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Israel zwischen Rumoren und Vermittlung

Proteste gegen die Justizreform in Israel
Proteste gegen die Justizreform in Israel (© Imago Images / ZUMA Wire)

In Israel wird nach wie vor gegen die geplante Justizreform protestiert. Und während beim Likud Bewegung zu beobachten ist, glaubt Präsident Herzog, mit einer Lösung aufwarten zu können.

Am neunten aufeinanderfolgenden Protestwochenende kamen so viele Bürger wie noch nie zusammen. In rund hundert Städten des Landes fanden Kundgebungen gegen die Justizreform statt, wobei die Proteste großteils weiterhin friedlich verliefen. Nur an wenigen Punkten kam es sowohl während eines Wochentags als auch am Wochenende zu Zusammenstößen mit der Polizei, die laut den meisten Medien auf ein forscheres Vorgehen der Polizei zurückzuführen waren.

Obwohl sich kürzlich hundertzwanzig Akademiker einer von Israel-Preisträger Robert Yisrael Aumann initiierten Petition anschlossen, die für eine Umsetzung der geplanten Justizreform plädiert, greift in Israel so langsam das Gefühl um sich, dass längst nicht mehr eine hartgesottene Opposition auf die Straße geht. Das legen sowohl die meisten Umfragen nahe wie auch eine vom Israel Democracy Institute in Auftrag gegebene Studie, die im Gegensatz zu anderen Erhebungen verschiedene Teilbereiche in der Tiefe zu evaluieren versuchte. 

Die Studie kommt zum Ergebnis, dass inzwischen die Mehrheit der Befragten die Justizreform nicht in der geplanten Fassung umgesetzt wissen will. Der Prozentsatz derjenigen, die sich rundweg dagegen aussprechen, liegt bei Wählern der Oppositionsparteien in vielen Teilaspekten bei fast 90 Prozent. Weiterführend stellte sich heraus, dass sich ebenfalls ein nicht unerheblicher Anteil der Wähler jener Parteien, die Benjamin Netanjahu zu einer Koalition zusammenführte, gegen die Reform ausspricht, sollten die Eingriffe tatsächlich in der massiven Form wie geplant umgesetzt werden. 

Daher darf nicht verwundern, dass sogar ein Likud-Urgestein wie Limor Livnat, die unter den Likud-Ministerpräsidenten Ariel Sharon, Ehud Olmert und Benjamin Netanjahu mehrfach Ministerin war, auf der zentralen Kundgebung in Tel Aviv die geplante Reform als »Regimewechsel« bezeichnete und vor allem darauf pochte, es sei an der Zeit, dass ihre Parteimitglieder nicht länger zu den Vorgängen schweigen.

Neuer Wind in den Likud-Reihen?

Nur wenige Tage zuvor brachen zwei Likud-Abgeordnete, Yuli Edelstein und Danny Danon, tatsächlich ihr Schweigen zur geplanten Justizreform. Zusammen mit drei weiteren Parlamentariern forderten sie, dem Aufruf zum Dialog von Staatspräsident Herzog zu folgen, um einen Kompromiss zu finden und »die Gefahr des Zerfalls zu stoppen, der unserer Gesellschaft und unserem Land droht«.

Edelstein, der im Sommer 2022 kurzzeitig damit liebäugelte, gegen Netanjahu anzutreten und für den Posten des Likud-Vorsitzenden zu kandidieren und seitdem vom Kreis der eingeschworenen Bibi-Getreuen geschnitten wird, ging nach dem Wochenende noch einen Schritt weiter. Als erster Likud-Abgeordneter sagte er gegenüber der Presse, dass die Reform in ihrer radikalen Fassung ausgesetzt werden müsse. Er meinte zudem, nicht zu verstehen, warum mit so großer Hast vorgegangen werde und fügte außerdem hinzu, weitere Likud-Abgeordnete würden seine Ansichten teilen.

Koalition im Wanken?

Dass an der Koalition gezerrt wird, ist nicht neu. Neu ist auch nicht, dass der Likud-Abgeordnete David Bitan laut über das Schicksal der Koalition sinniert. Bitan, der selbst einem ungewissen Schicksal entgegenblickt, da er wegen Bestechung, Betrug und Untreue während seiner Amtszeit als stellvertretender Bürgermeister von Rishon LeZion angeklagt ist, äußerte erst kürzlich zum wiederholten Mal: Diese »homogene Koalition«, die um die »Unterstützung einer ideologisch gleichgesinnten Wählerschaft kämpft«, würde wegen interner Machtkämpfe sowieso nicht bis zum nächsten Wahltermin durchhalten; eine genauere zeitliche Eingrenzung wagte er allerdings nicht.

Zwischenzeitlich meinte Bitan zudem, sollte kein gemeinsamer Kompromiss gefunden werden, wäre der Likud schlichtweg gezwungen, eigenhändig die Inhalte der Reform abzuschwächen. Dann mag Netanjahu zwar dieses Problem los sein, doch zweifelsohne würde sofort ein anderer Albtraum beginnen. Schließlich kündigte Justizminister Yariv Levin bereits seinen Rücktritt an, sollte die Reform nicht in der von ihm ausgearbeiteten Fassung umgesetzt werden. Dass dies der Anfang vom Ende der Koalition wäre, bezweifelt in Israel keiner mehr.

Auch aus anderer Richtung kommen Meldungen, dass der Likud intern in Bewegung geraten ist. Der Abgeordnete der Opposition Chili Tropper (Nationale Einheit) gab gegenüber der Presse an, hochrangige Likud-Abgeordnete hätten den Wunsch kommuniziert, seine Partei solle sich der Koalition anschließen. Mit dieser gegenwärtig zwölf Knesset-Mandate einbringenden Partei unter Leitung der Ex-Generalstabschefs Benny Gantz und Gadi Eizenkot, die den Ex-Likudnik Gideon Sa’ar zur Seite haben, könnte der Likud dann auf die Religiösen Zionisten und Otzmah Yehudit (Jüdische Stärke) verzichten.

Tropper rief die schlechten Erfahrungen seiner Partei in einer dem Likud unterstehenden Koalition in Erinnerung. So setzte Netanjahu schon 2020 lieber auf Neuwahlen, als Gantz die vereinbarte Rotation ins Ministerpräsidentenamt antreten zu lassen. Das würde seine Partei, so Tropper, davon abhalten, dem Wunsch zu entsprechen, den einige Likud-Abgeordnete geäußert hätten. Wie dem auch sei, auf jeden Fall hängt der flehende Satz, den die laut Tropper namhaften Likud-Abgeordneten ausgesprochen haben sollen, in der Luft: »Rettet uns vor der Regierung, die wir zusammengestellt haben.«

Präsidialer Aufruf zum Dialog

In dieses hausgemachte Schlamassel, das übrigens vor allem die arabische Welt sehr genau verfolgt, platzte am 6. März eine Mitteilung von Präsident Isaac Herzog, die nicht nur die Kurse an der Tel Aviver Börse hochschnellen und die Landeswährung wieder etwas an Boden gewinnen ließ, sondern auch für ein kurzes Innehalten im ganzen Land sorgte: Israel sei »näher als je zuvor« an einer Kompromissvereinbarung in Sachen Justizreform, erklärte der Präsident. 

Herzog, dessen erster Aufruf zur Aufnahme eines Dialogs unbeantwortet in der Luft hängen blieb, machte seine Ausführung vor hundert geladenen Bürgermeistern und Vorsitzenden von Regionalverwaltungen, um für die Unterstützung seines Vermittlungsvorstoßes zu werben. Nur wenig ist bislang im Detail bekannt, doch laut Medienangaben soll Herzog zu allen Punkten der Justizreform hinter verschlossenen Türen Diskussionen mit Experten des gesamten relevanten professionellen wie auch politischen Spektrums geführt haben. 

Vorerst sickerte lediglich durch, dass Vertreter des Kohelet Policy Forum an den Diskussionen beteiligt sein sollen. Das ließ in Israel viele aufhorchen, die erst in den vergangenen Wochen durch Medienrecherchen erfahren haben, dass diese rechtskonservative Nichtregierungsorganisation – die stark in amerikanisch-konservativen Kreisen verwurzelt ist und von diesen finanziell gestützt wird – nicht nur massiv in die aktive Politik der israelischen Rechtskonservativen involviert sein soll, sondern diesem Forum sogar zugeschrieben wird, die Justizreform inspiriert zu haben.

»Bezüglich der meisten Aspekte gibt es Übereinkünfte hinter den Kulissen. Sie machen Sinn und sind vernünftig«, gab Herzog optimistisch an und versicherte zudem, dadurch würde »Israel als ein jüdischer und ein demokratischer Staat, basierend auf den Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung« gewahrt bleiben.

Hoffnung oder nicht oder schon?

Da Staatspräsident Herzog nicht erneut forderte, die parlamentarischen Prozesse zur Umsetzung der Justizreform – die tatsächlich massive Fortschritte gemacht haben und schon demnächst am »Point of no Return« stehen werden –, zeitweilig auszusetzen, hörte man sofort die beiden führenden Politiker der Opposition Yair Lapid (Zukunftspartei) und Benny Gantz (National Unity) formulieren: Genau solch eine Aussetzung sei nach wie vor Bedingung, um überhaupt einen Dialog aufzunehmen.

Da die Israelis am nächsten Morgen mit der Meldung aufstanden, Justizminister Yariv Levin (Likud) und der Vorsitzende des Justizausschusses Simcha Rothman (Religiöse Zionisten), welche die Justizreform in der Knesset vorantreiben, seien weiterhin nicht bereit, auch nur einen Moment innezuhalten, schwanden die von Herzog geweckten Hoffnungen auf einen Kompromiss auch wieder – bevor sie keine zwölf Stunden später erneut aufflackerten. Dann hieß es nämlich, von einer anderen Initiative sei ein Kompromissplan ausgearbeitet worden, der selbst in Pro-Reform-Kreisen auf große Akzeptanz stoße. 

Auch diesbezüglich liegen bislang noch keine weiteren inhaltlichen Details vor. Fest steht auf jeden Fall: Israel durchlebt ein Wechselbad der Extreme, was auch weiterhin die Frage aufwirft, wie wohl der schon in wenigen Wochen anstehende 75. Unabhängigkeitstag des Staates Israel aussehen wird.

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