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Hunderttausende israelische Zivilisten wieder einmal auf dem Sprung

Palästinenser in Gaza feiern die bei einem israelischen Luftschlag getöteten Kommandeure des Islamischen Dschihad als »Märtyrer«
Palästinenser in Gaza feiern die bei einem israelischen Luftschlag getöteten Kommandeure des Islamischen Dschihad als »Märtyrer« (© Imago Images / Xinhua)

Israel ging zeitversetzt gegen die Führung des Islamischen Dschihad im Gazastreifen vor, dessen wiederholter Raketenbeschuss erst kürzlich israelische Zivilisten mehrfach in die Schutzräume geschickt hatte. Jetzt sind Hunderttausende Einwohner Israels in Alarmbereitschaft versetzt.

Draußen in der Welt gibt es viele, die in Israel wieder einmal den Aggressor sehen und dem Land im selben Atemzug auch noch vorhalten, es habe übermächtige militärische Stärke gegenüber dem Gazastreifen sprechen lassen. Dass zu diesen auch der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmoud Abbas gehört, der – wieder einmal – allein Israel für die gegenwärtige Eskalation der Lage verantwortlich macht, entspricht im Nahen Osten sozusagen dem guten Ton der palästinensisch-arabischen Solidarität als auch der unerschütterlichen Eigenwahrnehmung, selbst nichts, aber auch gar nichts zur Lage beizutragen.

Tatsächlich führte Israel in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai eine Militäraktion im Gazastreifen durch. Die Angriffe der Luftstreitkräfte richteten sich gegen Führungspersönlichkeiten der palästinensischen Terrorvereinigung Islamischer Dschihad. Die vermeintliche »Aggression« Israels ist eine verzögerte Reaktion auf die sich seit Wochen zuspitzenden Terroraktivitäten und den keineswegs mehr als sporadisch zu bezeichnenden Raketenbeschuss, der sich in nicht unerheblichem Maß gegen die israelische Zivilbevölkerung richtet.

Mit diesem Schlag kehrte Israels Regierung zu einer Politik zurück, die lange Zeit an der Tagesordnung gewesen war, gegenwärtig auf der Liste der Antiterrormaßnahmen aber nicht obenan stand: gezielte Liquidierungen, denen viele ein abschreckendes Momentum zuschreiben, während andere ihre Zweifel daran hegen. Außer Frage steht allerdings, dass Israel palästinensische Top-Terroristen ins Visier nahm, die unendlich viel Blut an ihren Händen kleben hatten.

»Ausgeschaltet«

Auf Anweisung der Regierung und abgesegnet von verschiedenen dafür zuständigen Instanzen führten die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) auf der Grundlage gesicherter nachrichtendienstlicher Erkenntnisse gezielte Schläge gegen Anführer der radikal-islamistischen Terrorvereinigung Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ) aus. 

»Ausgeschaltet«, wie es im Armeejargon heißt, wurden Khalil Bahtini, Gaza-Nord-Kommandeur des PIJ, dem beste Verbindungen zur politischen Führungsspitze der Terrorgruppe zugeschrieben wurden, Jihed Ghanem, leitender Offizier des PIJ-Militärrats, und Tareq Izz ed-Din, der laut israelischer Geheimdienste Mitglied der Al-Quds-Brigade war und vom Gazastreifen aus deren Terroraktivitäten im Westjordanland dirigierte. Dieser Mann, der Anfang des Jahrtausends wegen seiner Beteiligung an einem Selbstmordanschlag eine Gefängnisstrafe in Israel absaß, soll in nicht unerheblichem Maß dafür verantwortlich sein, dass sich in der Westbank immer mehr junge Männer zu neuen militanten Gruppierungen zusammenfinden, die ohne zu zögern die Waffen sprechen lassen. 

Über die sich im Gazastreifen mit Waffengewalt an der Macht haltende Hamas ließ die PIJ-Leitung den Tod dieser drei Männer bestätigen. Bezüglich des 44-jährigen Bahtini ist zudem bekannt, dass er bereits seit den späten 1990er Jahren – und somit mehr oder weniger sein ganzes Erwachsenenleben lang – bei der Planung von Selbstmordattentaten, Sprengstoffanschlägen und Raketenbeschuss involviert war, die primär israelische Zivilisten verletzen und töten sollten.

Kollateralschaden und mehr

Bei der gezielten Liquidation, die zweifellos nur aufgrund einer umfassenden israelischen Nachrichtendienstarbeit durchgeführt werden konnte, ließen nicht nur die drei genannten Terroristen ihr Leben, sondern auch zehn weitere Personen, nämlich sechs Frauen und vier Kinder, zu denen die Hamas angab, dass es sich um die Ehefrauen der Dschihad-Kommandeure und einige ihrer Kinder gehandelt habe. Überdies wurden zwanzig Personen verletzt.

Während diese Zeilen geschrieben werden, zogen im Gazastreifen Menschenmassen, die wohlbekannten Schlachtrufe skandierend, mit den Leichen durch die Straßen zu den Beisetzungen, wie Haaretz-Berichterstatter Jack Khoury über Twitter der ganzen Welt mitteilte und zugleich nicht vergaß anzuprangern, dass man den israelischen Schlag keineswegs als »steril und chirurgisch« bezeichnen könne. In seinen zuvor eingestellten Twitter-Posts gewährte Khoury dem getöteten Tareq Izz ed-Din mit hervorgekramten Archiv-Clips zudem posthum eine Bühne; darunter das Statement bei seiner frühzeitigen Freilassung infolge des 2011 vorgenommenen Austauschs von palästinensischen Häftlingen gegen den jahrelang von der Hamas im Gazastreifen als Geisel gehaltenen israelischen Soldaten Gilad Shalit.

Parallel zu den Beisetzungen im Gazastreifen liefen Antiterroreinsätze der israelischen Truppen im Westjordanland. Jordanien, das als einer der ersten regionalen Akteure die Vorgänge der letzten Nacht verurteilt hatte, protestierte auch dagegen besonders laut, verlor aber kein Wort darüber, dass es selbst keineswegs seine Hände in Unschuld waschen kann. Schließlich wurde erst kürzlich durch die von israelischen Sicherheitskräften an der Allenby-Brücke entdeckten 200 Schusswaffen, die ein jordanischer Parlamentarier ins Westjordanland zu schmuggeln versuchte, einer der Nachschubkanäle der Terroristen offensichtlich.

Altbekannte Dynamik

Passt den palästinensischen Terrorvereinigungen im Gazastreifen irgendetwas nicht, so nehmen sie israelische Zivilisten unter Raketenbeschuss. Als vor einer Woche der PIK-Funktionär Khader Adnan infolge eines Hungerstreiks einschließlich Verweigerung medizinischer Versorgung als erster Palästinenser Schlagzeilen machte, der auf diese Weise in israelischer Haft das Leben verlor, war klar, was passieren würde: Noch in der Nacht setzte der Raketenbeschuss des israelischen Südens ein. An diesem 2. Mai hielten über hundert im Gazastreifen lancierte Mörser und Raketen die israelische Zivilbevölkerung in Grenznähe in Schach. Auch danach »tröpfelte« es weiterhin Raketen, wenn auch in weniger massiver Quantität.

Dass Israel vor wenigen Tagen den palästinensischen Häftling Achmad Saadat, der wegen seiner Rolle bei der Ermordung des israelischen Tourismusministers Rehavam Ze´evi im Jahr 2001 in einem israelischen Gefängnis einsitzt, in Einzelhaft verlegte, rief eine weitere palästinensische Terrororganisation auf den Plan. Die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) drohte, die »Antwort wird schmerzhaft sein«, sollte Saadat etwas geschehen.

Infolge der israelischen Militärschläge der vergangenen Nacht demonstrierten die palästinensischen Terrorgruppen, die sich ansonsten auch schnell einmal uneinig sind, den trauten Schulterschluss. Gemeinsam gaben sie die Erklärung heraus, es habe sich bei dem israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen um ein »feiges Verbrechen«gehandelt, für das »Israels Führer den Preis zahlen werden«.

Die von diesen Vereinigungen direkt angesprochene politische Führung Israels ist sich am heutigen Tag über die Fortsetzung des Antiterrorkampfs einig. Auch Oppositionsführer Yair Lapid (Zukunftspartei) steht hinter der Operation »Schutzschild und Pfeil«, während der aktuelle, in den Umfragen um viele Mandate besser als Premier Benjamin Netanjahu (Likud) abschneidende ehemalige Verteidigungsminister Benny Gantz (Nationale Einheit) dem amtierenden Yoav Galant (Likud) zur Seite sprang: »Unsere Feinde haben sich in der Einschätzung der Lage geirrt« – ein Tenor, in den auch Staatspräsident Isaac Herzog einstimmte.

Und den Preis bezahlen wird …

Es war wieder einmal ein Vertreter eines bedeutsamen internationalen Gremiums, der die Aufmerksamkeit auf den zivilen Aspekt der hochgradig angespannten Lage lenkte – wenn auch gewohnt einseitig: UN-Koordinator für den Nahost-Friedensprozess, Tor Wennesland, glaubte, in einem Twitter-Post hervorheben zu müssen, dass die »Ermordung von Zivilisten im Gazastreifen inakzeptabel ist«. 

Wie schön, dass dieser Mann so besorgt ist über das Wohlergehen Unbeteiligter, doch leider galt seine Sorge einmal mehr einzig und allein einer Seite. So verliert Wennesland nie auch nur ein einziges Wort der Sorge über Israels Zivilisten und das, was diese durchmachen: Wer von ihnen etwa in unmittelbarer Grenznähe lebt, wurde schon während der israelischen Militäraktion in der vergangenen Nacht angewiesen, sich in Schutzräume zu begeben, und einige Regionalverwaltungen bereiten sich auf eine mögliche Evakuierung der Zivilbevölkerung vor. In den frühen Morgenstunden des heutigen Tages wurden dann die öffentlichen Bunker bis in Richtung Tel Aviv hergerichtet. In einem weiten Umkreis des Negev ließ man als Vorsichtsmaßnahme auch den Schulunterricht heute ausfallen.

Damit erleben wieder einmal Hunderttausende Zivilisten eine altbekannte absurde »Notfallroutine«: jederzeit zum Sprung in die Schutzräume bereit zu sein. Das bislang letzte Mal waren sie das erst vor gut einer Woche, als es keinen Anlass wie nun in Form der angeprangerten israelischen Militäraktion gab. Darüber hinaus wissen Israels Zivilisten längst, was Verteidigungsminister Galant den Bürgermeistern der primär vom Raketenbeschuss in Mitleidenschaft gezogenen Regionen mitteilte: Man habe »auf jedes Szenario vorbereitet zu sein«, einschließlich länger anhaltender Kampfhandlungen mit einem erweiterten Einzugsgebiet, auf das palästinensische Raketen abgefeuert werden könnten.

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