrealische Bedrohung vor dem Sechstagekrieg
Isrealische Bedrohung vor dem Sechstagekrieg (Quelle: State of Israel, Ministry of Foreign Affairs)

Denn von dem Text existieren zwei Versionen. In der englischen Version, in der die Resolution verfasst wurde und die daher die gültige ist, ist von einem israelischen Rückzug „aus Gebieten“ die Rede; in der französischen Version dagegen von „aus den Gebieten“.

Während letztere also im Gegenzug für Frieden einen israelischen Rückzug aus allen Gebieten fordert, die 1967 neu unter israelische Kontrolle gekommen sind, fasst erstere auch einen israelischen Rückzug aus manchen, aber nicht notwendigerweise allen Gebieten ins Auge.

Genau das war die Absicht der Verfasser des Textes. Der britische UN-Botschafter, Lord Caradon, erläuterte die Beweggründe für diese spezifische Formulierung:

„Wir haben nicht gesagt, dass es einen Rückzug zur ‘67er-Linie geben sollte, wir haben das ‚den‘ nicht eingefügt, wir haben absichtlich nicht von ‚allen Gebieten‘ gesprochen. Wir alle wussten, dass die Grenzen von ’67 nicht als permanente Grenzen gezogen worden waren, sondern die Waffenstillstandslinien von vor ein paar Jahrzehnten waren. (…)

Wir haben nicht gesagt, dass die ’67er Grenzen für immer Bestand haben müssen.“

An anderer Stelle bekräftigte er den Gedanken hinter dem Resolutionstext folgendermaßen:

„Wir hätten sagen können: Sie gehen zurück zur 1967er-Linie. Aber ich kenne die 1967er-Linie, und es ist eine faule Line. Man könnte keine schlechtere Linie als internationale Grenze haben.“

Arthur Goldberg, der damalige UN-Botschafter der Vereinigten Staaten, pflichtete Caradon bei:

„Verlangt die vom UN-Sicherheitsrat einstimmig angenommene Resolution 242 einen Rückzug der israelischen Armee aus allen Gebieten, die Israel während des Sechstagekrieges 1967 besetzt hat? Die Antwort lautet: Nein.“

Der Grund dafür, keinen vollständigen Rückzug Israels zu fordern, war ganz einfach: Die oft falscherweise als „Grenzen vor 1967“ bezeichneten Waffenstillstandslinien waren für Israel alles andere als sicher.

Von den Golanhöhen aus terrorisierte die syrische Armee weite Teile Galiläas mit Artilleriebeschuss; in Jerusalem feuerten jordanische Soldaten auf Zivilisten im israelischen Teil der Stadt; Angreifer sickerten über die Waffenstillstandslinien nach Israel ein, um dort Attacken auszuüben; und an seiner schmalsten Stelle, nördlich von Herzliya, war das Land keine 14 Kilometer breit und gegen einen Angriff von den Hügeln im Westjordanland, die das Küstengebiet überblicken, kaum zu verteidigen.

Mit Resolution 242 sollte ein Verhandlungsprozess angestoßen werden, an dessen Ende ein Frieden zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn stehen sollte, der es allen Staaten ermöglicht, in „sicheren und anerkannten Grenzen“ zu leben. Wie auch immer die Details eines hoffentlich einmal zustande kommenden Friedens aussehen mögen: Tatsache ist, dass die sogenannte Grüne Linie zwischen Israel und dem Westjordanland keine sichere Grenze Israels darstellt.

Das war bereits 1949 so, als den Feinden Israels noch nicht die zigtausenden Raketen zur Verfügung standen, über die Terrorgruppen wie die Hisbollah im Libanon oder die Hamas im Gazastreifen verfügten, und es trifft auf die heutige Zeit umso mehr zu, in der eine vom Westjordanland abgefeuerte Rakete binnen weniger Sekunden Netanya, Herzliya, Tel Aviv und Jerusalem erreichen kann.

Israel konnte 1979 mit Ägypten Frieden schließen und sich vom Sinai zurückziehen, weil die entmilitarisierte Halbinsel eine Pufferzone darstellt, die Überraschungsangriffe verunmöglicht. Gegenüber dem Westjordanland existiert eine derartige „strategische Tiefe“ nicht.

Oslo-Prozess

Zoneneinteilung der Westbank anhand des Oslo-Abkommens
Zoneneinteilung der Westbank anhand des Oslo-Abkommens (Quelle: State of Israel, Ministry of Foreign Affairs)

Ab Mitte der 1990er Jahre lebte im Westjordanland die überwältigende Mehrheit der Palästinenser in der sogenannten Zone A, in der einzig die PA für die zivile Verwaltung und die Sicherheit zuständig war. Insbesondere palästinensische Bevölkerungszentren wie Nablus, Jenin, Tulkarm, Qalqiliya, Ramallah, Bethlehem, Jericho und vier Fünftel von Hebron standen unter alleiniger palästinensischer Kontrolle. Im Alltag des Großteils der Bevölkerung war Israel als Besatzungsmacht nicht mehr vorhanden, Israel und das Westjordanland waren physisch nicht voneinander getrennt.

Das wurde insbesondere durch die israelischen Erfahrungen im sogenannten Oslo-Friedensprozess unterstrichen, der zur Schaffung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und zum Rückzug Israels aus den bevölkerungsreichsten Gebieten im Westjordanland führte.

Doch das Wagnis, Jassir Arafat und die PLO zu Machthabern über die Palästinenser zu machen, kam Israel teuer zu stehen. Anstatt eines zukünftigen Staates mit allen dafür erforderlichen Strukturen wurde eine terroristische Infrastruktur aufgebaut, deren tödliche Folgen über die israelische Gesellschaft hereinbrachen, nachdem Arafat sich in den Verhandlungen von Camp David im Sommer 2000 einem Frieden mit Israel verweigert hatte.

Über 1000 Israelis wurden bei den fast täglich stattfindenden Massakern in Restaurants, Einkaufszentren, Bussen und auf Märkten getötet. Selbst der als Hardliner verschriene Ariel Sharon, der im März 2001 israelischer Premier wurde, wartete mit einem großangelegten Militäreinsatz zu, bis er nicht mehr anders konnte: Am 27. März 2002 tötete ein Selbstmordattentäter der Hamas beim schwersten Anschlag des palästinensischen Terrorkriegs bei einer Pessach-Feier im Park Hotel in Netanya 30 Menschen und verletzte 140.

Daraufhin befahl Sharon die „Operation Schutzschild“, in der die israelische Armee gegen die Terrorinfrastruktur vorging, die unter Arafat aufgebaut worden war. Dabei drang die Armee in Teile des Westjordanlands vor, die im Zuge des Friedensprozesses unter palästinensische Kontrolle gekommen waren. Bei Razzien wurden Sprengstofflager, Bombenbauwerkstätten und Waffenlager zerstört sowie zahlreiche Waffen beschlagnahmt, darunter Maschinengewehre, Granatwerfer, panzerbrechende Waffen und Raketen.

Der Versuch, der palästinensischen Führung Land im Gegenzug für Frieden zu geben, hatte Israel einen Terrorkrieg eingebracht, wie ihn der jüdische Staat in dem jahrzehntelangen Konflikt noch nicht erlebt hatte, und führte zur größten Militäroperation im Westjordanland seit 1967.

Nach der Operation Schutzschild ging die Zahl schwerer Terroranschläge zurück, wirklich gestoppt werden konnte das Blutvergießen aber erst mit der Errichtung des israelischen Sicherheitszauns, der ungefähr entlang der Grünen Linie verläuft und mit dem zum ersten Mal Israel physisch vom Westjordanland getrennt wird.

Inhaltsverzeichnis:

Bedingungen für sichere & anerkannte Grenzen Israels (2/9)
Der einseitige Rückzug ist gescheitert

Friedensprozess in Israel (3/9)
Rabins Vermächtnis

Israelische Besetzung und Souveränität Palästinas (4/9)
Wer ist der legitime Souverän?

Israelische Besetzung und Souveränität Palästinas (5/9)
„Wie ihr besitzt, so sollt ihr besitzen“

Selbstbestimmungsrecht der Völker in Israel (6/9)
Probleme und Bedingungen

Illegale Siedlungen Israels und Genfer Konvention (7/9)
Die IV. Genfer Konvention

Siedlungen in “besetzten” Gebieten weltweit (8/9)
Völkerrechtlich vergleichbare Fälle

Israels Souveränität und Völkerrecht: Fazit (9/9)
Internationale Praxis 

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