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Israelisch-polnischer Streit: „Polen saugen Antisemitismus mit der Muttermilch auf“

Israelisch-polnischer Streit: „Polen saugen Antisemitismus mit der Muttermilch auf“Israel ist um gute Beziehungen zu den Ländern im ehemaligen Osteuropa bemüht. Wie ein jüngst erneut aufgebrandeter Streit mit der polnischen Regierung zeigt, bergen die mit dem politischen Rechtsruck in einigen dieser Länder einhergehenden geschichtspolitischen Kurswechsel das Potential, diese Bemühungen zunichte zu machen.

Anfang vergangenen Jahres führte Polen eine Strafvorschrift ein, nach der das Verwenden des ahistorischen Ausdrucks „polnische Todeslager“ für deutsche Vernichtungslager unter Strafe gestellt wird. Ebenfalls unter Strafe gestellt ist es, Polen die Verantwortung oder eine Mitverantwortung am Holocaust zuzuschreiben. Die betroffene Person hätte mit einer Geldstrafe oder gar einer dreijährigen Haft rechnen müssen, so der vormalige Beschluss.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu entsandte daraufhin eine Botschafterin nach Polen, um sich mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zu treffen und gegen die Gesetzesänderung Einspruch zu erheben. „Das Gesetz ist unangemessen, ich lehne es strikt ab“, sagte Netanjahu. „Man kann die Geschichte nicht ändern, und der Holocaust kann nicht geleugnet werden.“ Nicht nur in Israel wurde befürchtet, dass die Rolle, die Polen während der Zeit der Nazi Besatzung gespielt hat, und die von Polen begangenen Verbrechen gegen Juden heruntergespielt oder gar geleugnet werden könnten.

Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem äußerte sich kritisch: „Die Vernichtungslager wurden im besetzten Polen von Nazideutschland errichtet, mit dem Ziel, die Juden im Rahmen der ‚Endlösung‘ zu ermorden“. Das geplante Gesetz könne „zur Vertuschung der historischen Wahrheit führen, dass die Deutschen während des Holocaust Unterstützung von der polnischen Bevölkerung erhielten“.

Zu den Kritikern zählte auch der polnisch-amerikanische Historiker Tomasz Gross, der in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch „Nachbarn“ das Judenpogrom im Jahr 1941 im ostpolnischen Dorf Jedwabne behandelt. An diesem Pogrom waren vor allem polnische Dorfbewohner beteilig. Gross, der mit seinem Buch die wahrscheinlich größte intellektuelle Debatte der polnischen Nachkriegszeit auslöste, weist mit seinem Werk nach, dass auch Polen sich an der Ermordung von Juden beteiligten.

Nach dem Inkrafttreten der Strafvorschrift prüfte ein Gericht das Gesetz auf seine Rechtmäßigkeit, aufgrund der internationalen Kritik schwächte Polen das Gesetz schließlich überraschend im Sommer 2018 ab und strich die dreijährige Haftstrafe. Ministerpräsident Morawiecki verteidigte das dennoch das Gesetz, dessen Ziel „der Kampf um die Wahrheit in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit“ bleibe.


Neuauflage des Streits

Der Streit über das Gesetz war mit dessen Abschwächung freilich nicht beigelegt und flammte in den vergangenen Wochen anlässlich eines Interviews neu auf, das Israels Premier im Zuge eines Besuchs des Museums für die Geschichte polnischer Juden in Warschau gegeben hat – und in dem er, wie umgehend von offizieller Seite festgestellt wurde, von Haaretz und Jerusalem Post falsch zitiert worden sei. Angeblich soll er gesagt haben: „Die Polen haben sicherlich mit den Nazis zusammengearbeitet“, doch das wurde sowohl seitens der israelischen Botschaft als auch aus dem Büro Netanjahus umgehend dementiert: Der Ministerpräsident habe nur von „einzelnen Polen gesprochen und nicht von dem polnischen Volk oder dem Land Polen.“

Dieser Versuch, die Wogen zu glätten, scheiterte allerdings daran, dass sich auch der frisch gebackene israelische Außenminister Israel Katz zur Wort meldete. In einem Gespräch mit dem israelischen Kanal 13 sagte er: „Ich bin der Sohn von Holocaust-Überlebenden, wurde in eine Gemeinschaft von Holocaust-Überlebenden hineingeboren und bin darin aufgewachsen.“ In der Erinnerung an den Massenmord könne es keine Kompromisse geben, die Geschichte sei eindeutig und „wir werden weder vergeben noch vergessen“. Bei aller Bemühung um diplomatische Höflichkeiten dürfte die historische Wahrheit nicht verändert werden. „Polen kollaborierten mit den Nazis, defintiv. Wie der [frühere Premierminister] Jitzchak Schamir sagte: Sie saugen Antisemitismus mit der Muttermilch auf“.

Die polnische Reaktion auf diese Bemerkungen ließ nicht lange auf sich warten. Ministerpräsident Morawiecki sagte prompt seine geplante Reise nach Israel ab, wo ein Gipfeltreffen der sogenannten Visegrad-Staaten und Israels stattfinden hätte sollen. Nach Morawieckis Absage einigte man sich darauf, das Treffen vorerst ganz abzublasen und zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, etwa wenn Tschechien den Vorsitz der Gruppe übernimmt.


Die Bemühungen stoßen auf Grenzen

Unter prominenten Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinde in Polen herrschte alles andere als Freude über das erneute polnisch-israelische Zerwürfnis. In verschiedenen Stellungnahmen wurde um einen „sensibleren“ Umgang mit dem polnischen Volk und um das Unterlassen von „Diffamierungen“ ersucht. Rabbiner Avi Baumol, ein aus den USA stammender Israeli, der in der jüdischen Gemeinde in Krakau arbeitet, äußerte sich auf seiner Facebook-Seite wie folgt: „Ich habe in Polen viele außergewöhnliche nichtjüdische Polen getroffen, die mich jeden Tag dazu inspirieren, Klischees und Vorurteile abzulegen. Ich hoffe, dass die von mir gewählten Vertreter [Israels] dasselbe tun“.

Der polnische Oberrabbiner Michael Schudrich, der wie Baumol ebenfalls in der USA geboren wurde, sagte, die Pflege der gegenwärtigen jüdischen Gemeinde und die Beziehung zur polnischen Regierung seien sehr wichtig. Rabbi Schudrich und Monika Krawczyk, beide Vorsitzende des Vorstands der Union der jüdischen Religionsgemeinschaften in Polen, schrieben in einem Brief, dass Katzs Worte ihnen als in Polen lebenden Juden geschadet hätten. „Es ist eine Tatsache, dass einige Polen entweder aktiv oder passiv an den Mordaktionen der Nazis gegen die Juden teilgenommen haben, aber wir erinnern uns auch daran, dass die polnische Regierung nicht offiziell mit dem Dritten Reich zusammengearbeitet hat“.

Inwieweit derartige Stellungnahmen Netanjahu und Katz wirklich tangieren, ist mehr fraglich. Fest steht, dass Polen, vor allem seit der Machtübernahme der rechten PiS Partei einen Rechtsruck vollzogen hat. Zwar stimmt selbstverständlich, dass es keine „polnischen Todeslager“ gegeben hat, sondern es sich um deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager handelte. Doch man muss nicht erst das Interviewmaterial aus Claude Lanzmanns Dokumentation „Shoah“ kennen, um zu wissen, dass sich durchaus einige Polen an der Judenvernichtung beteiligt haben. Bei diesem Thema stoßen die Bemühungen um gute Beziehungen zwischen Israel und Polen offenkundig immer wieder an ihre Grenzen.

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