Die umstrittene Entscheidung des israelischen Premierministers, mitten im Krieg gegen die islamistischen Feinde des jüdischen Staates den Verteidigungsminister zu entlassen, führt zu heftigen Diskussionen.
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat am Dienstagabend Verteidigungsminister Yoav Gallant entlassen und damit demonstriert, dass für ihn politische Überlegungen über militärischen stehen, wie Herb Keinonen in der Jerusalem Post schreibt.
Obwohl es seit Monaten ein offenes Geheimnis ist, dass zwischen Netanjahu und Gallant wenig Vertrauen herrscht und obwohl Netanjahu bereits im Frühjahr des letzten Jahres – also vor dem 7. Oktober – und dann Anfang September 2024 erneut erfolglos versucht hatte, Gallant zu entlassen, ist der Zeitpunkt am Dienstag sowohl erstaunlich als auch aufschlussreich für die Prioritäten des Premierministers.
Entscheidender Zeitpunkt
Der nun geschasste Gallant ist ein ehemaliger General, der für seinen praktischen, sachlichen Sicherheitsansatz bekannt ist und sich durch seine Rolle bei der Leitung der mittlerweile dreizehnmonatigen Gaza-Kriegs öffentlichen Respekt erwarb und enge Beziehungen zu internationalen Verbündeten knüpfte, darunter US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, wodurch er seinen Einfluss auf die Verteidigungspolitik Israels ausbaute. Auch deswegen sei der Schritt Netanjahus erstaunlich, »weil er zu einem entscheidenden Zeitpunkt die wichtigste Verbindung zum Pentagon außer Kraft setzt: die Person, auf die sich Israel bei der Koordinierung seiner Reaktion auf einen möglichen iranischen Angriff verlässt und die das Weiße Haus und Verteidigungsminister Lloyd Austin kennen und der sie vertrauen«.
Ebenso erstaunlich sei, dass mit Israel Katz ein Mann zum Verteidigungsminister ernannt wurde, der erst lernen muss, sich in der riesigen Bürokratie des Verteidigungs- und Militärsektors zurechtzufinden, während das Land einen Krieg führt – und von dem spitze Zungen behaupten, seine einzige Qualifizierung für das Amt sei seine Treue und Loyalität gegenüber Netanjahu. »Katz’ Ansichten stimmen eng mit Netanjahus Strategie überein, sodass seine Ernennung ein Versuch ist, den harten Kurs der Regierung während des Gaza-Kriegs zu festigen und die Stabilität innerhalb der Koalition aufrechtzuerhalten«, schreibt die Jerusalem Post.
Gallants Entlassung schade Israels Sicherheit, meint denn auch Yonah Jeremy Bob, weil der nunmehrige Ex-Verteidigungsminister der einzige bedeutende Militärexperte in der Regierung gewesen sei und zugleich »eine der wenigen Personen, die bereit sind, Netanjahu unbequeme Wahrheiten zu sagen. Wichtige Entscheidungen können jetzt ohne ein echtes Sicherheitsteam oder ein vollständig ausgebildetes Kabinett getroffen werden.«
Die einzige gute Nachricht daran sei, dass Gallants Entlassung erst jetzt erfolge, wo große Erfolge im Krieg gegen die Hamas und die Hisbollah errungen werden konnten, und nicht schon früher, wie Netanjahu es eigentlich vorhatte. Der Premier sei nicht zuletzt eifersüchtig auf den Verteidigungsminister, so Bob weiter, weil dieser durch die Kriegserfolge großes Ansehen genieße. »Trotz all dieser [sich nun ergebenden] Fragezeichen ist es eine Tatsache, dass Netanjahu Gallant so lange im Amt hielt, bis die Hamas und die Hisbollah im Grunde besiegt waren und das Drama mit dem Iran wahrscheinlich kurz vor seinem Ende steht.«
Monatelange Spannungen
Netanjahu und sein Ex-Verteidigungsminister hatten nicht nur gehörige Meinungsverschiedenheiten über die Kriegsführung – so war Gallant flexibler bezüglich eines Abkommens zur Sicherstellung der Rückkehr der Geiseln –, die Angelegenheit bedroht auch Netanjahus politisches Überleben. Der Premier begründete seine Entscheidung, Gallant zu entlassen, mit einer »Vertrauenskrise« und strategischen Differenzen.
Netanjahus Büro wies auf Gallants Einwände gegen die Fortsetzung einer aggressiven Kampagne gegen die Hamas ohne klare politische Ziele für die Zeit nach dem Krieg hin. Der ehemalige Verteidigungsminister hatte Netanjahus Ziel des »absoluten Sieges« kritisiert und dabei argumentiert, dies berge die Gefahr einer Verlängerung des Konflikts, ohne zur Befreiung der israelischen Geiseln beizutragen. Die öffentliche Austragung dieser Meinungsverschiedenheiten soll Netanjahu frustriert haben, der behauptete, sie würden die Feinde Israels ermutigen.
Die Spannungen zwischen Netanjahu und Gallant hatten sich bereits seit Monaten verschärft und verdeutlichen die Risse innerhalb der israelischen Regierung in Bezug auf militärische Taktiken und diplomatische Alternativen. Gallants pragmatische Haltung, die begrenzte diplomatische Bemühungen zur Heimholung von Geiseln priorisierte, kollidierte mit der Ansicht Netanjahus und rechtsextremer Koalitionsmitglieder, die eine rein militärische Lösung bevorzugen. Netanjahus Verbündete betrachteten Gallants Position als Schwächung der Botschaft der Regierung, die Hamas kompromisslos zu bekämpfen und übten Druck auf den Premier aus, den ungeliebten Verteidigungsminister loszuwerden.
Die nunmehrige Entlassung hat diese internen Spaltungen innerhalb der israelischen Regierung zu einem kritischen Zeitpunkt des Gaza-Konflikts offengelegt. Gallants ausgewogene Sichtweise bot einen Gegenpol zu Netanjahus kompromissloser Herangehensweise. Sein Abgang könnte zu einer noch stärkeren militärischen Fokussierung im Gazastreifen führen und die Chancen für diplomatische Bemühungen im Rahmen von Geiselverhandlungen verringern.
Die Entlassung des Verteidigungsministers wirft auch Fragen hinsichtlich der Stabilität innerhalb der Koalition auf, während die Regierung zunehmend wegen ihres Umgangs mit dem Krieg unter die Lupe genommen wird. Diesbezüglich könnte Gallants Abgang zwar zu einer einheitlichen Linie führen, was aber um den Preis erkauft sei, dass rechtsextreme Stimmen in der Regierung zunehmend Einfluss auf die politische Richtung nehmen.
Netanjahus Koalitionspartner
Während Netanjahu die Entlassung von Gallant als Meinungsverschiedenheit über den Krieg darstellte, steht der Zeitpunkt auch in Verbindung mit der Politik und den Bemühungen der ultraorthodoxen Parteien, sicherzustellen, dass Studenten der Talmudschulen nicht eingezogen werden.
In den 48 Stunden vor Gallants Entlassung wurde klar, dass das Gesetz, in dessen Gefolge jegliche finanzielle Sanktionen gegen Ultraorthodoxe (Haredim), die nicht in der Armee dienen, aufgehoben werden sollten, keine Mehrheit zu seiner Verabschiedung finden wird und dass infolgedessen die Haredi-Parteien, auf deren Unterstützung die Regierung angewiesen ist, entweder die Regierung stürzen oder ihre Funktionsfähigkeit nahezu unmöglich machen würden.
In den Tagen zuvor hatte auch Gallant als einer von mehreren Abgeordneten der Regierungskoalition, die eine ähnliche Absicht signalisierten, angedeutet, gegen das Gesetz stimmen zu wollen und forderte die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) auf, 7.000 neue Einberufungsbescheide an ultraorthodoxe Männer zu versenden.
Das ging nicht nur Netanjahus Koalitionspartner aus der Haredi-Bewegung zu weit, sondern auch für den Premierminister selbst. Also habe Netanjahu Gallant entlassen, »womit er die klare Botschaft an die Nation sandte, dass er bereit ist, seinen Verteidigungsminister mitten im Krieg zu entlassen, um sicherzustellen, dass Haredi-Männer nicht dienen müssen. Und dies in einer Zeit, in der Zehntausende Reservisten und Soldaten kämpfen und die Familien der Reservisten unter der Last des verlängerten Einsatzes, der sich seit dem 7. Oktober auf 250 und mehr Tage beläuft, zerbrechen.«
Und das alles nur, so Herb Keinonen in seiner eingangs zitierten Analyse abschließend, »um sicherzustellen, dass seine Regierung überlebt«. Die Frage sei nun, »wie die Öffentlichkeit und diejenigen in seiner Koalition, die die Einberufung von Haredim befürworten, reagieren werden«.