In einem Interview berichtete Sapir Cohen von ihrer Entführung, ihrer Gefangenschaft, der Angst vor sexuellen Übergriffen – und von ihrer Begegnung mit Hamas-Führer Yhaya Sinwar.
Tal Ariel Yakir
Fünfundfünfzig quälende Tage lang war Sapir Cohen in den Händen der Hamas in Gaza gefangen. Ihr Leidensweg begann mit ihrer Entführung aus dem Kibbuz Nir Oz am 7. Oktober und endete mit ihrer Freilassung im Rahmen eines Tauschs israelischer Geiseln gegen palästinensische Terroristen am 30. November 2023. Sie wurde gemeinsam mit ihrem Partner Alex Trufanov, der sich noch immer in den Händen des Palästinensischen Islamischen Dschihad befindet, entführt.
In einem Interview mit der Zeitung Israel Hayom erzählte Cohen von ihrer Entführung, ihrer Gefangenschaft in Tunneln und Häusern von Hamas-Aktivisten, von der ständigen Angst vor sexuellen Übergriffen, aber auch von der Hoffnung, die sie aus den Demonstrationen für die Freilassung der Geiseln schöpfte.
Am erschreckendsten ist vielleicht ihr Bericht über ein unerwartetes und beängstigendes Gespräch mit keinem Geringeren als Yahya Sinwar, dem Hamas-Führer in Gaza. »Am 51. Tag [der Geiselhaft] kam ein Mann, der ein hohes Tier zu sein schien, und teilte Sahar Calderon und Or Yaakov, meinen Mitgefangenen, mit, dass sie am nächsten Tag freigelassen würden. Dann wandte er sich an mich und sagte, auch ich würde freigelassen werden. Einer der Gefangenen erwähnte, dass ich über achtzehn Jahre alt sei, woraufhin Sinwar mich fragte, ob ich Soldatin sei. Als ich dies verneinte, erkundigte er sich nach meinem Militärdienst. Ich spürte, wie mein Gesicht rot wurde und mir die Worte fehlten.«
Sie habe versucht, sich an das zu erinnern, was sie ihren »Entführern während des ersten Verhörs gesagt hatte, nämlich dass ich in der Kirya [militärisches Hauptquartier in Tel Aviv] als Angestellte gearbeitet hatte. Er fragte mich, ob ich in der Reserve gedient hätte, und als ich erneut verneinte, drehte er sich um und ging.«
Erst nach ihrer Rückkehr nach Israel sei ihr die Identität des Mannes klar geworden: »Es war Yahya Sinwar selbst, der Hamas-Führer in Gaza.« Auf die Frage, was sie Sinwar gesagt hätte, hätte sie ihn erkannt, antwortete Cohen: »Ich hätte gar nichts gefragt.«
Der Schwächen bewusst
In den vergangenen Wochen wandte sich Sapir Cohen an jüdische Gemeinden in aller Welt, darunter jene Teile der Öffentlichkeit, die ein Abkommen über die Freilassung von Geiseln gegen einen Waffenstillstand und die Entlassung von Terroristen ablehnen. »Während meiner Gefangenschaft forderte mich einer meiner Geiselnehmer auf, einen Al-Jazeera-Bericht zu sehen, als dort Aufnahmen vom ›Platz der Geiseln‹ [in Tel Aviv, wo Proteste für die Freilassung der Geiseln stattfinden] gezeigt wurden«, erinnerte sie sich. »Ich sah Zehntausende von Israelis, die ein gemeinsames Ziel hatten, und das erfüllte mich mit Hoffnung.«
Der Entführer habe gelächelt, zwei Fäuste gebildet und gesagt: »Wenn alle Juden so sind, ist das stark, sehr stark. Wir warten ein bisschen, dann herrscht Chaos unter euch.« In diesem Moment habe sie verstanden, »dass sie sich unserer Schwachstellen sehr bewusst sind und wissen, dass unsere größte Bedrohung von innen kommt«.
Das hieße nicht, dass Israel und die Juden deshalb alle dieselben Meinungen teilen müssten, »aber wir müssen uns gegenseitig respektieren, Toleranz üben und uns daran erinnern, dass wir alle eine Familie sind. Wir können es uns nicht leisten, gleichgültig gegenüber Menschenleben zu sein und müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um Alex und die übrigen Geiseln zurückzubringen«, sagte Cohen denjenigen, die einem Geiseldeal mit der Hamas skeptisch gegenüberstehen.
»Die Tunnel in Gaza sind viel schmaler und dunkler, alles ist voller Feuchtigkeit, Schimmel und Gestank. Man kann sich nicht wirklich ein Bild davon machen, wie es darin aussieht«, erzählte sie. »Der Anfang war sehr schwierig. Ich habe mich immer wieder gefragt: ›Gott, warum hast du mir das angetan?‹« Es habe Momente gegeben, in denen sie Essensreste vom Boden aufsammeln oder mit zehn Hamas-Agenten in einem Raum schlafen musste: »Ich hatte Angst, dass sie mir etwas antun würden, und ich hatte Angst vor den vielen Explosionen, die ich hörte, ohne zu wissen, woher sie kamen.«
Man könne nicht zulassen, dass die sich noch in Gaza befindlichen Geiseln »aus unseren Augen und aus unserem Sinn sind. Wenn wir den falschen Weg wählen, riskieren wir noch größere Tragödien. Während man von der Zerschlagung der Hamas spricht, scheinen wir uns auf die Zerschlagung der Einheit Israels selbst zuzubewegen«, zeichnete Sapir Cohen ein düsteres Bild.
Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)