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„Israelkritik“ und Graue Wölfe: Auswärtiges Amt auf Abwegen

Andreas Görgen beruft Nurhan Soykan als Beraterin des Auswärtigen Amtes
Andreas Görgen beruft Nurhan Soykan als Beraterin des Auswärtigen Amtes (© Imago Images / Future Image, Mauersberger)

Das deutsche Außenministerium hat die Vize-Vorsitzende eines konservativ-islamischen Dachverbands, dessen größte Mitgliedsorganisation den rechtsextremen Grauen Wölfen zugerechnet wird, als Beraterin berufen. Daran entzündet sich nun deutliche Kritik. Der zuständige Abteilungsleiter im Außenamt war erst unlängst durch fragwürdiges Verhalten aufgefallen.

Seit rund zwei Jahren gibt es im Auswärtigen Amt in Berlin das Referat „Religion und Außenpolitik“, mit dem das „Friedenspotenzial der Religionen“ für die gesellschaftliche Entwicklung besser nutzbar gemacht werden soll. So hat es jedenfalls Andreas Görgen ausgedrückt, der im deutschen Außenministerium die Abteilung für Kultur und Kommunikation leitet.

Zu dieser Abteilung gehört das besagte Referat, das gewissermaßen ein Upgrade des zuvor existierenden Arbeitsstabs zur „Friedensverantwortung der Religionen“ darstellt. Religionen spielten eine wichtige Rolle „für die Erziehung von Menschen zum Frieden und zur Versöhnung“, so Görgen, und sie sind insoweit auch für die Außenpolitik von Belang.

Judentum, Christentum und Islam haben im Referat je einen Vertreter respektive eine Vertreterin, der oder die das Außenamt berät. Nach dem angehenden Rabbiner Markus Feldhake und dem evangelischen Pastor Peter Jörgensen wurde von wenigen Tagen auch Nurhan Soykan berufen, die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD).

Anders, als es der Name dieser Organisation vermuten lässt, vertritt der Zentralrat allerdings nur rund 20.000 der etwa 4,5 Millionen Muslime, die in Deutschland leben. Das sind 0,4 Prozent.Dennoch präsentiert sich der Verband gerne als das Sprachrohr der Muslime und wird umgekehrt von der Bundesregierung auch für repräsentativer gehalten, als er es ist.

Der ZMD steht, um es zurückhaltend zu formulieren, für einen äußerst konservativen Islam. Zum Rat gehören beispielsweise die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG), die bis 2018 noch als Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) firmierte. Sie ist, wenn man dem neuesten Verfassungsschutzbericht folgt, der unlängst veröffentlicht wurde, die zentrale Organisation der islamistischen und antisemitischen Muslimbruderschaft in Deutschland.

Das größte Mitglied im Zentralrat steht Rechtsextremen nahe

Auch der größte Mitgliedsverband des Zentralrats, die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib), taucht in diesem Bericht erstmals auf. Denn das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnet ihn den rechtsextremen, türkisch-nationalistischen Grauen Wölfen zu.

Im Jahr 1987 entstand die Atib als Abspaltung der Auslandsvertretung der Grauen Wölfe, der Verband ist zudem ein Gründungsmitglied des ZMD. Er bestreitet zwar die Verbindung zu den türkischen Rechtsextremisten, doch die Zuordnung zu ihnen ist politisch angemessen und nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts München vom Mai 2019 auch rechtmäßig.

Zwar gebe die Atib an, sich „für die Völkerverständigung und Akzeptanz der unterschiedlichen Kulturen einzusetzen“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Doch in Wirklichkeit wurzle die Organisation „in der ‚Ülkücü‘-Ideologie, die eine Überhöhung des Türkentums vertritt und von einem ausgeprägten Freund-Feind-Denken geprägt ist, das zu systematischer Abwertung anderer Volksgruppen oder Religionen, insbesondere der Kurden und des Judentums, führt“.

Die Atib erzeuge „eine desintegrative Wirkung“ und fördere „einen türkischen Nationalismus mit rechtsextremistischen Einflüssen“.

Im Ministerium von Heiko Maas arbeitet mit Nurhan Soykan nun also in beratender Funktion eine Frau, die zwar nicht selbst einem der Mitgliedsverbände des Zentralrats der Muslime in Deutschland angehört, als ZMD-Vize aber für den Rat und die an ihm beteiligten Organisationen steht, spricht, handelt und mitverantwortlich ist. Prompt gab es dann auch deutliche Kritik an dieser Personalie, und zwar aus unterschiedlichen politischen Lagern.

Union und Linke einig: Soykan kann keine Partnerin sein

So sagte beispielsweise Christoph de Vries, Berichterstatter für Religionsgemeinschaften der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gegenüber Welt Online: „Eine Organisation, die verfassungsfeindliche Kräfte in ihren Reihen duldet, kann nicht Partner unseres Staates sein, und ihre Spitzenfunktionäre können auch nicht im Dienste unseres Staates tätig sein.“Die Sorglosigkeit des Außenamtes im Umgang mit Islamismus und Nationalismus beunruhige ihn.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, äußerte sich ähnlich. „Wer Rechtsextremismus und Nationalismus in seinen Reihen duldet, kann nicht Partner des deutschen Staates sein“, erklärte er.

Auch die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, kritisierte laut Welt Online die Berufung Soykans: „Dass die Vertreterin eines Vereins, der zahlreiche Faschisten zu seinen Mitgliedern zählt, von der Bundesregierung zur Beraterin geadelt wird, ist hochgradig empörend.“ Brüskiert würden dadurch Exil-Oppositionelle mit türkischen Wurzeln, aber auch diejenigen Muslime in Deutschland, „die sich nicht durch die im Zentralrat der Muslime anzutreffende Allianz aus Muslimbrüdern und faschistischen Grauen Wölfen vertreten sehen“.

Gegen Israel und die Armenien-Resolution

Soykan selbst war in der Vergangenheit mehrfach mit äußerst kritikwürdigen Äußerungen aufgefallen. So spielte sie beispielsweise vor sechs Jahren in einem Interview von Deutschlandfunk Kultur, in dem es um die alljährlichen Aufmärsche am „Al-Quds-Tag“ ging, den hasserfüllten Antisemitismus der Teilnehmer dieser Manifestationen herunter: Es werde „leider vieles durcheinandergeworfen“, und der Zentralrat habe sich „immer davon distanziert, Juden allgemein anzugreifen und zu beleidigen“, sagte sie zunächst pflichtschuldig. Dann aber machte sie ihre eigentliche Botschaft deutlich.

Es müsse „auch möglich sein, die israelische Politik genauso wie die Politik anderer Länder kritisieren zu dürfen“, betonte sie – so, als hätte das jemand verboten und als ginge es am Al-Quds-Tag um Kritik und nicht um Hass auf Juden.

Bei Jugendlichen sei „natürlich nicht so die Reife da, zu trennen und das wirklich nur auf die Politik zu beziehen“, beschwichtigte sie. Aber man solle „auch nicht so einseitig Partei für die israelische Lobby ergreifen“ und außerdem „die Jugendlichen ernst nehmen mit ihren Sorgen und ihrer Trauer“ und ihnen „eine Gelegenheit geben“, sich „Luft zu machen“ und „ihren Ärger zu zeigen“.

Für den Antisemitismus der Demonstranten hatte Nurhan Soykan also viel Verständnis, im Gegensatz zur Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages vor vier Jahren. Mit dieser Resolution stufte das deutsche Parlament die Massaker, die ab 1915 im seinerzeitigen Osmanischen Reich an den Armeniern begangen worden waren, als Völkermord ein.

Türkische Nationalisten reagierten darauf mit Drohungen und blankem Hass. So weit ging die ZMD-Funktionärin Soykan nicht, doch auch sie lehnte den Beschluss deutlich ab und stärkte damit den Nationalisten den Rücken.

Keine Naivität, sondern Mittäterschaft

Auf der Gründungsversammlung des CDU-Arbeitskreises „Muslime in der Union“ sagte sie, die Resolution habe das Vertrauen vieler türkischstämmiger Menschen in die deutsche Politik und besonders in die türkischstämmigen Abgeordneten geschwächt, die dem Beschluss zugestimmt hatten.

Das sei eine öffentliche Diskreditierung dieser Parlamentarier gewesen, findet Berivan Aymaz, in der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion der Grünen das Amt der Sprecherin für Integration und Internationales bekleidet. Viele dieser Abgeordneten hätten nach Drohungen türkischer Nationalisten unter Schutz gestellt werden müssen.

„Mit dieser Personalie setzt das Auswärtige Amt nun ein mehr als fragwürdiges Zeichen“, kritisierte Aymaz gegenüber Welt Online. Und dies sei umso mehr der Fall, als der Zentralrat der Muslime in Deutschland sich weigere, Stellung zu Atib zu beziehen. Bislang hatte der ZMD nach der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes lediglich angekündigt, einen unabhängigen Wissenschaftler untersuchen zu lassen, „inwiefern die Behauptungen einer Verbindung zu den sogenannten Grauen Wölfen und weiteren rechtsextremen Kreisen zutreffend sind“.

„Ich denke, wir müssen dazu übergehen, die Haltung der Bundesregierung zu Organisationen des politischen Islam grundlegend anders zu bewerten“, twitterte die deutsch-türkisch-kurdische Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ateş. „Das ist keine Naivität mehr, das ist Mittäterschaft. Benennen wir es so.“

Der zuständige Abteilungsleiter Andreas Görgen hatte bereits im Mai von sich reden gemacht, als er sich in der Debatte über den „israelkritischen“ kamerunischen Philosophen Achille Mbembe auf dessen Seite geschlagen hatte. Die höchst fragwürdige Berufung von Nurhan Soykan erscheint da nur folgerichtig.

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