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Israels Justizreform: Die Richter aber … schweigen!

Protest gegen die von der israelischen Regierung geplante Justizreform in Jerusalem
Protest gegen die von der israelischen Regierung geplante Justizreform in Jerusalem (© Imago Images / ZUMA Wire)

Einen Augenblick lang dachte man in Israel, die Opponenten im Kampf um die neue Justizreform würden dem Ruf des Staatspräsidenten Folge leisten und einen Kompromiss ausarbeiten. Einen Augenblick lang. Dann wich die Hoffnung der Realität. 

Am vergangenen Montag fanden im ganzen Land wieder Demonstrationen gegen die geplante Justizreform statt. Knapp 80.000 Menschen strömten nach Jerusalem, umringten das Knesset-Gebäude und skandierten den Schlachtruf »De-mo-kra-tie!«. Es war ein kolossales Schauspiel, das Zusehern die Stärke und Lebenskraft der israelischen Demokratie vor Augen führte.

Dass die Demonstranten große israelische Fahnen schwangen und dergestalt ein wogendes, blau-weißes Meer mit Davidstern entstand, verstärkte den visuellen Eindruck. Die Inszenierung war ein organisatorischer Coup, weil es gelang, die Antijustizreform-Bewegung mit flächendeckender Landesliebe zu assoziieren. Israelische Patrioten, so wurde hier optisch-sinngemäß vermittelt, wären geschlossen gegen die Justizreform.

Im Parlament sah man das ganz anders. Auf der Tagesordnung stand die Verabschiedung von Teilen der Justizreform in erster Lesung – und es ging entsprechend hoch her. Abgeordnete der Opposition sprangen von ihren Sitzen auf, riefen »Schande« und »Verbrecher« und hüllten sich in große israelische Fahnen als Zeichen der Identifikation mit den Demonstranten. Die Vertreter der Regierungspartei hingegen saßen mit versteinerter Miene auf ihren Plätzen und wollten sich partout nicht aus der Ruhe bringen lassen. 

Das bedauerliche Schauspiel im Plenum ging bis spät in die Nacht hinein. Gegen Mitternacht brachte die Regierung dann den neuen Gesetzesentwurf, der unter anderem die Richterauswahl zu verändern sucht, in erster Lesung durch. 

Wie geht es weiter?

Nun fragt man sich, wie es weitergehen wird.  Zwar beteuern alle Parteien, sie seien verhandlungsbereit, aber keine will auch nur einen Millimeter von ihrer Position abweichen. Die Opposition fordert einen sofortigen Stopp des Reformvorgangs, bevor sie sich an den Verhandlungstisch setzt. Die Regierung kontert, es würden ja jetzt noch viele Wochen und sogar Monate bis zur zweiten und dritten Lesung vergehen – Zeit genug also für Verhandlungen. 

Inzwischen bringt der Vorsitzende des Justizausschusses, Simcha Rothman, einen weiteren Teil der geplanten Justizreform zur Initiativberatung ein; die Opposition wütet. Der Konflikt geht also ungebrochen in die nächste Runde. In Wirklichkeit liegt der Mangel an Fortschritt nicht nur an der Sturheit der Konfliktparteien, sondern an der mangelnden Eignung ihrer Anführer.

Auf der Seite der Justizreform-Gegner stehen Oppositionsführer Yair Lapid und Benny Gantz. Sie sind jedoch weder Urheber noch Leiter der Proteste; diese werden nämlich von diversen Privatpersonen organisiert. Zudem repräsentieren Lapid und Gantz jeweils nur einen Teil der parteiübergreifenden Demonstranten und können deshalb nicht für alle sprechen. 

Lapid hat zudem Vertrauen eingebüßt, weil er zu Anfang der Demonstrationen in Urlaub gefahren ist, anstatt sich für die Sache einzusetzen. Gantz gilt als zu kompromissbereit und durchsetzungsschwach. Eine Persönlichkeit, die Verhandlungen führen könnte, hat sich bei den Demonstranten bisher noch nicht herauskristallisiert. 

Auf Regierungsseite hat die Reformbewegung zwei prominente Anführer, Justizminister Jariv Levin und den Vorsteher des Justizausschusses Simcha Rothman. Beide erscheinen gleichermaßen verbohrt und unnachgiebig, obschon vor allem Letzterer immer wieder beteuert zu Kompromissen bereit zu sein. 

Und dann gibt es natürlich auch noch Benjamin Netanjahu, der die Geister auch nicht gerade beschwichtigt. Zwar hat ihm die Generalstaatsanwältin aufgrund von bestehenden Interessenskonflikten verboten, sich in der Causa einzubringen, allerding scheint es, als würde ihm dieses Verbot gar nicht so ungelegen kommen. »Ich darf in der Angelegenheit, die das ganze Land bewegt, ja nichts sagen« beklagt er sich einigermaßen kokett auf Twitter, »wer bin ich denn, doch nur der israelische Ministerpräsident«.

Gleichzeitig schimpft der Premier pauschal auf die Anführer der Demonstrationen, meint, sie würden zur »Anarchie aufrufen« und »zum Blutvergießen auf den Straßen«. Hinzu kommt, dass er von besonders unnachgiebigen Koalitionspartnern selbst unter Druck steht. Kurzum: Aufseiten der Regierung zeichnet sich auch keine verhandlungsfähige Führungsriege ab. 

Wo bleibt die Vernunftstimme der Richter?

Die schier übermenschlichen Anstrengungen von Staatspräsident Jitzchak Herzog, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen und eine weitere Eskalation zu verhindern, konnten bislang also nicht fruchten. 

Mittlerweile steigt die Unruhe und nimmt Einfluss auf die Wirtschaft. Einige Business-Leader ziehen ihre Geschäfte und ihre Gelder aus Israel ab. Das Umfeld, so beteuern sie, sei ihnen zu unsicher. Der israelische Schekel fällt erstmals seit Jahren gegenüber dem Euro und dem Dollar. Eigentlich kontraintuitiv, denn die israelische Wirtschaft ist mit ihrer hohen Wachstumsrate (6,3 Prozent im Jahr 2022) und niedrigen Arbeitslosenquote (4,3 Prozent im Januar 2023) gesund wie ehedem. Experten sind sich einig, dass hier nicht harte Zahlen, sondern Psychologie, Perzeption und Politik im Spiel sind. Das Ergebnis ist jedenfalls bedenklich. 

In dieser Patt-Situation, die dem Land Schaden zufügt, müssten nun die hohen Richter unter Führung der Präsidentin des Obersten Gerichts, Esther Hayut, sprechen. Ihr Handlungsspielraum ist wohl aufgrund ihrer Position eingeschränkt, trotzdem mutet ihr eisernes Schweigen befremdlich an. Zwar hat sich Hayut zu Anfang des Konflikts mit einer feurigen Rede an die Bevölkerung gewandt, jetzt aber lassen sie und ihre Kollegen andere für sich sprechen. Schade, denn gerade, wenn es darum geht, eine vernünftige, gerechte Lösung zu finden, die der Gesellschaft und dem Frieden dient, sollten die hohen Richter klug und beschwichtigend einwirken.

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