Israelischer Paradigmenwechsel führt zu geänderter Strategie gegenüber Iran

Die jüngsten Tötungen im Iran könnten auf einen bemerkenswerten Wechsel in der israelischen Strategie hindeuten. Durch eine Änderung der Einsatzregeln werden Irans Aktivitäten nun auch auf dessen Territorium bekämpft.

Jonathan Spyer

Die Tötung von Hassan Sayad Khodaei, Oberst des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC), am 22. Mai vor seinem Haus in Teheran scheint eine bedeutende Veränderung in Israels Strategie gegenüber dem Iran widerzuspiegeln.

In der Vergangenheit waren die Bemühungen, die der jüdische Staat auf iranischem Boden unternommen haben soll, auf Personal und Einrichtungen im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm gerichtet. Nun scheint Jerusalem jedoch den Umfang seiner Operationen gegen die Islamische Republik ausgeweitet zu haben.

So hatte Khodaei keine bekannte Verbindung zum Atomprogramm. Stattdessen war er einer der erfahrensten Angehörigen der Spezialeinheit der IRGC, der im Ausland tätigen Quds Force.

Khodaei war ein ranghoher Befehlshaber der »Einheit 840« der Quds Force, die für externe Operationen wie Entführungen und Attentate zuständig ist. Er spielte auch eine wichtige Rolle bei der Weitergabe von Drohnen- und Raketentechnologie an die libanesische Hisbollah, Teherans wichtigstem regionalen Stellvertreter. Israelischen Medienberichten zufolge war Khodaei zum Zeitpunkt seines Ablebens außerdem an einem Plan zur Entführung von Israelis im Ausland beteiligt.

Zweiter solcher Schlag

Die Tötung des Quds-Einheit-Offiziers war die zweite bekannte Operation, die Israel auf iranischem Boden gegen ein Ziel, das nichts mit dem Atomprogramm Teherans zu tun hat, zugeschrieben wird. Die erste war ein Angriff auf einen Luftwaffenstützpunkt in Kermanshah Mitte Februar, bei dem die iranische Drohnenflotte zerstört wurde.

Israelische Operationen auf iranischem Boden sind bekanntlich keine Seltenheit. Dazu gehörten in den letzten Jahren der Diebstahl des iranischen Atomarchivs im Jahr 2018, die Tötung mehrerer Wissenschaftler, die mit dem Atomprogramm in Verbindung stehen, und wahrscheinlich auch Sabotageakte gegen Nuklearanlagen wie die Explosion im Urananreicherungskomplex in Natanz im Dezember 2021.

Diese Aktionen deuten darauf hin, dass es Israel gelungen ist, die Verteidigungsanlagen des Iran gründlich zu infiltrieren. Ganz allgemein hat Israel in den letzten Jahren einen Schattenkrieg gegen die iranischen Bemühungen um einen Machtausbau im gesamten Nahen Osten geführt. Die israelische Luftwaffe hat die iranische Infrastruktur in Syrien aktiv gestört und beschädigt. Einzelne Angriffe haben in Syrien und wahrscheinlich auch im Libanon stattgefunden, und auch im Irak haben israelische Flugzeuge zugeschlagen.

Die israelischen Maßnahmen gegen iranische Bestrebungen zur Ausdehnung seiner Macht in den schlecht regierten Gebieten der Levante und des Irak waren zahlreich. Und eine Kampagne auf iranischem Boden zur Unterbrechung nuklearer Aktivitäten gibt es schon lange. Die Ausweitung der israelischen Kampagne gegen die nicht-nuklearen subversiven Aktivitäten des Irans auf iranischem Boden ist jedoch eine neue Entwicklung und eine bedeutende Eskalation.

Paradigmenwechsel

Erstens ist eine solche Änderung nicht bloß taktischer Natur – und die Entscheidung dafür wäre nicht auf professioneller operativer Ebene getroffen worden: Derartige Operationen müssen vom Premierminister abgesegnet werden.

In den letzten Jahren hat sich in Israel die Auffassung durchgesetzt, dass das iranische Atomprogramm nicht losgelöst von Teherans breiter angelegter Strategie zur Erringung einer regionalen Vorherrschaft betrachtet werden kann. Der scheidende Premierminister Naftali Bennett hat diese Ansicht lange Zeit offen unterstützt.

Während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister des damaligen Premierministers Benjamin Netanjahu im Februar 2020 sagte Bennett gegenüber israelischen Reportern:

»Wenn die Tentakel des Oktopus dich treffen, musst Du Dich nicht nur gegen die Tentakel wehren, sondern auch dafür sorgen, dass der Kopf der Krake abgeschlagen wird, und das Gleiche gilt für den Iran.

Jahrelang haben wir gegen die iranischen Tentakel im Libanon, in Syrien und im Gaza-Streifen gekämpft, aber wir haben uns nicht genug darauf konzentriert, den Iran selbst zu schwächen. Deshalb ändern wir jetzt das Paradigma.«

Im Juni 2020 richteten die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) das Direktorat für Strategie und den dritten Kreis ein, ein Gremium, das die Aufgabe hat, eine umfassende Sicht der iranischen Bedrohung zu formulieren. Das ausdrückliche Ziel des Direktorats ist es, eine Engfassung der iranischen Bedrohung zu vermeiden und stattdessen alle Aspekte der Bedrohung als miteinander verbunden zu betrachten.

Dieser Ansatz wird nun auch auf den operativen Bereich ausgedehnt. Nach israelischer Auffassung verfolgt der Iran ein umfassendes strategisches Ziel, das darauf abzielt, Teheran zur dominierenden Macht im Nahen Osten aufsteigen zu lassen. Die Vernichtung Israels ist ein entscheidendes Element dieser Strategie.

Dieses Vorhaben wird nicht durch den Einsatz von konventionellen Streitkräften geführt. Stattdessen konzentriert sich der Iran auf politische und durch Stellvertreter ausgeführte militärische Aktivitäten, auf Investitionen in das ballistische Raketenprogramm und auf die Entwicklung einer nuklearen Kapazität als Versicherungspolice für die beiden anderen Elemente. Der jüdische Staat ist seinerseits dabei, eine umfassende Antwort zu formulieren und umzusetzen.

Bedeutende Veränderung

Eine Gegenentwicklung zu Teherans Politik durch eine Vertiefung der israelischen Beziehungen zu den den Iran umgebenden Staaten, darunter Aserbaidschan im Norden und die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Saudi-Arabien im Südwesten, ist Teil dieses Ansatzes. Die Unterstellung Israels unter das U.S. Central Command (CENTCOM) bietet die Möglichkeit, diese wachsenden Verbindungen in Schlüsselbereichen wie der Luftverteidigung zu operationalisieren.

Es hat eine bemerkenswerte Änderung der Einsatzregeln stattgefunden, bei der nun die Gesamtheit der iranischen Aktionen bekämpft wird – auch auf iranischem Boden. Der Angriff auf die Drohnen-Flotte in Kermanshah und die Tötung von Oberst Khodaei in Teheran waren die ersten Manifestationen dieses neuen Ansatzes.

Dies ist kein strategischer Richtungswechsel Israels, sondern eine deutliche Ausweitung der Palette seiner Ziele und vielleicht auch eine Erweiterung seines Verständnisses für die Art der iranischen Herausforderung. Seit dem Tod von Hassan Sayad Khodaei gab es einige weitere verdächtige Todesfälle von wichtigen Persönlichkeiten innerhalb des iranischen Sicherheitsapparats, wenn auch keine von ihnen so hochrangig war wie er.

Da ein Regierungswechsel in Israel mittlerweile beschlossene Sache ist, wird es interessant sein zu sehen, ob diese bedeutende Veränderung in der kommenden Zeit ihre Fortsetzung erfahren wird.

Jonathan Spyer ist Autor von Days of the Fall: A Reporter’s Journey in the Syria and Iraq Wars und The Transforming Fire: the Rise of the Israel-Islamist Conflict. Er schreibt regelmäßig für Jane’s Intelligence Review und publiziert in führenden Fachzeitschriften und Medien, darunter:Middle East Quarterly, The Times (of London), Foreign Policy, The Wall Street Journal und The Guardian. Jonathan Spyer ist außerdem Fellow des Middle East Forum. Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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