Aus Österreich in einen israelischen Kibbutz

Seit 2022 können Österreicher ihren Zivilersatzdienst in israelischen Kibbutzim leisten. (Quelle: The Kibbutz Movement)
Seit 2022 können Österreicher ihren Zivilersatzdienst in israelischen Kibbutzim leisten. (Quelle: The Kibbutz Movement)

Seit 2022 können Österreicher ihre Zivilersatzdienst in Kibbutzim leisten. Sie unterstützen damit ein besonderes Symbol des demokratischen Israels.

Daniel Schuster

Symbole besitzen Macht, die nicht unterschätzt werden darf. Sie besitzen Ausstrahlungskraft, können Leute miteinander verbinden, lösen Emotionen und Erinnerungen aus, suggerieren ein Wertesystem und geben eine Logik für Handlungsoptionen vor. Dadurch können sie die Basis und der Leuchtturm einer Bewegung sein.

Sie existieren in verschiedenen Formen, wie z.B. in Form von Objekten, die in die Geschichte eingegangen sind, wie beispielsweise das Kreuz, der Halbmond, das Hakenkreuz oder die Freiheitsstatue.

Eine andere Kategorie umfasst Städte, die in besonderem Ausmaß durch historische Ereignisse etwas Größeres repräsentieren. Stalingrad etwa symbolisiert die Kehrtwende und schließlich die Niederlage Nazideutschlands im zweiten Weltkrieg. Butscha symbolisiert den russischen Massenmord im Ukrainekrieg.

Ein Symbol Israels: der Kibbutz

Ein bedeutungsvolles Symbol Israels sind die Kibbutzim. Diese sind ländliche kollektive Siedlungen nach sozialistischem Vorbild mit gemeinsamem Eigentum. Sie symbolisieren die Wiedergeburt jüdischer Stärke und Wehrhaftigkeit. Sie repräsentieren Juden und Jüdinnen als unabhängig, solidarisch und als mit dem Land, dem Boden und der Erde verbunden. Leute, die erzogen wurden, um Professoren und Händler zu werden, wurden Bauern, die die Wüste fruchtbar machten.

Darüber hinaus sind Kibbutzim ein Symbol von Demokratie, da viele Entscheidungen auf Grundlage basisdemokratischer Methoden beschlossen wurden. Sie sind als Orte der lebendigen Diskussion, der Debatte und der gemeinsamen Entscheidungsfindung in die israelische Geschichte eingegangen.

Der erste Kibbutz wurde 1910 in Degania am Südende des See Genezareth gegründet. 1950, nur kurz nach der Gründung Israels, lebten ca. 67 000 Israelis in Kibbutzim. Der demografische Höhepunkt wurde 1990 mit rund 125 000 Israelis erreicht, die sich für das Leben in diesen Lebensgemeinschaften entschieden hatten. Seither ist die Anzahl der Kibbutzniks rückgängig. Die Gründe dafür waren unter anderem wirtschaftliche Krisen, attraktive berufliche Möglichkeiten außerhalb, Arbeitskräfteüberschuss sowie die Technisierung der Landwirtschaft. Für viele Israelis ist der demografische Rückgang in den Kibbutzim bedauernswert.

Österreicher arbeiten im Kibbuz

Mehrere Initiativen versuchen, die Kibbutzim zu unterstützen neu zu beleben. Eine davon ist das Kibbutz Movement, das ein Freiwilligenprogramm für internationale jüdische und nicht-jüdische Menschen leitet, die zur freiwilligen Arbeit in einen Kibbutz nach Israel kommen möchten.

Seit 2022 ist es durch eine Partnerschaft zwischen dem Verein Österreichischer Auslandsdienst und dem Kibbutz Movement möglich, einen von der Republik Österreich unterstützten Freiwilligendienst und Zivilersatzdienst in akkreditierten Kibbutzim zu leisten. Seit letztem Jahr haben drei Österreicher einen solchen Auslandsdienst an den Kibbutzim Gezer in Zentralisrael und Regavim weiter im Norden des Landes realisiert. Zu den Aufgaben gehören Mitarbeit in Kindergärten, im Altersheim sowie landwirtschaftliche Tätigkeiten.

Durch die Entsendung von Freiwilligen in Kibbutzim in Israel partizipiert Österreich an der Unterstützung einer Bewegung und eines Symbols, das tatkräftig zur Etablierung und Entwicklung des Staates Israels beitrug. Österreicher*innen wird dadurch die Erfahrung ermöglicht, in einer ungewöhnlichen Arbeits- und Lebensgemeinschaft zu verbringen. Sie lernen, was es braucht, diese aufrecht zu erhalten und zu entwickeln, welche Vorteile und Hürden ein solcher Lebensstil mit sich bringt und welche Skills man dafür benötigt.

Meiner Erfahrung nach lächeln Israelis immer, wenn man sie auf Kibbutzim anspricht – und besonders, wenn man ihnen mitteilt, man habe vor, dort zu arbeiten, oder dies bereits getan hat. Die Kooperation mit dem Kibbutz Movement bedeutet auch einen emotionalen Brückenschlag zwischen der israelischen und der österreichischen Gesellschaft. Außerdem bedeutet es die Unterstützung einer demokratischen Bewegung innerhalb Israels.

Demokratisches Modell

Keren Pardo, unsere Ansprechperson des Kibbutz Movement, schreibt betreffend Kibbutzim und Demokratie folgendes:

»Ein Kibbutz ist eine einzigartige Gemeinschaft, die vollständig in einem System der direkten Demokratie organisiert ist. Die Kibbutzim hatten seit ihrer Gründung das Ziel, eine gerechte Gesellschaft auf allen Ebenen – sozial, wirtschaftlich, kulturell und geschlechtsspezifisch – zu schaffen.

Die Idee war natürlich utopisch und rückblickend können wir heute viele der Methoden und Praktiken kritisieren, mit denen sie umgesetzt wurde. Aber Tatsache ist, dass auch nach Jahrzehnten und vielen grundlegenden Veränderungen, die jeder Kibbutz in seiner Lebensweise vorgenommen hat, das Kernkonzept der sozialdemokratischen Ideen für jede Gemeinschaft, die sich Kibbutz nennen möchte, bestehen bleibt. Als Genossenschaft in allen Fragen, die das Zusammenleben betreffen, von gemeinsamen Geschäften bis hin zu Bildung, Gemeinschaft und sogar Kultur.

Die Mitglieder des Kibbutz leiten und verwalten die Gemeinschaft und all ihre sozialen und wirtschaftlichen Genossenschaften auf direktem Wege über verschiedene Ausschüsse und Manager, die alle der Generalversammlung unterstellt sind. Damit sind alle Mitglieder direkt an den Entscheidungen beteiligt, die ihr tägliches Leben bestimmen. Ganz gleich, ob es sich um die Entscheidung über den Jahreshaushalt oder das Umstellen der Stühle für eine Gemeinschaftsveranstaltung handelt – die beteiligten Mitglieder fühlen sich zugehörig und haben das Gefühl, dass sie in ihrer Gesellschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb des Kibbutz etwas bewirken können.«

Die bilaterale Beziehung zwischen Israel und Österreich sollte auf verschiedensten Ebenen gepflegt werden. Erinnerung an den Holocaust und Gedenken an die Opfer ist eine davon. Andere Stützpfeiler sollte soziale und demokratische Unterstützung sein. Wenn diese mit Symbolik kombiniert wird, erhält sie eine noch größere Bedeutung. Durch die Teilnahme an Symbolträchtigem werden die Individuen Teil von etwas Größerem als sich selbst, und der eigene Beitrag erhält größere Bedeutung, als wenn er nicht isoliert betrachtet wird. Alleine durch das, was sie symbolisieren und wofür sie immer noch stehen, sind die Kibbutzim in höchstem Maß unterstützungswürdig.

Dies wurde auch von der österreichischen Botschaft in Israel so gewertet. Dass Österreicher nunmehr ihren Zivilersatzdienst oder auch einen Freiwilligendienst in einem Kibbutz in Israel leisten können, zeigt, dass auch die Republik diesen Beitrag fördern möchte.

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