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Israels Regierung erweckt wachsende Befremdung in den USA

Israels Premier wartet immer noch auf Einladung zu Antrittsbesuch in den USA
Israels Premier wartet immer noch auf Einladung zu Antrittsbesuch in den USA (© Imago Images / UPI Photo)

Gegenwärtig verstimmen Misstöne die Beziehungen der israelischen Regierung zu den USA. In Schieflage geraten auch die Beziehungen zur jüdischen Gemeinschaft in den USA und langsam gehen auch pro-israelisch gesinnte fundamentale US-Christen auf die Barrikaden.

In Israel polarisiert die national-religiöseste Regierung in der Geschichte des Landes zunehmend. Während anfangs dazu nur verhaltene Bemerkungen aus dem Ausland zu hören waren, setzt es für die Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu inzwischen immer mehr Kritik. 

Das ist ungewöhnlich, denn im Allgemeinen halten sich andere Regierungen zurück, wenn es um innenpolitische Angelegenheiten eines anderen Staates geht. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war einer der Ersten, der Israels Premier Vorhaltungen machte. Nachfolgend bemängelten auch andere die Justizreform-Pläne als Angriff auf die Gewaltenteilung der israelischen Demokratie, darunter Deutschland und die USA, beides enge Freunde Israels, die sich durch Sorge um den Staat Israel, dazu veranlasst sahen.

Beschämende Reise

Israels Finanzminister und zugleich stellvertretender Verteidigungsminister Bezalel Smotrich (Religiöse Zionisten) sorgte in Zusammenhang mit den Vorgängen rund um das palästinensische Dorf Huwara für Negativschlagzeilen, wie Israel sie wohl noch nie erlebte. 

Obwohl er sich für seine Bemerkung, dieses Dorf »müsse ausgelöscht werden« entschuldigte, war der Schaden angerichtet. Auf seiner US-Reise blieb ihm jede Tür der US-Administration verschlossen. Letztlich trat er nur auf einer einzigen Veranstaltung auf. Er redete vor 150 Gästen, die zu einer privaten Gala der Israel Bonds (Israels Staatsanleihen) geladen waren. Draußen hingegen versammelte sich eine Menschenmenge, um gegen ihn zu protestierten.

Ausbleibende Einladung

Auch in einer weiteren Angelegenheit sendet die US-Regierung ungewöhnliche Zeichen aus. Normalerweise besucht ein neugewählter israelischer Regierungschef innerhalb der ersten drei Amtsmonate auf Einladung des US-Präsidenten das Weiße Haus. Doch zum ersten Mal in seiner langen Premier-Karriere laufen die ersten drei Amtsmonate für Netanjahu nicht nur ohne Reise ab, sondern er hat noch nicht einmal den Hinweis auf eine anstehende Einladung erhalten. Dementsprechend ließ ein verschnupfter Netanjahu alle Regierungsmitglieder in den Tagen nach dem Smotrich-Debakel wissen: »Solange ich keinen US-Besuch absolviere, reist niemand.«

Noch ungewöhnlicher ist, dass Israels Premier bloß vor wenigen Tagen überhaupt zum ersten Mal seit seinem Wahlsieg mit US-Präsident Joe Biden telefonierte. Seit Bidens Gratulation zum Wahlsieg am 7. November herrschte Funkstille. 

Bei dem Telefonat wollte Netanjahu die Iran-Politik diskutieren, wurde, wie die Pressemitteilung des Weißen Hauses offenbarte, von Biden jedoch ausführlich auf einen anderen Aspekt angesprochen: »Der Präsident unterstrich seine Überzeugung, dass demokratische Werte immer ein Markenzeichen der amerikanisch-israelischen Beziehungen waren und bleiben müssen, [und] dass demokratische Gesellschaften durch echte gegenseitige Kontrolle der Gewalten gestärkt werden.«

Drohen Sanktionen?

Da Premier Netanjahu sich zu Zeiten von US-Präsident Donald Trump an der Seite der Republikaner positionierte, war klar, von einem Demokraten im Weißen Haus wird Gegenwind zu erwarten sein. Schon im Januar wurde ausschließlich Israel dafür gerügt, die Spannungen vor Ort durch »kontraproduktive Maßnahmen anzuheizen«. Zwar hört Israel aus den USA immer deutliche Verurteilungen des palästinensischen Terrors, aber wegen der Regierungskonstellationen wird in Washingtoner Kreisen immer lauter über eine Maßregelung Israels – und nicht der Palästinenser – nachgedacht.

Vor wenigen Tagen forderte der demokratische US-Senator Chris Murphy, Israel wegen »seines Angriffs auf die Zwei-Staaten-Lösung« mit »scharfen Maßnahmen« zu gängeln. Die USA sollten ihre Israel-Hilfe zukünftig an Konditionen knüpfen. Dass die Zwei-Staaten-Lösung auch ganz ohne Annexionsträumereien der national-religiösen israelischen Regierungspartner längst völlig neu überdacht werden muss, scheint irrelevant. Und Senator Murphy steht mit solchen Forderungen nicht allein. Wirft man einen Blick auf die US-Hilfe im israelischen Militär- und Sicherheitsbereich, so wird deutlich, dass die Möglichkeit einer solchen Konditionierung dieser Hilfe Israel aufschrecken sollte.

Selbst proisraelische Lobbyorganisation kommt ins Stottern

Blickt Israel in die USA, so sind da auch noch die Vereinigungen und Gemeinden der amerikanisch-jüdischen Gemeinschaft. Nach der Wahl in Israel warnten viele wegen des Erstarkens der Rechtsaußenflanke

Aus anfänglich einigen Dutzend warnenden Vereinigungen wurden zwischenzeitlich fast 200, als sich abzeichnete, dass Israels extremistische Rechte mit vierzehn Knesset-Mandaten nicht nur einen Wahlsieg einfahren konnten, sondern zudem Koalitionspartner werden wird. Für die zu großer Mehrheit liberal-progressiv eingestellten US-Juden ein absolutes No-Go, wenngleich dies die Union of orthodox Jewish Congregations of America (OU) – die größte jüdische US-Organisation für koschere Speisevorschriften und Bildungsmaßnahmen – dazu veranlasste, erst recht die Nähe zur israelischen Regierung zu suchen.

Angesichts des gesteigerten orthodoxen Einflusses in israelischen Regierungsangelegenheiten war dies keine Überraschung, dennoch bleibt es das Bestreben bloß einer Minderheit der jüdischen US-Gemeinschaft. Erstaunlich sind hingegen die Entwicklungen in den Reihen der proisraelischen Lobbyorganisation AIPAC (American Israel Public Affairs Committee), die in US-Regierungskreisen agiert und sich selbst als »beide Parteien vertretend« versteht, wenngleich Kritiker dagegenhalten, AIPAC wirke vor allem als Agent der rechtskonservativen Spektrums der israelischen Politik.

AIPAC war nicht unter den jüdischen US-Organisationen, die nach der Wahl Warnungen wegen der Wahlsieger zu Netanjahus Rechten aussprachen, weigerte sich aber dennoch, Finanzminister Smotrich willkommen zu heißen. In Sachen Justizreform hielt sich AIPAC zurück und erklärte lediglich lapidar: »Über dieses Thema in Israel leidenschaftlich debattiert wird.« 

Während AIPAC offiziell weiter Netanjahu zur Seite steht, treten immer mehr prominente AIPAC-Mitglieder als Redner auf Anti-Justizreform-Protesten in den USA auf. Zudem brach Miriam Adelson, die Witwe des wohl prominentesten jüdisch-republikanischen Mega-Spenders, Ex-Netanjahu-Patrons und Herausgebers der israelischen Tageszeitung Israel Hayom, Sheldon Adelson, ihr Schweigen: »Es ist verdächtig, dass die Regierung die juristischen Veränderungen so schnell ratifizieren will, das lässt Fragen bezüglich der eigentlichen Ziele aufkommen und weckt Bedenken.«

Damit wackelt eine US-Hochburg der Israel-Unterstützung, auf die Netanjahu bislang blind zählen konnte.

Die neue Realität in Israel

Erst vor wenigen Tagen stutzte die weltweite jüdische Gemeinschaft wegen einer Meldung aus Israel: Der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir (Otzmah Yehudit/Jüdische Stärke), ließ ein Programm des American Jewish Joint Distribution Committee (heute JDC oder Joint) schließen, das sich der Verminderung von Gewalt in arabisch-israelischen Städten widmet, weil, wie er es begründete, »eine linke Organisation« es umsetze.

Der Joint unternimmt seit seiner Gründung im Jahr 1914 auf Rettungsmaßnahmen für Juden in Not. Vielen Millionen Menschen in über 85 Ländern wurde seither geholfen. Diese weltweit größte jüdisch-humanitäre NGO hat unzählige Male mit dem Staat Israel kooperiert, um waghalsige Rettungsaktionen umzusetzen und setzt sich in Israel u.a. für Chancengleichheit und Reduzierung der sozioökonomischen Klüfte ein. 

In den Genuss der Hilfe kommen alle israelischen Bürger, so wie der Joint weltweit nicht nur Juden, sondern Menschen in Not ohne Ansehen ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit hilft. 2021 ließ Joint diversen Hilfsaktionen und Programmen fast 310 Millionen US-Dollar zukommen, 110 Millionen davon gingen nach Israel. Nicht nur aus der Führungsspitze der Organisation selbst hörte man zur Ben-Gvir Entscheidung den Kommentar: »Das ist ein schlechter Witz.«

Schlagen die Koalitionspartner dem Fass den Boden aus?

Es gibt zwei weitere Themenkreise, die Israels Beziehungen zu den USA zutiefst erschüttern. Auf der einen Ebene geht es um die Bestrebungen der Likud-Koalitionspartner, das israelische Rückkehrgesetz zu ändern. Dieses Gesetz gewährt Menschen, die nach den Nürnberger Rassengesetze der Nazis als Juden verfolgt worden wären, Schutz durch Einwanderungsmöglichkeit nach Israel, auch wenn sie sich selbst nicht als Juden verstehen. 

Schon lange wird in Israel diskutiert, zukünftig nicht mehr allen Enkeln eines jüdischen Großelternteils die Einwanderung zuzugestehen, sondern dieses Gesetz des säkularen Staates an den jüdischen Religionskodex orthodoxer Auslegung: an die Halacha anzupassen. Aufgrund des Rückenwindes ihrer Mandatsmehrheit kündigten sowohl die ultraorthodoxen als auch die national-religiösen Koalitionspartner an, eine solche Änderung nun endlich durchsetzen zu wollen

Das stieß nicht nur in weiten Teilen der israelischen Gesellschaft auf Kritik, sondern auch in der gesamten jüdischen Welt, vor allem in Russland und in den USA, die nach Israel die weltweit größten jüdischen Zentren sind. Und dies umso mehr in Zeiten, in denen mehr und mehr Menschen zur Zielscheibe antisemitisch motivierte Übergriffe werden. 

Für die liberalen US-Juden ist das Projekt ein Affront, der zur Farce wird, weil Israels Regierung zugleich betont, die Beziehungen zur Diaspora stärken zu wollen. Für viele in den USA würde die Änderung des Rückkehrgesetzes zweifellos den Bruch mit Israel als pulsierendem Zentrum des jüdischen Volkes bringen.

Doch in den USA hört man nicht nur von jüdischer Seite Bedenken über diverse Entwicklungen in Israel. Seit einigen Tagen kursiert in Portalen fundamental-christlicher US-Kreise die Neuigkeit, ultraorthodoxe Knesset-Abgeordnete strebten an, die »Verbreitung der Botschaft des Neuen Testaments im Land, in dem Jesus geboren wurde« gesetzlich zu einem Vergehen zu erklären, das mit bis zu einem Jahr Gefängnisstrafe bedacht werden kann. Der langjährige Knesset-Abgeordnete Moshe Gafni (Thora-Judentum) hat schon in der Vergangenheit Vorstöße gegen christliches Missionieren in Israel gemacht, die bislang jedoch samt und sonders im Sand verlaufen waren.

Vor dem Hintergrund der gegenwärtig erneut aufgenommenen Bestrebungen kommen jetzt sogar in evangelikalen US-Kreisen, die für ihre proisraelische Gesinnung bekannt sind, Bedenken am Ausmaß des Einflusses auf, den die Sicherung der Mandatsmehrheit jenen Koalitionspartnern bringt, die radikale Ideen vertreten. 

Zum anderen beginnen auch diese Kreise zu verstehen, wie umfassend sich die Auswirkungen der angestrebten Justizreform bemerkbar machen würden, denn ein solches Gesetz, das Juden und Christen in Israel nicht mehr ermöglichen wurde, über ihre religiösen Bekenntnisse frei und offen miteinander zu diskutieren, könnte nach Umsetzung der Reform nicht mehr vom Obersten Gerichtshof aufgehoben werden, sondern wäre auf Gedeih und Verderb Teil des geltenden Rechts.

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