Israel wählt spätestens in einem Jahr, aber die Weichen für den im kommenden Frühjahr beginnenden Wahlkampf werden schon gestellt.
Die gegenwärtige Regierung von Benjamin Netanjahu löste Ende 2022 die relativ kurzfristige Koalition des gemäßigt religiösen Naftali Bennet und des zentristischen Yair Lapid ab. Die Koalition Netanjahus bestand ursprünglich aus seinem Likud und mehreren, zum Teil extrem rechten nationalreligiösen bis ultraorthodoxen Parteien, wobei Letztere die Koalition im vergangenen Jahr wegen der Frage der Wehrpflicht für ihre Klientel verließen.
Weder der innerisraelische Streit um die Justizreform noch die Katastrophe des 7. Oktobers 2023, für die viele Menschen Netanjahu die politische Verantwortung zuschreiben, noch das überzeugende Auftreten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) im Krieg gegen den Iran und die libanesische Hisbollah oder der zweijährige Krieg gegen die Hamas führten zu einer wesentlichen Schwächung oder Stärkung der Likud-Partei. Meinungsumfragen sehen sie mit um die 30 Mandate gegenüber den 32 Sitzen, die sie bei der letzten Wahl erringen konnte. Von der Opposition erhielt Lapids Liste Jesh Atid 24, das Bündnis Blau-Weiß von Benny Gantz kam auf zwölf Mandate.
Die aktuellen Meinungsumfragen sehen sowohl Lapid als auch Gantz auf einem niedrigeren Stand, wobei Gantz sogar unter das Minimum von 3,25 Prozent gefallen sein soll, das für eine Vertretung im Parlament notwendig ist. Offensichtlich schadete dem jetzigen Oppositionspolitiker, der zuvor an der Koalition von Lapid und Bennett beteiligt gewesen war, das zeitweilige Verbleiben in der Kriegsregierung Netanjahus nach dem 7. Oktober 2023.
Spannendes Rennen
Am israelischen Polithimmel wurden jüngst drei nicht neue politische Sterne wieder sichtbar: Naftali Bennett, ein ursprünglicher Anhänger und späterer Gegner Netanjahus, der nach dem Scheitern seiner Koalition die Politik verlassen hatte; der ehemalige Generalstabschef Gadi Eisenkot, der das Bündnis von Gantz verließ, und der ehemalige Kommunikationsminister Yoaz Hendel.
Hauptwahlkampfthema wird die bislang nicht erfolgte Etablierung einer umfassenden Kommission sein, welche die Verantwortung für die Sicherheitsversagen vor dem Überfall vom 7. Oktober 2023 und die politischen Zusammenhänge mit der Duldung des Einflusses von Katar im Gazastreifen klären soll. Nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973, der Israel ähnlich unvorbereitet traf, hatte es mit der Agranatkommission ein entsprechendes Untersuchungsinstrumentarium gegeben. Daneben wird auch die zum Dauerbrennerthema gewordene Wehrpflicht für Ultraorthodoxe den Wahlkampf beherrschen.
In jüngster Zeit versuchte der an einem Comeback arbeitende Naftali Bennet, die Opposition zu einen und führte eine Vielzahl von Gesprächen. Gadi Eisenkot wollte sich nicht festlegen, tendiert aber eher zu einem Bündnis mit Lapid; Yoaz Hendel mit seiner Partei Miluimnikim (»Die Reservisten«) wiederum schloss ein Bündnis mit Netanjahu nicht aus, sofern dieser nicht wieder die Interessen der Ultraorthodoxen hinsichtlich einer Befreiung von der Wehrpflicht schützen würde.
Je zersplitterter die Opposition ist, desto besser für Benjamin Netanjahu, der umgekehrt daran arbeitet, die nationalreligiösen Parteien am rechten Rand in einer Liste zu vereinen. Potenzielle Nachfolger in seiner Partei warten noch im Hintergrund. Der ehemalige Parlamentspräsident Yuri Edelstein fiel wegen seiner Intransigenz in Sachen ultraorthodoxe Wehrpflicht in Ungnade, während der ehemalige Jerusalemer Bürgermeister Nir Barkat über seine Zukunftspläne noch schweigt.
Bei den arabischen Parteien wiederum wird entscheidend sein, ob es zu einer gemeinsamen Liste mit der gemäßigten Raam-Partei kommt, oder diese wieder allein kandidiert und wie schon einmal zu einem Partner der Regierung wird.
Es bleibt jedenfalls spannend, denn der sich immer wieder als politischer Fuchs erweisende Netanjahu, der immerhin als längst dienender Premierminister Israels fungiert, ist noch nicht abzuschreiben. Auch Golda Meir verlor nicht die erste Wahl nach dem Jom-Kippur-Krieg, sondern erst die zweite. So könnte es auch diesmal sein.






